Review HumAnemy – Das Chamäleon

  • Label: Lindenblatt
  • Veröffentlicht: 2013
  • Spielart: Entmetallisiert, Hörspiel

Ein von einem futuristischen Staat engagierter Agent, ein Analdildo im Allerwertesten einer ranghöheren, männlichen Person und ein etwas unglücklich verlaufener Mord an eben jenem Popo-Piraten. Man stelle sich jede dieser drei Szenen detailliert vertont vor und schon hat man den Auftakt für „HumAnemy – Das Chamäleon“. Unter diesem Titel geht der erste Teil der für vier Episoden angesetzten Hörspiel-Reihe an den Start. Damit feiern Stefan und Thomas Lindner, letzterer besser bekannt als Stimme der Folkrockband Schandmaul, mit der Unterstützung von Johnny Wittermann ihre Premiere im Bereich des klassischen Hörspiels. Mit einem erstaunlichen Ergebnis.

Wer zum ersten Mal in die düstere und futuristische Welt von „HumAnemy“ eintaucht, wird nach der ersten Hörrunde mindestens drei große Fragezeichen im Kopf schwirren haben, denn einen Klappentext über das, was einen erwartet, gibt es nicht. Leicht bekömmlich oder gar zum Einschlafen geeignet ist die neue Produktion von Lindenblatt-Records auch nicht. Viele Szenenwechsel und Lautstärkenschwankungen sowie Vulgärsprache, gepaart mit über 40 Charakteren und minimalistischen bzw. gut versteckten Hinweisen auf Charakter und Aussehen der Figuren dürften den ein oder anderen nicht-themenaffinen Hörer tendenziell überfordern und eventuell im ersten Moment den Spaß an der ganzen Sache rauben. Wer empfindet ein Hörspiel schon als angenehme Unterhaltung, wenn er nach einer guten Stunde hochkonzentrierten Lauschens nur einen Gedanken im Kopf hat: „Aja, und jetzt?“
Soweit nichts Ungewöhnliches bei Laienhörspielen. Doch der Clou folgt sofort: trotz dieser Umstände hat in dem vielleicht etwas deprimierten Käufer ein Keim von Interesse zu wachsen begonnen und die Neugier auf mysteriöse Weise vom Hörer Besitz ergriffen. Die Platte wird ein zweites Mal, allerspätestens hier mit Kopfhörern (!), zu Gemüte geführt und der Ehrgeiz, doch noch durch die Handlung der Story zu steigen, siegt endgültig. Deswegen sollte die Frage eher lauten: Welche fähigen Köpfe müssen hinter so einer ausgeklügelten Taktik stecken? Die Antwort liegt auf der Hand.
Wer dem Bedürfnis der intensiveren Auseinandersetzung mit „HumAnemy“ nachgegeben hat, wird schnell feststellen, wieviel Raffinesse hinter der Einführungsstory tatsächlich steckt. Ist die Erkenntnis erst einmal gereift, dass die selbst auferlebte Verwirrung lediglich ein genialer Schachzug der Macher ist, um die Identifikation mit der teilweise ebenso orientierungslosen Hauptperson zu erleichtern, wird das gesamte Werk schnell aus einer ganz neuen Perspektive gehört und so manche zunächst ärgerliche Ungereimtheit als meisterlicher Kniff verstanden. Lindner und Lindner beweisen hier nicht nur aufs Neue, dass sie aufgrund enthusiastischen Hörspielkonsums von Kindesbeinen an einiges an Wissen diesbezüglich angesammelt haben, sondern auch, wie mit diesen Erfahrungen ein ungewöhnliches Hörspiel entstehen kann.
Um das Ganze nicht in mentale Arbeit ausufern zu lassen, versprechen realistisch wirkende und teilweise sehr humorvolle Sprecherpassagen Unterhaltung. Hier geben sich größtenteils talentierte Laien bzw. Semiprofis wie Alex Wesselsky, Holly Loose sowie Thomas Lindner selbst und professionelle Sprecher wie Claudia Urbschat-Mingues (für die Unwissenden: eine der Synchronstimmen von Angelina Jolie) und Oliver Mink das Mikro in die Hand und verschmelzen so zu einer völlig neuen Hörspiel-Qualität. Doch selbst die besten Sprecher könnten sich um Kopf und Kragen reden, wäre da nicht das Salz in der Suppe in Form von gelungenen Hintergrundgeräuschen und Musikauswahl. Die Münchener Band VorTeX, bereits von den Gebrüder Thot-Projekten als fähige Unterstützung bekannt, unterstreichen mit ihrem Sound das Geschehen in der dargestellten, nahen Zukunft ebenso wie die Kompositionen einiger anderen Combos. Doch das letzte Quentchen erlangt die musikalische Untermalung durch das Nebenprojekt von Benni Cellini (Letzte Instanz) namens LAND ÜBER. Dieser sphärische Jazz-Pop intensiviert nicht nur die Szene mit der für Männer wohl erotischsten Stimme des gesamten Hörspiels (kleiner Tipp: gemeint ist nicht die von Alex Wesselsky gestöhnte Analvergnügung), sondern wirkt sich auf den gesamten Höreindruck positiv aus. Manchmal sind es eben doch die unscheinbaren Zutaten, die einem Werk den letzten Schliff verpassen.

Einer der wenigen Versuche, das Hörspiel in diesem Genre erneut Fuß fassen zu lassen. Ungewohnt? Ja. Anstrengend? Und wie! Überzeugend? Nach überwundenen Stolperstellen mehr als das! Eine Hörspielserie mit viel (dunkler) Zukunft. Eine Bewertung folgt nach Abschluss der Quadrologie gegen Ende des Jahres.

Publiziert am von Uschi Joas

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