September 2007

Review Sieges Even – Paramount

Was macht eine Band, die sich in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens durch sämtliche Frickelwelten von Thrashmetal über Prog bis hin zum Jazz ausgetobt hat, sich dann auflöst und wenige Jahre später mit einem neuen Sänger und einem neuen Album namens „The Art Of Navigating By The Stars“ zurückkehrt und sich völlig neu erfindet – was macht eine solche Band Anno 2007 wohl für Musik? Arno Menses heißt der „neue“ Sänger, und er machte das Reunionalbum vor zwei Jahren zu einem emotionalen, hochkomplexen, aber stets melodischen und atmosphärischen Hochgenuss. Für mich hatte die Band mit diesem Statement alles gesagt, kam aus dem Nichts und walzte auf der Stelle alles platt, was in diesem Jahr noch erschien.

Es muss Arno Menses, Markus Steffan und Oliver und Alex Holzwarth klar gewesen sein, dass „The Art Of Navigating By The Stars“ für sich steht; ein musikalisches Meisterwerk, vor dem selbst die Band genug Respekt haben sollte. Genau deshalb ist der Nachfolger „Paramount“ kein Versuch, den so gut funktionierenden Vorgänger zu imitieren. In gewisser Weise war der Vorgänger nur die Brücke zum Ziel, dass die Band mit „Paramount“ endlich erreicht hat: Sich vollständig vom überflüssigen Frickelballast zu lösen und die Melodien – und nur die Melodien – in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen. Richtiges Songwriting und lange Progtracks gab es auch schon auf dem Vorgänger. Mit „Paramount“ erreichen die ehemaligen Meister der Disharmonien allerdings eine Melodiösität und Zugänglichkeit, von der selbst ein Neal Morse nur schwärmen kann. Die Band selbst sagte in einem Interview, dass sich das neue Material anhört, als würden die Wolken aufbrechen und die Sonne rauskommen. Ein Ziel, dass sie laut eigener Aussagen schon immer hatten, für mich allerdings erst seit der Zusammenarbeit mit Arno als Sänger erreicht haben. Dabei sind die Gesangsarrangement von ungeheurer Klasse und Qualität, da gibt es keine abgegriffene Harmonien und Tonverläufe, die man schon hundertmal gehört hat. In gewisser Weise nährt sich die Band damit leicht einem AOR-/Popsound an, ohne allerdings in die Belanglosigkeit vieler Bands dieses Genres zu verfallen. Das die instrumentale Begleitband immer noch solch komplexe Sachen spielt, das andere Musiker davon nur träumen können, fällt beinahe gar nicht auf. Gesang, Text und instrumentaler Unterbau bilden eine eng verwobene musikalische Einheit. Das die Band dabei erstmalig auch auf breiter Front mit Sequenzersounds und Keyboards arbeitet, steht „Paramount“ äußerst gut. Wie die Band diese allerdings live umsetzen will, wissen wohl nur die Sterne.

Die zehn Songs auf „Paramount“ sind nicht wie beim Vorgänger thematisch verbunden, sondern stehen für sich allein. Dennoch stellt sich schnell beim Hörer das Gefühl ein, dass man das Album am besten in der vorgegebenen Songreihenfolge hört, denn dann offenbart sich doch ein ziemlich albumumfassender, zusammenhängender Sound. Die neuen Trademarks, die das Vorgängerwerk eingeführt hat, wie zum Beispiel die sphärischen Gitarrenlicks, das akzentuiert aufspielende und aufgenommene Schlagzeug und der ein oder andere überraschende, nur im ersten Moment unpassende Bruch, sind natürlich auch hier noch vorhanden. Immerhin machen SIEGES EVEN bei aller Zugänglichkeit noch Prog, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass die Jungs den Grundstrukturen des Jazz schon fast näher sind.

Bereits der Einstieg in das 61-minütige Album gestaltet sich mit dem Opener „When Alpha And Omega Collide“ zu einem wahren Freudenfest: Sequenzer und Keyboardsirren kommen aus dem Nichts, dann plötzlich ein straff rollendes Schlagzeug und schroffe Gitarrenakkorde. Nach einem Fill von Alex Holzwarth befinden wir uns plötzlich inmitten der ersten Strophe mit rollendem, später beinahe marschierendem Schlagzeug. Der Wirkung, die hier erzeugt wird, kann man sich kaum entziehen. Dazu die sanften Figuren von Markus Gitarre, zum Refrain hin immer durch Powerchords unterbrochen. Dann eine melodisch-lässig aufspielende Bridge und ein plötzlicher, seltsamer Bruch, nach dem sich der Song ganz langsam neu aufbaut und direkt in den wirsch und durcheinander beginnenden zweiten Titel „Tidal“ übergeht, der anfangs mit stark verzerrtem Gesang aufwartet. Doch es dauert auch hier nicht lange, bis die schönen Gesangsarrangement zurückkehren und der Sound luftiger wird. Ein kurzes Akustikgitarrensolo gibt es gleich obendrauf. Die beiden nun folgenden Tracks sind die popigsten und „einfachsten“ der Platte: Hinter „Eyes Wide Open“ versteckt sich eine Akustikgitarrenballade mit wunderschöner Slidegitarre, Lagerfeuerflair, einer süßlichen Strophe und einem grandiosen Refrain. Hier droht allerdings schnell die Gefahr des Überhörens, was in diesem Fall allerdings nicht negativ gemeint ist. „Iconic“ beginnt zunächst wie ein paar Songs von „The Art Of Navigating By The Stars“ ziemlich atmosphärisch, nimmt dann aber eine Wende hin zu einer Singer-Songwriter-Nummer mit sich immer mehr aufbauschender Spielfreude, die schließlich in „yeahyeahyeah“- und „ohbabaoh“-Chören und leicht kitschigen Keyboardtönen (sind es Keyboards oder ist es eins von Markus’ übernatürlich guten Effektgeräten?) ihre Klimax findet. Diese beiden Tracks hätte ich von der Band nie erwartet. „Where Our Shadows Sleep“ stammt noch aus der Phase, als Arno Menses zu der Band fand und sie unter dem Namen Val’Paraiso musizierten, das muss so 2003 gewesen sein. Es ist fantastisch, dass es dieser Song endlich auch auf einen Silberling geschafft hat. Auch hier wieder gibt es Atmosphäre, Dur-Harmonien und wunderschöne Arbeit an allen Instrumenten. Einfach perfekt.

Die zweite Hälfte unterscheidet sich von der ersten dahingehend, dass sie mir persönlich etwas düsterer, härter und nicht ganz so luftig vorkommt. Durchaus aber lebensbejahend, wie die gesamte Platte. „Duende“ startet mit progmetallischen Riffs, die sodann von engelsgleichem Gesang konterkariert werden, der sich aber wenig später mit den Riffs zu paaren beginnt. Nach drei Minuten kommt es zu einem fantastischen Flirt der trockenen, leicht alternativen Gitarrenriffs mit den flirrenden Licks. Das Ende wirkt mit pumpendem Bass und groovenden Gitarren sehr drückend. Das Intro von „Bridge To The Divine“ mit Schlagzeugsequencer und wieder schönsten Gitarrenfiguren wirkt beinahe ein bisschen wie ein neuer Indiepop-Hit, zur Freude vieler Hörer wendet sich das Blatt hier aber noch, um den Sommerhit-Refrain kommen wir trotzdem nicht umhin. Gegen Ende gibt es einen längeren Part mit eingespielten Sprachfetzen, dem sich ein fantastisch gesungenes „Fly away, fly away, touch the sun now; fly away, fly away, peace on earth now!“ anschließt, ehe der Song wieder ruppig und direkt in die DoubleBass-Salven und Progmetalriffs von „Leftovers“ übergeht. Auch hier stimmt einfach wieder alles. Ich frage mich wirklich, wie die Jungs es geschafft haben, so viele fantastische, positive, absolut hoffnungsvolle Melodien zu komponieren. Es ist praktisch unmöglich, die Schönheit dieser Musik in Worte zu fassen und dabei klar zu machen, dass sie trotzdem noch fortschrittlich, neuartig, progressiv und fassbar ist. Doch eine ganz klare Linie können Markus Steffen & Co. dann doch nicht fahren: Die letzen beiden Tracks trüben die recht sonnige Stimmung noch etwas, sind aber nicht minder gelungen: Das Instrumental „Mounting Castles In The Blood Red Sky“ ist eine Vertonung der berühmten Rede von Martin Luther King, die mit Outer Space-Gitarren, Frickelbreaks und Regengeräuschen arg weltfremd wirkt. Ich stelle mir dabei einen Satellit vor, der die Rede lange nach dem Ableben der Menschheit noch ins Weltall überträgt, in der Hoffnung, dass sie irgendjemand in ferner Zukunft hören wird. Allerdings muss hier erwähnt werden, dass die britischen Neoprogger Galahad im Mai dieses Jahres auf ihrem Album „Empires Never Last“ eine ähnliche Idee hatten. Auch sie nahmen die Rede in einen ihrer Songs auf, legten allerdings eine eher technoide Stimmung darunter. Der Titeltrack, und damit schon der Abschluss der siebten Platte von SIEGES EVEN, arbeitet dann ebenfalls noch mal mit Sprachsamples. Diesmal geht es um die Mondlandung. Auch diese Idee hatten mit den Flower Kings und Mind’s Eye bereits zwei Bands vor den Münchenern, dennoch darf ich attestieren, dass dieser Song hier zweifellos der beste der drei Nummern ist. Mit einfachen Mitteln wird hier eine sehr dramatische, drückende Atmosphäre geschaffen. Zumindest in den Instrumentalparts. Was gesanglich abgeht, brauche ich glaube ich nicht noch mal zu beschreiben, oder? Eine Überraschung hat man sich für den Abschluss der Platte auch noch aufgehoben, denn den werten Hörer erwartet dann ein weiteres neues Instrument im SIEGES EVEN-Universum: Ein Saxophon verziert die letzten zwei Minuten von „Paramount“. Und es passt wie angegossen.

Was bleibt noch zu sagen? Vielleicht: „From here to nowhere. From there to somewhere. From the seas to highest highs, moon to lowest lows…from the hand to the heart and mind!” und dann sind wir wieder zurück im Leben. Oder aber: „The more adrenaline, the higher I fly!“. Suchts euch selber aus, aber macht nicht den Fehler, die Progplatte des Jahres im Regal liegen zu lassen.

Die Frage jedoch bleibt die gleiche wie nach „The Art Of Navigating By The Stars“: Was um Himmels Willen kommt als Nächstes?

Wertung: 10 / 10

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