Konzertbericht: Carnifex w/ Within The Ruins, Fallujah, Boris The Blade

20.12.2015 Hamburg, Logo

Vier Tage vor dem sogenannten Fest der Liebe feiert das Hamburger Logo das Fest des Todes. Vier Bands aus Deathcore und Death Metal schaffen einen Ausgleich zum vorweihnachtlichen Adventsgedudel. CARNIFEX werden auf ihrer Tour „Decades Of Despair“ von WITHIN THE RUINS, FALLUJAH und BORIS THE BLADE begleitet.
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BORIS THE BLADE – die Figur eines Mafiavertreters in Guy Ritchies Gangsterkomödie „Snatch – Schweine und Diamanten“ – machen den Auftakt, was so manchen verärgert, da das Logo bis zuletzt The Last Ten Seconds Of Life auf dem Spielplan hatte, die jedoch bereits auf der ganzen Tour von den Australiern ersetzt wurden. Der Name passt: Sänger Daniel Sharp sieht nicht nur wie ein furchteinflößender Gangstertyp aus, er klingt auch so. Den technisch hochwertigen, aber unkomplizierten Deathcore seiner Instrumentalisten begleitet er mit aggressiven, ironiefreien Verdammt-harter-Typ-Shouts und -Blicken, die Herzschnittmacher explodieren lassen könnten. Das ganze Konzert gleicht einem cholerischen Ausbruch nach einem missglückten Superdrogen-Experiment einer geheimen Militärabteilung. Als Superschurke würde er das gesamte Avengers-Team zum Frühstück fressen und dann die Universumsgrenzen überschreiten, nur um Batman als Zahnstocher zu benutzen. Nicht, dass er über alle Maßen groß oder stark wäre, aber seine an Wahnsinn grenzende Aggression wirkt brutal genug, um postapokalyptische Auf-Leben-und-Tod-Cagefights wie einen Streichelzoo erscheinen zu lassen. Das Publikum der ersten Reihe dürfte sich heute traumatisiert in den Schlaf weinen. Vom ersten bis zum letzten Moment 100%igen So-dermaßen-aufs-Maul-Core, dass … dass … dass die Vergleiche ausgehen, gibt es auch auf dem aktuellen Album: „The Human Hive“.

Nach einer kurzen Verschnaufpause betreten FALLUJAH die Bühne – mit wesentlich weniger gruseliger Gangster-Attitüde und mit wunderbaren Death-Metal-Growls vom härtesten Ende der Skala. Dazu gibt es spannend gespielten komplexen Technical Death Metal mit vielen progressiv-atmosphärischen, gelegentlich wie Highspeed-Doom klingenden Parts, neben denen Alex Hofmanns hochwertiger Gesang wie der einfachste Part dieser Performance wirkt. Finger flitzen über Gitarrensaiten und auch der Bass darf manchmal in den Vordergrund. Wenn die höchst konzentrierten Saitenmusiker tatsächlich mal eine Lücke finden, lassen sie für eine knappe Sekunde ihre sehr langen Haare fliegen. Der Aufruf zum Circle Pit wird bereitwillig umgesetzt und durch ein „Don’t Carnifex-Tour-Bildstop!“ wirkungsvoll verstärkt. Gerade zum Ende hin entfernen sich FALLUJAH unter anderem mit exzessivem Doublebass-Geprügel weiter vom melodischen Death Metal hin zum Deathcore. Das aktuelle Album „The Flesh Prevails“ ist – fast noch etwas mehr als das Liveprogramm, zumindest im klanglich manchmal nicht ganz einwandfreien Logo – sehr empfehlenswert.

WITHIN THE RUINS lassen den Abend wieder tiefer in Core-Genres wühlen, während der Death-Anteil – ohne ganz zu verschwinden – nun eine Weile hintergründig wird. Die Bezeichnungen Progressive Metalcore oder Mathcore vermögen die Musik ganz treffend zu beschreiben: Eine Schnittmenge von Metalcore und Technical Death Metal, in der Sänger Tim Goergen eine ansprechende, sehr harte Shout-Art an den Tag legt. Star der Band ist aber unbestritten der Gitarrist Joe Cochhi, dessen Gefrickel auf extrem hohem Niveau die Songs trägt und die Einzigartigkeit der Musik bestimmt. Das macht es relativ anstrengend, WITHIN THE RUINS zuzuhören, aber genau das macht den Auftritt dieser Band auch zum reinsten Vergnügen. So sieht man den höchstgradig motivierten Fans ihren Bewegungshunger und Begeisterung, aber auch ihre Planlosigkeit im Umgang mit der Songstruktur an. Der Frontmann begegnet dieser Orientierungslosigkeit mit vielen Ansagen und Anweisungen zum Abgehen. Letztendlich einigen sich alle auf gemeinsames Springen und nur gelegentliches Geschubse sowie lautstarkes Mitgrölen mit erhobener Faust beim Song „Elite“. Trotz einer leichten – interessanterweise nicht langweiligen – Monotonie liefern WITHIN THE RUINS einen hervorragenden Auftritt ab. Die Alben wie zum Beispiel „Elite“ und „Phenomena“ eignen sich für alle Core-Begeisterten, die gehobenen Anspruch schätzen.
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Als die ersten Töne von CARNIFEX aus den Boxen dröhnen, sinkt die gefühlte Raumtemperatur schlagartig um mindestens 10 Grad ab, Gänsehaut legt sich über das Publikum und Deathcore, der das Attribut Death zu 100% verdient, beginnt, die Trommelfelle zu malträtieren. Für die Dauer des Konzerts wird jedes unsinnige Konzept von Seele aus dem Körper verbannt und durch ultimativen Lärm aus einem Winkel der Hölle ersetzt, IMG_0691den Satan selbst aus Angst nicht betritt. Der gerade erst gebildete Circle Pit verliert jegliches Orientierungsgefühl und läuft wirr aus- und gegeneinander, die Springer und Mosher erstarren und werden zurückgeworfen in eine Welt urzeitlicher Angstzustände. Diese Schreckstarre hält jedoch nur für einige Sekunden, nach denen sich eine ebenso basale Zufriedenheit ausbreitet. Scott Ian Lewis‘ Stimme ist Instant-Therapie, wie eine Droge, die den Körper mit Endorphinen flutet und in einen wohlig betäubenden Rausch schickt. Zu Risiken und Nebenwirkungen tragen Sie Gehörschutz oder verzichten Sie auf einige Hörfrequenzen! Und falls es heute Nacht beim Wasserlassen schmerzt, liegt das daran, dass CARNIFEX deine Nierensteine gesprengt haben. Zu dieser perfekten Wohlfühlmusik springt die glückliche Masse ekstatisch durcheinander, gegeneinander und vereinzelt auch übereinander. Die drei großartigsten Phasen sind wohl der Klassiker „Slit Wrist Savior“, der Titeltrack der neusten Platte „Die Without Hope“ und der letzte Song des Abends „Hell Chose Me“. Vor allem Menschen mit einer sehr guten Anlage und sehr, sehr toleranten oder weit entfernten Nachbarn sei das aktuelle Album „Die Without Hope“ nahegelegt – allen anderen auch, aber dann mit guten Kopfhörern!

Death! Death! Death! Wow, was für ein Death-Fest! Wie die vier Reiter der Apokalypse sind die Bands mit Nonstop-Vollgas durch den Abend gebrettert: BORIS THE BLADE mit aggressivem Deathcore, FALLUJAH mit atmosphärischem Technical Death Metal, WITHIN THE RUINS mit gitarrenverspieltem Progressive Metalcore und CARNIFEX mit wohltuend-reinigendem, über alle Maßen gewaltigen Straight-From-Hell-Deathcore. Das nächste CARNIFEX-Konzert kann kommen – es muss kommen! Möglichst bald! Bitte!

Publiziert am von Jazz Styx (Gastredakteur)

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