Interview mit Markus, Oliver und Arno von Sieges Even

Die Münchener SIEGES EVEN haben mit ihrem letzten beiden Werken „The Art Of Navigating By The Stars“ (2005) und „Paramount“ (2007) in der Prog-Szene von sich reden gemacht. Ihr neuer Sänger Arno Menses hat sie von einem eher technisch orientierten Sound zu einer Band gemacht, für die nun die Melodien oberste Priorität haben. Gitarrist Markus Steffen, Bassist Oliver Holzwarth und Sänger Arno Menses beantworteten kurz vorm Tourbeginn noch unsere Fragen.

Hi Jungs! Ich freue mich, dass ihr euch einen Moment Zeit für meine Fragen nehmt. Vorneweg möchte ich zunächst einmal ein großes Lob für euer neues Album „Paramount“ aussprechen, das meiner Ansicht nach ein würdiger Nachfolger für „The Art Of Navigating By The Stars“ geworden ist. Die Kritiken scheinen auch wieder überragend auszufallen.
Markus: Vielen Dank. Die Reviews sind tatsächlich überwältigend, was wir nicht als Selbstverständlichkeit betrachten, da wir mit ‚Paramount‘ ja doch einen etwas anderen Weg eingeschlagen haben.

Wer eure älteren Werke wie „Steps“ oder „A Sense Of Change“ kennt, wird über euer neueres Material sicher überrascht sein. Was hat sich in all den Jahren an eurem Sound verändert?
Markus: Ich denke wir haben im Lauf der Jahre den Fokus immer mehr auf den Song und die ihn tragende Melodie gelegt. Das gilt insbesondere für unsere letzten beiden CDs. Veränderung war für uns immer die Maxime. Für mich persönlich gibt es aber eine klare Linie von unserer ersten CD ‚Life Cycle‘ bis hin zu ‚Paramount‘.

Eine melodische Ballade wie „Eyes Wide Open“ wäre bei Sieges Even zu “Steps”-Zeiten wohl kaum vorstellbar gewesen. Habt ihr nicht ein bisschen Angst davor, dass nun einige Progfans aufschreien und sich über mangelnde Instrumentalpassagen und zu poplastige Melodien beschweren?
Markus: Ehrlich gesagt: Ich rechne damit. Aber du kannst Dich als Musiker nicht an irgendwelchen mutmaßlichen Erwartungshaltungen orientieren. Um vorwärts zu kommen, darfst du allein deinem Instinkt, der Intuition und dem Gefühl folgen. Das sind für mich die Maßstäbe.

Wie groß ist der Anteil von eurem Sänger Arno Menses an den neuen Sieges Even? Seine Stimme hebt eure Musik meiner Meinung nach noch mal auf ein ganz anderes Level, lässt sie noch wärmer und harmonischer klingen, als sie ohnehin schon ist. Inwiefern ist er ins Songwriting involviert?
Markus: Arnos Einfluss ist immens, und das ist gut so. Er ist, was die Gesangsmelodien angeht, vollkommen autark und hat natürlich auch Vetorecht was die Arrangements der Songs angeht. Er ist der Sänger, den wir immer gesucht haben. Abgesehen davon ist er ein klasse Typ, mit dem man sehr viel Spaß haben kann.

Die Strukturen und Arrangements Eurer Songs sind mitunter mehr als außergewöhnlich. Wie entsteht ein Sieges Even-Song? Entwickelt ihr den Track auf dem Papier, entstehen Ideen durch gemeinsame Jams oder bringen einzelne Mitglieder mehr oder weniger fertige Songs zu den Sessions?
Markus: Das ist ganz unterschiedlich. Momentan mailen wir uns neue Ideen zu und arrangieren sie dann später in gemeinsamen Sessions. Notiert wird das Ganze nicht, nur Alex schreibt sich hier und da rhythmische Besonderheiten zur Verdeutlichung auf. Früher sind unsere Songs ganz traditionell im Übungsraum entstanden.

Oliver, In einem anderen kürzlich geführten Interview sagtest Du, dass Du den Bass auf Eurem neuen Album „Paramount“ wieder mit den Fingern eingespielt hast, um einen wärmeren Sound zu erhalten. Machst Du das vom Stil der Songs abhängig oder nimmst Du Dir schon vor dem Songwriting gezielt vor, einen bestimmten Stil zu fahren?
Oliver: Das ergibt sich während des Komponierens automatisch, weil man für seine Ideen die passende Umsetzung sucht. Bassist Tony Levin hat mir jedenfalls den Rat gegeben, die musikalischen und soundmäßigen Motive vom Song abhängig zu machen. Und diesen Rat beherzige ich gerne.

Ich habe bereits bei „The Art Of Navigating By The Stars“ den Eindruck gehabt, dass ihr euch einer sehr frei interpretierbaren, aber friedlich-verträumten und warmherzigen Lyrik bedient habt. Ich muss gestehen, dass die Einheit von diesen Lyrics mit eurer Musik mich immer wieder absolut begeistert und emotional mitreißt. Bei „Paramount“ kommen mir die Texte in „Iconic“ oder auch „Bridge To The Divine“ sogar leicht christlich bzw. allgemein religiös vor. Ich hoffe diese Frage ist nicht zu persönlich, aber haben innerhalb der Band Mitglieder zum Glauben gefunden oder ist es nur eure Art, Emotionen zu transportieren?
Oliver: Diesen Songs liegt keine explizite christliche Glaubensausrichtung zu Grunde. Als persönlicher Beobachter vor Ort in Rio de Janeiro und in Hiroshima im Rahmen der Blind Guardian Tournee habe ich starke Eindrücke in Texte umgesetzt, weil die inspirierende Kraft der Christusstatue auf dem Corcovado und die Ruinen der Atombombe zu stark war. Beide Texte sind unmittelbar in den jeweiligen Städten entstanden, sozusagen fassfrisch.

„The Art Of Navigating By The Stars“ war im Grunde ein zusammenhänger Song. „Paramount“ besteht aus zehn einzelnen Tracks, die aber auch als Album wunderbar funktionieren. Gibt es einen Grundgedanken hinter den Songs, ein Thema, mit dem sich alle Songs beschäftigen?
Markus: ‚Paramount‘ ist zwar kein Konzeptalbum, aber es hat sich im Laufe des Songwritings schon so etwas wie ein loses Thema herauskristallisiert. Im Grunde geht es in vielen Songs um Menschheitsträume, dem Streben nach Erkenntnis und Macht. Das ist gewissermaßen das Metathema. Demgegenüber stehen aber auch die kleinen großen Träume von Individuen, die Frage nach dem Wohin und auch die Frage nach dem, was war.

Die ersten acht Songs auf „Paramount“ strahlen für mich in den schönsten Farben und Formen. Mit dem Instrumental „Mounting Castles In The Blood Red Sky“ und dem zeitweise eher düsteren Titeltrack beendet ihr das Album dennoch recht mysteriös und düster. Was war die künstlerische Absicht dahinter?
Markus: Es war irgendwie logisch, dass wir das Album mit dem Titelsong beenden würden. Die Anordnung der Tracks davor war allerdings nicht einfach. Wir haben mehrere Möglichkeiten durchgespielt. Die finale Reihenfolge erschien uns vom Gefühl am sinnvollsten.

Auch das Coverartwork der Platte mag auf den ersten Blick nicht so recht zur überwiegend hoffnungsvollen Musik passen, wirkt viel zu trist, monoton und unnahbar. Wer zeichnet sich für das Artwork verantwortlich und was ist überhaupt auf dem Cover zu sehen?
Markus: Mag sein, dass man die Musik als hoffnungsvoll bezeichnen kann. Allerdings eignet den Songs auf der textlichen Ebene auch die Möglichkeit des Scheiterns und der Melancholie. Für mich ist das Cover perfekt: Es stecken viele Anspielungen auf die Texte darin. Du hast z.B. oben links den Vogel, Sinnbild für den alten Menschheitstraum des Fliegens. Im Vordergrund liegt eine Tonne, Zivilisationsmüll, etwas, das übrig bleibt von einer großen Idee, die nicht ganz zu Ende gedacht wurde. Oder das Meer: Das Verlangen irgendwo hin zu gelangen, vielleicht eine Insel. Das wäre dann etwa eine Anspielung auf ‚Where our shadows sleep‘.

Warum findet man neuerdings bei Sieges Even kaum noch Soli?
Markus: Ganz einfach: Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Songs Gitarrensoli in traditioneller Form benötigen. Vielleicht ändert sich das wieder auf künftigen Alben, aber die Tracks auf ‚Paramount‘ machten auf mich einen sehr homogenen Eindruck, den ich nicht mit Soli überfrachten wollte.

Auf dem neuen Album nutzt ihr erstmalig auch ausführlich Tasteninstrumente und Sequenzersounds. Es gibt sogar ein Saxophon. Wie kam es dazu? Und wie werdet ihr diese Parts live umsetzen?
Markus: Die Sounds sollten den Songs noch einen extra Mehrwert geben und die Stimmung noch einmal unterstreichen. Unser Co-Produzent Kristian Kohlmannslehner hatte diesbezüglich sehr gute Einfälle, und er zeichnet sich auch verantwortlich für den Großteil des Sounddesigns. Live werden wir hierfür sicherlich Playbacks benutzen.

Ab Oktober seid ihr ja auf Headliner-Tour. Was wird den Konzertbesucher erwarten? Kann man auch davon ausgehen, ältere Sieges Even-Tracks zu hören?
Markus: Wir wollen eine gute Mischung unserer bisherigen Karriere bieten, wobei der Schwerpunkt ganz klar auf den beiden letzten Alben liegen wird.

Viele Bands des Progressive Rock-Genres definieren sich heute vor allem über ihre Longtracks. Wäre es denkbar, von Euch irgendwann erneut ein Stück in der Tradition von „Tangerine Window Of Solace“ zu hören, oder macht Ihr es wie Rush und versucht, allzu lange Stücke zu vermeiden, um den Song an sich nicht aus den Augen zu verlieren?
Markus: Das ist natürlich denkbar. Wir haben während des Songwritings für ‚Paramount‘ bereits an einigen Ideen für einen Longtrack gearbeitet und werden das vielleicht für die nächste CD weiterführen.

Wo wir gerade bei Prog sind: Mir kommt es so vor, als wenn eure Musik dem Prog zwar seit jeher nahe steht, aber dennoch von ihrer Spielweise und ihren Arrangements durchaus auch mit einem Bein im Jazz beheimatet ist? Wo seht ihr euch persönlich?
Markus: Wir machen uns eigentlich keine Gedanken über die Zugehörigkeit zu bestimmten Genres oder zu bestimmten ‚Szenen‘. Offenheit ist unser Motto, und warum sollte man sich auch vor anderen Stilen oder Spielarten verschließen?

Rush scheinen euch besonders inspiriert zu haben; aber Alex und Oliver machen mit Rhapsody und Blind Guardian Metal, Arno mit Bonebag eher Heavy-Alternative-Rock. Diese Projekte scheinen aber keinen Einfluss auf Sieges Even zu haben. Was mögt ihr persönlich für Musik? Gibt es aktuell einen Künstler oder eine Band, die ihr besonders bewundert? Mögen die einzelnen Bandmitglieder unterschiedliche Sachen?
Markus: Was andere Künstler angeht: Ich glaube, dass wir mittlerweile an einem Punkt angelangt sind, an dem wir uns von direkten Einflüssen freihalten können. Das war zum Anfang unserer Karriere sicherlich anders. Die Tatsache, dass Arno, Alex und Oliver in anderen Bands tätig sind hat insofern Einfluss auf Sieges Even, als sie ihre Erfahrungen – insbesondere die Liveerfahrung – mit einbringen können. Das darf man nicht unterschätzen. Aktuelle Künstler, die ich momentan höre? Hm, immer noch Peter Gabriel, Gustavo Santaolalla aus Südamerika, die neue Rush.

Arno, ein berühmter Landsmann von Dir, Arjen Lucassen, arbeitet derzeit wieder an einem neuen Album und hat dazu ganze 18 Sänger eingeladen. Hansi Kürsch von Blind Guardian ist ja auch dabei. Wäre eine Teilnahme an einer Rockoper oder einem ähnlichen Projekt anderer Musiker etwas, was Du Dir vorstellen könntest, zu tun?
Arno: Ja klar! Ich wundere mich, warum bisher niemand gefragt hat!? Ganz ehrlich, es wäre toll, bei einem solchen Projekt involviert zu sein.

Welche künstlerischen Ziele habt ihr mit Sieges Even noch? Musikalisch, könnte man meinen, seit ihr jetzt prinzipiell bei der Perfektion angekommen. Wird das nächste Album gänzlich anders klingen?
Markus: Perfektion gibt es nicht, und wie schon vorher erwähnt, ist Veränderung für uns das wichtigste. Es ist momentan natürlich noch zu früh, um zu sagen, in welche Richtung die neue CD gehen wird, aber es wird sicherlich unser Ziel sein, ‚Paramount‘ nicht zu kopieren.

Zum Abschluss des Interviews möchte ich euch bitten, bei unserem Wortspiel mitzumachen. Was fällt euch spontan zu diesen Stichworten ein?

Riverside: Ich kenne nur die zweite CD von Riverside. Gute Band.
H.G. Wells: Never read a book by him.
Überproduktion: Sollte man vermeiden.
Fairer Handel: So hieß doch eine Band, die Gene Simmons in der 80ern unter Vertrag hatte – glaube ich!
Sinn des Lebens: Sollte man suchen.
Dream Theater: Großartige Band.
Sex, Drugs & Rock’n’Roll: Sex: The Art Of Navigating By The Girls! , Drugs: Karo Kaffee!, Rock’n’Roll: Elvis!
Studium: Es war die schönste Zeit
Burger King: is where my stomach starts to sing.
Film des Jahres: The Departed

Ich möchte mich noch mal für die von euch geopferte Zeit bedanken und wünsche euch viel Erfolg mit eurem neuen Album und viel Spaß und ausverkaufte Hallen für die anstehende Tour. Vielen Dank für das Interview!

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