Interview mit Thomas Lindner von WETO

Gesellschaftskritik – für Schandmaul-Sänger Thomas Lindner ein zentrales Thema in seinem Leben und in seinen Texten. Nicht alle davon sind Märchen und Geschichten aus 1000 und einer Nacht. Viele seiner Songtexte haben ihren Ursprung im Hier und Jetzt, in den Schattenseiten der heutigen Zeit. Musikalisch verarbeitet werden sie aber nicht bei Schandmaul, sondern bei WETO. Dem Ursprung und Anfang von dem, was heute eine der erfolgreichsten Folkrockkombos Deutschlands ist. Im Interview mit Metal1.info erzählt Thomas aus sehr persönlicher Sicht seine Meinung zu gesellschaftlichen Tabus wie Depression und Burn-Out, beides zentrale Themen des neuen WETO-Werks namens „Schattenspieler“. Und auch zu Facebook und den Auswirkungen von Web 2.0 auf zwischenmenschliche Verbindungen in der heutigen Zeit hat der Musiker seine ganz eigenen Ansichten.

Hier könnt ihr euch das Audio-Interview in voller Länge runterladen

Kurzer Rückblick auf 2006: Eure letzte VÖ „Das zweite Ich“ erhielt teils gute Kritiken, eure Tour war aber relativ schlecht besucht. Welche Rückschlüsse habt ihr daraus gezogen?
Es war für uns ein Lernprozess. Wir haben damals unser altes Projekt wieder aufleben lassen und waren der Meinung, dass es reicht, wenn wir auf einer Schandmaul-Tournee unsere Snippet-CDs verteilen. Der Plan ging nicht auf. Schandmaul-Konzertbesucher wollen abschalten und WETO ist thematisch doch unbequemer. Mit dem neuen Album sind wir den normalen Weg gegangen und rühren etwas mehr die Werbetrommel. Wir wollen den Leute nahebringen, dass WETO etwas anderes, aber deswegen nicht gleich scheiße ist.

Wie ging es in den letzten 5 Jahren mit WETO weiter?
Die große Veränderung ist, dass „Das zweite Ich“ aus Material und Gedankengut bestand, welches größtenteils Mitte der 90er geschrieben wurde. Diese Songs haben wir sozusagen ins neue Jahrtausend geholt. Der „Schattenspieler“ besteht hingegen aus frischen, neuen Stücken. Das entspricht uns mehr als „Das zweite Ich“ damals.

Ein paar Songs wie „Schattenspieler“ und „Krank“ habt ihr bereits auf der letzten WETO-Tour live gespielt. Wieso habt ihr das Album nach diesem Track benannt? Bei Schandmaul seid ihr mit „Traumtänzer“ ähnliche Wege gegangen und habt gesagt, dass sich der Titel als Überschrift für die neue CD eignet.
Da war es auch der Titel des Liedes, welcher uns bewogen hat, es als Überschrift für das Album zu nehmen. In „Schattenspieler“ lässt sich sehr viel reininterpretieren. Konzeptionell erschien es uns ebenso am passendsten: Wir bewegen uns sehr in Schattenwelten der Gesellschaft und widmen uns textlich den Themen, die eher totgeschwiegen werden. Das Lied „Schattenspieler“ geht in Richtung Depression, worüber ebenfalls nicht gerne angesprochen wird.

Das Cover zeigt dieses Mal euch als Band und keinen Puppenkopf in einer Hand wie 2006. Warum der stilistische Wechsel beim Artwork?
Weil wir dieses Mal aggressiver mit Schandmaul werben. Bei „Das zweite Ich“ waren wir sehr verhalten und haben unsere eigene Webpräsenz mit eigenem Forum etc. gemacht. Das war der falsche Weg. Wir wollen dem Schandmaulhörer zeigen, dass die Jungs noch etwas anderes machen. Da machen unsere Gesichter auf dem Cover mehr Sinn als etwas Abstruses oder Abstraktes. Wir wollen einen optischen Wiedererkennungswert für CD-Käufer schaffen, die dann in WETO reinhören. Deswegen machen wir auch auf unserer Schandmaul-Facebookseite aktiv Werbung. Wir sind davon überzeugt, dass es viele Schandmaul-Hörer gibt, die WETO gut finden.

Würdest du sagen, dass euer neues Werk mehr nach Schandmaul klingt?
Eigentlich nein. Was sich nicht wegdiskutieren lässt, ist meine Stimme. Wir haben uns den gleichen Bombastsound geleistet wie beim letzten Mal, haben wieder ein Orchester arrangiert und Blechbläser eingebaut. WETO hat aber nichts mit Folk und Mittelalter zu tun, weder textlich noch musikalisch. Alles andere…ich werde deswegen nicht sprechen *verstellt seine Stimme dabei*

Ihr habt mit „Feuertanz“ ein Schandmaullied auf dem Album, welches im Ursprung eine WETO-Komposition ist. Warum habt ihr euch dazu entschieden, eine moderne Version des Tracks noch einmal zu veröffentlichen? Und gibt es andere Schandmaulnummern, die im nicht von WETO stammen, sich aber für eine Adaption eignen würden?
Der Grund ist der gleiche wie beim Artwork. Wir wollen den Leuten zeigen, dass „Feuertanz“ eigentlich eine WETO-Nummer ist. Viele Schandmaulfans kennen den Song, denen wollen wir nun das Original vorspielen. Das war das eine. Zum anderen: WETO kann natürlich eine Liebesnummer von Schandmaul einbauen, weil das zeitlos ist. Aber Märchentexte hätten dort nichts zu suchen. Insofern wird WETO Schandmaul nicht covern, eher andersrum.

Von „In Das Licht“ gibt es zwei Versionen auf der CD, eine Radio- und eine Albumversion. Wie kam es dazu?
Das sind alles Sachen, die man ausprobiert. Wir haben mit WETO keinen Druck von außen, können machen was wir wollen. Das ist unser Spielplatz. Wir probieren auch Sachen aus, die letztlich Schandmaul zugutekommen, weil man es sich dort vielleicht ad hoc nicht traut. Bei Schandmaul gibt es ein Netzwerk, auf das wir uns verlassen und das super funktioniert. Um da etwas Neues einfließen zu lassen, braucht es so etwas wie WETO, um experimentierfreudig zu sein. So kam es, dass „In Das Licht“ für uns ziemlich „singleig“ klang. Wir konnten uns vorstellen, dass dieser Song im Radio gespielt wird. Insofern sind wir mit unserer Albumversion zu Henning Verlage und haben ihn gebeten, einmal über das Stück zu rutschen. Er hat dann an den Keyboards und einigen anderen Elementen getüftelt. Das Ergebnis bieten wir jetzt als Radioversion an. Ob ein Sender dieser Welt das spielt, steht auf dem nächsten Blatt Papier. Hennings Beitrag hat auch nichts damit zu tun, dass wir unsere Songs jetzt von jemand anderem schreiben lassen. Er ist ein erfahrener und guter Produzent, mit dem wir etwas Neues testen wollten.

Was hältst du für Hennings wertvollsten Beitrag, den du aus deinem Blickwinkel so vielleicht nie gesehen hättest?
Es gibt bestimmte Formel und Dogmen, die sich im Radio in den letzten Jahren durchgesetzt haben. Zum Beispiel darf der Sänger im Refrain nicht alleine zu hören sein, sondern muss sich selbst zwei bis drei Mal singen. Diese gedoppelten Gesänge hasse ich wie die Pest, da es darüber hinaus meiner Meinung nach mit meiner Stimme nicht gut klingt. Aber Henning hat eben diesen Schritt vorgeschlagen, wir haben es umgesetzt und jetzt warten wir ab. Wenn der Radiomann das will, dann mache ich das halt mal. Mit WETO dürfen wir alles und darum probieren wir aus, was wir können.

Ihr habt vor dem großen Hype Support für Unheilig gespielt. Heute weigern sich teilweise Bands wie And One im Vorprogramm aufzutreten. Wie siehst du das bzw. würdet ihr noch vor dem Grafen auftreten?
Könnten wir. Warum nicht? Ich bin da völlig offen. In zwei Wochen spielen wir auch mit Schandmaul einen Supportgig für Unheilig. Zu diesen Konzerten gehen inzwischen Menschen, die außer der Milka-Werbung und der „Wetten dass…“-Melodie noch nie etwas mit Musik zu tun hatten. Diese 10.000 – 20.000 Menschen bekommen live eine Show vom Grafen geboten. Als Band wäre man blöd, wenn sich dort nicht hinstellt und sich dem Urteil dieses Publikums ergibt. Wenn sie uns scheiße finden, finden sie uns scheiße. Aber wenn uns ein paar gut finden, finden sie uns gut. Verlieren können wir nicht. Wir haben es bis jetzt geschafft, nicht als Support spielen zu müssen. Nun testen wir das genau wie In Extremo und die Letzte Instanz das gemacht haben. Aber das ist nichts, was sich für Schandmaul auf Dauer durchziehen lässt.

Hast du generell Verständnis für Bands wie eben And One, die behaupten, das habe nichts mehr mit der ursprünglichen Musik und ihren Wurzeln zu tun und deswegen distanzieren wir uns davon.
Ich weiß nicht, ob man sich vom Grafen distanzieren muss. Was ich verstehe ist, wenn Bands wie And One oder andere nach zwei bis drei Auftritten sagen, dass sie nicht mehr weiter im Vorprogramm spielen wollen, nachdem sie gemerkt haben, dass es die Leute einen feuchten Kehricht interessiert. Das muss man nicht fortsetzen. Als Support verdient man im Regelfall kein Geld, sondern macht diese Auftritte aus Promotiongründen. Wenn es diesen Zweck nicht erfüllt, hört man damit eben wieder auf. Dafür verurteile ich keinen. Allerdings kann man das nur entscheiden, wenn man es ausprobiert hat.

Bis auf Heiner lebt ihr alle von der Musik. Er arbeitet hauptberuflich als Lehrer und hat nun mit „Reise“ seinen ersten Text, beeinflusst von einem Alltagsleben, zu WETO beigesteuert. Wie war das für euch? Hat er den übrigen vier Bandmitgliedern neue Blickwinkel aufgezeigt, da ihr keine Jobs mit klassischen Arbeitszeiten von 9 bis 17 Uhr habt?
Ich kann mich sehr gut erinnern, dass wir uns mit WETO bereits Mitte der 90er über diese Themen und Problematiken unterhalten haben. Damals steckten wir alle noch in unserem Studien- oder Arbeitsleben von 9 bis 17 Uhr. Das heißt, kennen tun wir das alle. Unser jetziges Leben ist ein wenig anders, allerdings in Wahrheit nur zeitlich verschoben. Wir können die Botschaft des Songs, dass man sich in einem Hamsterrad festrennt, also gut nachvollziehen. Dieses Gefühl ist auch weniger davon abhängig, welchem Beruf man nachgeht, sondern ein individuelles Empfinden, das jeder kennt. Insofern ist „Reise“ ein sehr schöner Beitrag von Heiner.

WETO behandelt oftmals negative Themen wie Burn-Out, Depression, das Internet als Gefahrenquelle oder religiöse bzw. wirtschaftliche Konflikte. Würde sich eure Musik auch für positivere Themen eignen?
Mit Sicherheit. Die Lieder kommen sowieso wie sie kommen. Es gibt keinen Plan im Vorhinein, im Rahmen dessen wir dieses und jenes Thema abhaken. Die Inhalte von „Schattenspieler“ haben sich dadurch ergeben, dass sie uns bewegt haben. Natürlich kann es auch Zeiten mit einer positiveren Grundeinstellung für ein WETO-Album geben. Das war jedoch bei den letzten beiden Werken nicht so. Außerdem haben wir die positive Einstellung mit Schandmaul bereits umfangreich abgedeckt. Mit WETO bedienen wir eher die Kehrseite der Medaille, dass es eben nicht Friede, Freude, Eierkuchen auf dieser Welt gibt. Deutsche Rockmusik gibt generell alles her und wenn das nächste WETO-Album von den Schlümpfen handelt, dann wird es eben so sein. Wem das ebenfalls gefällt, der ist dann immer noch dabei.

Liegt euch eines der Themen als „Brandherd“ besonders am Herzen, weil es viel zu sehr vernachlässigt wird?
Das große Thema von „Schattenspieler“ ist Gesellschaftskritik. Ich finde die momentane Zeit mit Social Networks etc. so schnelllebig. Es dreht sich alles schneller als es der Mensch selbst verträgt. Dadurch kommen Krankheiten wie Burn-Out, Depression und andere zustande. Teilweise fallen Menschen aus der Gesellschaft. Weil sich alles so schnell dreht, herrscht eine Gefühlskälte und jeder ist sich selbst der Nächste. Anstatt zusammen ein Bier trinken zu gehen, unterhält man sich heute über Facebook darüber, welches Klopapier man gerade gekauft hat. Da klickt dann einer „Gefällt mir“ und letztlich wundern sich die Leute, dass sie nur noch über Singlebörsen im Internet überhaupt Frauen kennenlernen. Wir gehen in Deutschland auf 85 Millionen Einwohner zu und vereinsamen immer mehr. Wir wollen mit WETO solche Zustände ansprechen ohne den mahnenden Zeigefinger zu erheben, sondern die Leute zum Reinhören und Nachdenken bewegen – ohne dass sie sofort „Gefällt mir“ anklicken.

Mit „Orient & Okzident“ oder „Glaubst du“ behandelt ihr mit Religion und Politik kritische Themen, an die sich nicht alle Musiker trauen. Gibt es Themenbereiche, zu denen ihr keinen Song veröffentlichen würdet?
Das kommt immer darauf an, wie sehr es mich berührt bzw. nervt. Wenn mich etwas zum Nachdenken bringt, dann rede ich darüber. Da gibt es dann keine Tabus. Denn wenn mich etwas rüttelt, gibt es mit Sicherheit Menschen, die das hören wollen.

Gab es Gedanken und Gefühle, die du nicht in einen Song umsetzen konntest?
Natürlich habe ich Gedanken, bei denen nicht sofort eine Leadmelodie in meinem Kopf präsent ist. Es gibt aber auch noch viele Sachen, die musikalisch oder textlich noch nicht angepackt wurden. Die Welt steht nach wie vor offen. Aber ich bin dafür offen. Wenn mich etwas bewegt und ich werde von der Muse geküsst, werde ich das in die Welt hinaus schreien.

Gab es schon solche Themen, zu jenen du Kopfkino hattest, die sich aber schnell wieder in Wohlgefallen aufgelöst haben?
Es ist das Schönste, wenn das passiert. Und es geschieht immer wieder.

Es gibt Nachrichten, die in den Medien nur rund zwei bis drei Wochen präsent sind und dann verschwinden…
Das passiert doch jedes Mal. Ich bin gespannt, wann über London keiner mehr spricht. Ich bin gespannt, wann über Somalia mal wieder keiner mehr redet. Dort herrscht seit drei Jahren Dürre. Jetzt ist medial Saure-Gurken-Zeit, also wird darüber berichtet, wie die Menschen dort verhungern und verdursten. Wenn die nächste Landtagswahl um die Ecke kommt, wird in den Medien kein Spendenaufruf mehr stattfinden. Als sich Robert Enke das Leben nahm, waren Depression überall ein Thema – im Stern, Spiegel, Focus und wie sie alle heißen. Einen Monat später hat danach kein Hahn mehr gekräht. Dadurch verschwindet die Krankheit aber nicht. Ich habe oft das Gefühl, dass die Mehrheit des Volks nur so lange über diese Themen nachdenkt, wie sie in der Bild-Zeitung stehen. In Wahrheit ist das schon wieder etwas, worüber man ein Lied schreiben könnte. Aus der Schlagzeile, aus dem Sinn.

Siehst du deinen Standpunkt in Bezug auf die Medien und die Gesellschaft als Risiko oder als Chance für WETO? Wie bringt ihr das musikalisch unter ein Dach? Einerseits wollt ihr CDs verkaufen, andererseits könntet ihr als zu unbequem und nicht stromlinienförmig genug gesehen werden.
Es ist eine Chance für die Menschen, die sich Gedanken darüber machen, dass sich langfristig etwas ändert, wenn sie etwas ändern. Das ist mit Sicherheit auf der anderen Seite unbequem. Das will ich mit WETO aber auch sein. Ich will das ansprechen dürfen und lasse mir von keinem das Maul verbieten.

Wo liegt der Reiz für dich im Gegensatz zu Schandmaul mit Synthies etc. zu arbeiten?
Ich darf’s wieder *lacht* Ursprünglich bin ich Keyboarder und komme aus der Ecke. Das habe ich gelernt und so habe ich mit meinen ersten Bands angefangen. Damals war ich noch kein Sänger. Bei Schandmaul macht das natürlich keinen Sinn, da wir diese Instrumente in Naturholz verwenden. Trotzdem steht hier ein Keyboard und ich möchte es verwenden. Mit Heiner haben wir einen großartigen Pianisten und wir entwickeln zusammen die unterschiedlichsten Ideen. Es macht Spaß, Orchestren und Bläsersätze zu entwerfen.

Fehlen bei WETO die weiblichen Schandmauleinflüsse bzw. wo liegen die Unterschiede, wenn nur Männer am Werk sind?
Ich glaube, das kann man nicht pauschalisieren. Bei Schandmaul haben wir sechs Musiker am Start, die über ein Jahrzehnt musikalisch wie menschlich zusammen gewachsen sind. Dazu trägt jeder seinen Teil bei und das ist etwas, dass auch nur auf diese Truppe zutrifft. Das kann man nicht auf andere Bands bzw. Musiker übertragen. Bei WETO erinnere ich mich daran, wie wir früher zehn Konzerte pro Jahr hatten und die eigentlichen Events hier im Proberaum stattgefunden haben. Das kennt jede Band. Da werden alle Freunde eingeladen und Musik gemacht. Die Leute wünschen sich dann diesen oder jenen Song noch einmal und jeder versuchte sich irgendwie hervorzuspielen. Die Lieder durften keinesfalls irgendwie geändert werden. Jetzt sind wir alle 20 Jahre älter und haben uns für „Schattenspieler“ hier eingeschlossen, um zu fünft zusammen Musik zu machen. Wir haben Ideen ausgetauscht und letztlich die bessere genommen. Sozusagen: Alles für den Dackel, alles für den Club. Es gab keine Eitelkeiten, weil wir sowieso drunter schreiben, dass alle daran beteiligt waren. Insofern zählt nicht der Einsatz des einzelnen, sondern das Ergebnis des Kollektivs. Jeder gibt 100 Prozent und das Wir ist viel größer geworden.

Mit „Zwei Raben“ habt ihr eine waschechte Ballade als vorletzten Track auf dem Album. Hast du das Lied für deinen Bruder geschrieben?
Nein, für meine Frau.

Wie kam’s dazu? Das Stück ist für WETO untypisch. In der Vergangenheit habt ihr auch Balladen gespielt, diese standen aber eher im Hintergrund. Wieso ist das Stück bei WETO und nicht bei Schandmaul gelandet?
Bei Schandmaul würde es wohl kein 3,5-minütiges Gitarrensolo geben. Da würden es eher in eine Minute Geige, eine Minute Flöte und eine Minute Gitarre aufteilen. „Wie Zwei Raben“ ist mit einer der persönlichsten Texte, die ich für „Schattenspieler“ geschrieben habe, da es sehr autobiografisch ist. Für mich gehört eine Ballade auf ein Album. In der Vergangenheit hat WETO großartige Balladen wie „Willst du“ oder „Sonnenstrahl“ geschrieben, die alle bei Schandmaul gelandet sind. Dieses Mal haben wir eine Ballade mit einem Happy End im Programm, die nicht so traurig ist wie „In Unsrer Mitte“.

Du arbeitest inzwischen mit deinem Bruder zusammen an einem Hörspielprojekt namens Gebrüder Thot. Gibt es da Überschneidungen, da eure Geschichten ebenfalls drastischer und direkter sind?
Man muss sagen, dass sich die Gebrüder Thot ebenfalls aufteilen. Mein Bruder Stephan ist der Autor, der sich die Geschichten ausdenkt und schreibt. Wenn man das mit WETO vergleicht, gibt es bei den Hörspielen unterschwellig ebenfalls eine Portion Gesellschaftskritik. Im gesprochenen Wort hat er allerdings mehr Platz und mehr Zeit, um subtil noch mehr abzufeuern als ich auf einer DIN A4-Seite.

Tauschst du dich zur Song und Ideenfindung mit deinem Bruder aus, der selbst musikalisch aktiv ist?
Mein Bruder ist einer der, wenn nicht der wichtigste Kritiker für mich außerhalb der Kapelle. Mein Bruder spielt kein Instrument, sondern ist Konsument. Ich kenne niemanden, der mehr CDs besitzt und als Konsument mehr Ahnung von Musik hat. Es ist für mich ein ganz wichtiger Punkt beim Schreib- und Entstehungsprozess eines Songs, dass er am Anfang, in der Mitte und am Ende seinen Senf dazu abgibt, da er von der anderen Seite kommt. Wir treffen uns regelmäßig, um gemeinsam Musik zu hören – nicht nur die eigene, sondern auch andere CDs, die er oder ich mitbringe. Darüber tauschen wir uns aus und davon bleibt natürlich etwas hängen. Irgendwann werden diese Erinnerungen dann vielleicht in Texten widergespiegelt.

Gab es schon Songideen, die er dir ausgeredet hat oder wo er von einer ganz anderen Seite kam als du? Oder tickt ihr als Brüder eher gleich?
Wir haben oft gleiche Impulse, gehen aber auch auf einander ein. Oftmals ändere ich dann etwas. Auf der anderen Seite sind wir natürlich Brüder, d.h. er würde niemals zu einem Text, in den ich mein Herzblut gesteckt habe, sagen „Was ist das für eine Scheiße?“. Stattdessen nimmt er sich die Zeit und versucht hinter den Gedanken zu kommen, den ich dabei hatte. Ausgehend davon schlägt er mir vor, was er anders machen würde.

Wenn du dich auf drei Stücke von WETO beschränken müsstest, um die Band vorzustellen, welche wären das?
Wir nehmen Themen in die Hand, die augenscheinlich unbequem sind. Wir machen definitiv Rock’n’Roll. Aber wenn man keine Lust auf das Thema hat, haben wir mit dem neuen Album einen Weg gefunden, durch den man die Thematik auch ausblenden und sich nur auf die Musik konzentrieren kann. Ich finde, wir haben auch sehr poppige Momente auf dem Album und Melodien, die man einfach mitpfeifen muss, wenn man sie ein-, zweimal gehört hat. Und wenn man den Text wiedergibt und darüber nachdenkt, dann verändert sich vielleicht irgendetwas.

Ist es für euch ungewohnt bzw. unbefriedigend, mit diesem Nebenprojekt, welches gleichermaßen Ursprung des Schandmaul-Erfolgs ist, so im Trüben zu fischen? Oder begreifst du das eher als Chance?
Es war definitiv enttäuschend, weil man falsche Vorstellungen, falsche Erwartungen hatte. Das musste man lernen. Diese Erwartung ist jetzt völlig weg, wir machen das jetzt für uns. Und jeder, der an dem Spaß, den wir hier in diesem Proberaum hatten, teilhaben will, ist herzlich eingeladen.

Wo sieht du zukünftig noch weitere Möglichkeiten, dich selbst zu verwirklichen?
Mein persönlicher Traum ist meine Stimme hier noch weiter zu verkaufen, und zwar in einem Bereich, in dem es egal ist, wie alt ich bin. Singen kann man bis zu einem gewissen Punkt. Die Stimme wird immer tiefer, man erreicht die hohen Töne nicht mehr. Das ist der Lauf der Natur. Ich würde gerne in diesen Hörspielbereich, speziell den Synchronbereich, reinkommen und würde mich freuen, wenn ich irgendwann so etwas wie den alternden Johnny Depp synchronisieren darf.

Eric Fish hat beispielsweise sein Nebenprojekt „Eric Fish & Friends“. Saltatio Mortis spielen zum Ausgleich mittelalterlich, Teufel macht nun einen Industrialableger. Gibt es Zweitprojekte, die für dich besonders hervorstechen?
Das hat ganz viel mit subjektivem Musikgeschmack zu tun. Eric Fish mit seinem Soloprojekt deckt bei mir persönlich im Plattenregal eine gewisse Sparte ab. Ich finde Subway To Sally super und liebe diese Musik. Aber wenn ich Eric mit seinem Projekt höre, dann wird da eine ganz andere Saite angeschlagen. Er ist ein ganz anderer Typ, wenn er auf seinem Stuhl sitzt und diese schöne, ruhige und nachdenkliche Musik im Liedermacherstil von sich gibt. Das ist etwas, was mir sehr gefällt. Ich mag außerdem Saltatio Mortis musikalisch, stehe aber tatsächlich nicht auf mittelalterliche Marktmusik. Dieses Zweitprojekt brauche ich persönlich nicht, da schaue ich mir lieber die Rockkapelle an. Aber das ist sehr subjektiv, ich kann nicht sagen, das ist gut oder schlecht. Das muss jeder für sich entscheiden.

Um abschließend noch einmal auf das WETO-Album zurückzukommen: wenn du die Scheibe mit einem Satz beschreiben müsstest, wie würde das dann aussehen?
An dieser Stelle muss ich einen Satz zitieren, der mir sehr gefallen hat: „WETO ist die Diagnose und Schandmaul ist die Medizin.“

Wortspiel:
Erfolg – wünschenswert
Macht – zweifelhaft
Die sieben Todsünden – relativ
Zukunft – wichtig
Gesellschaft – krank
Vergänglichkeit – richtig
Facebook – scheiße

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert