Konzertbericht: Hypocrisy w/ Septicflesh, The Agonist, Horizon Ignited

29.10.2022 Ingolstadt, Eventhalle Westpark

Wer 2022 in einer deutschen Großstadt auf ein Konzert gehen möchte, hat die Qual der Wahl: Quasi täglich finden derzeit (Metal-)Shows statt. Wer 2022 eine Tour buchen wollte, hatte es genau deshalb mitunter schwer – die Zahl der Locations ist in der Pandemie allenfalls gesunken, und die verbliebenen Clubs sind nun fast immer ausgebucht.

Die Überbelegung der Konzert-Locations dürfte auch der Grund dafür sein, dass die erst im April 2022 angekündigte Tour von HYPOCRISY, SEPTICFLESH, THE AGONIST und HORIZON IGNITED nicht in München, sondern im etwa 80 km nördlich gelegenen Ingolstadt Halt macht. Dorthin auszuweichen erweist sich allerdings schnell als findige Entscheidung: Denn während in der konzertübersättigten Landeshauptstadt viele Veranstaltungen mehr schlecht als recht laufen, scheinen die Ingolstädter noch heiß auf Konzerte zu sein – und für eingefleischte Fans aus München ist auch Ingolstadt noch gut erreichbar.

So ist der Andrang vor der Eventhalle Westpark schon zum Einlass groß und HORIZON IGNITED, die den Konzertabend um 18:30 Uhr eröffnen, dürfen sich bereits über eine anständige Zuschauerzahl freuen. Und das tun sie auch: Bestens aufgelegt und bis über beide Ohren motiviert gelingt es den Finnen schnell, das Publikum für sich zu gewinnen. Der Melodic Death Metal des erst 2017 gegründeten Sextetts gewinnt zwar keinen Innovationspreis, ist aber durchaus unterhaltsam – auch, weil Fronter Okko Solanterä, der mit Markus Vanhala von Insomnium auch bei I Am The Night aktiv ist, in jeder Hinsicht einen verdammt guten Job macht. So überzeugt nicht nur sein Gesang – und zwar beim Screaming wie auch im Klargesang – auf ganzer Linie. Auch die sympathischen Ansagen, mit denen er etwa kleinere technische Probleme an der Gitarre geschickt überspielen kann, holen das Publikum direkt ab und tragen einen großten Teil dazu bei, dass HORIZON IGNITED nach ihrem knapp 45-minütigen Set völlig zu Recht mit kräftigem Applaus bedacht werden.

  1. Servant
  2. Guiding Light
  3. Equal In Death
  4. Reveries
  5. Carry Me
  6. Leviathan
  7. Eventide Of Abysmal Grief
  8. Towards The Dying Lands

Nur eine Viertelstunde später erlischt das Licht bereits wieder für THE AGONIST. Das ist insofern wörtlich zu verstehen, als die Band aus Kanada statt einer grellbunten Lightshow (wie noch Horizon Ignited) auf wenig Licht und viel Nebel setzen. Auch die fröhlichen Melodien ihrer Vorreiter putzen THE AGONIST den Fans schnell aus den Ohren – hier wird nämlich eine deutlich brutalere Melo-Death-Variante geboten. Dass diese stilistisch gar nicht so weit von Arch Enemy entfernt anzusiedeln ist, dürfte einer der Gründe sein, warum sich THE-AGONIST-Mitbegründerin Alissa White-Gluz dort so gut eingefunden hat. THE AGONIST wiederum haben wahrlich keinen Grund, Alissa noch nachzutrauern: Mit Vicky Psarakis steht hier seit 2014 eine stimmlich wie charakterlich patente Frau am Mikrophon. Treffsicher im Klargesang, kraftvoll im Screaming und rundum sympathisch in den Ansagen macht die Fronterin zumindest teilweise wett, dass das Songmaterial von THE AGONIST in seiner maximalen Brutalität auf die Dauer von rund 45 Minuten Spielzeit dann doch etwas monoton wird.

  1. In Vertigo
  2. Blood As My Guide
  3. Remnants In Time
  4. Resurrection
  5. Follow The Crossed Line
  6. Burn It All Down
  7. Immaculate Deception
  8. Days Before the World Wept

Dieses Risiko besteht bei SEPTICFLESH heute ganz gewiss nicht. Als die Band um 20:30 Uhr auf die Bühne kommt, herrscht in der Eventhalle Ingolstadt direkt Headliner-Stimmung. Und tatsächlich erweisen sich die Griechen dieser Vorschusslorberen heute mehr als würdig. Wirkten SEPTICFLESH in der Vergangenheit oft dröge, waren übertrieben kostümiert und hatten durch die unzähligen Backingtracks den fragwürdigen Charme einer Metal-Karaoke-Veranstaltung, stimmt heute einfach alles.

Untermauert vom so vielseitigen wie präzisen Schlagzeugspiel von Ausnahme-Drummer Kerim „Krimh“ Lechner bauen SEPTICFLESH bedrohliche Klangwände auf, die von den eingespielten Samples stimmig ergänzt aber nie getragen werden. Dass Fronter Sotiris Vayenas, statt in seinen früheren „Muskel-Panzer“ heute in ein deutlich schlichteres Kostüm gewandet, bei so ziemlich jedem Song entweder die Devilhorns sehen oder Hey-Rufe hören will, wirkt bei zehn Songs und knapp einer Stunde Spielzeit zwar irgendwann etwas arg vorhersehbar. Ihre Wirkung verfehlen die so vehement eingeforderten Anfeuerungsrufe aber zugegebenermaßen ebensowenig wie die mit Inbrunst mitgesungene Melodie von „Anubis“. Genau so müssten SEPTICFLESH-Songs immer klingen!

  1. Portrait Of A Headless Man
  2. Pyramid God
  3. Neuromancer
  4. The Vampire From Nazareth
  5. Hierophant
  6. Martyr
  7. Communion
  8. A Desert Throne
  9. Anubis
  10. Dark Art

Nach einem solchen Abriss durch eine Vorband haben es die „echten“ Headliner oft schwer. Nicht so HYPOCRISY, zumindest nicht hier und heute. Schon als sich Peter Tägtgren und Konsorten mit dem Opener „Worship“ aus einer dichten Nebelwand schälen, fliegen im Publikum die Haare. Dass die Schweden mit „Fire In The Sky“, „Mind Corruption“ und „Eraser“ sodann drei Oldschool-Klassiker folgen lassen, heizt die Stimmung weiter auf und sorgt für einen wilden Moshpit in der Hallenmitte. Obschon sich der mittlerweile gänzlich ergraute Frontmann mit Ansagen weitestgehend zurückhält, ist allen drei Saiteninstrumentalisten förmlich anzusehen, wie sie die geradezu euphorischen Reaktionen der Fans genießen. Einzig Henrik Axelsson, der bei HYPOCRISY seit Horghs Ausstieg am Schlagzeug sitzt, wirkt eher gelangweilt. Das mag allerdings auch daran liegen, dass die schnörkellosen Beats, die er spielt, nicht nur im direkten Vergleich zu Krimhs Schlagzeugmagie eher stumpf sind.

Alles andere als stumpf ist hingegen die Setlist, mit der HYPOCRISY ihre Fans auf dieser Tour überraschen: Wie sich bereits mit den ersten Stücken angedeutet hat, haben die Schweden ein Best-Of-Set vorbereitet, das diesen Namen wirklich verdient hat: Bei der Songauswahl berücksichtigen HYPOCRISY tatsächlich sämtliche 13 Alben ihrer Karriere. Dass da auch bei fast 90 Minuten Spielzeit kaum ein Album mit mehr als einem Song repräsentiert ist und selbst vom aktuellen Werk „Worship“ nur drei Tracks gespielt werden, ist absolut verkraftbar. Schließlich kommt man bei dieser eindrucksvollen Retrospektive auf die nunmehr 30-jährige Bandgeschichte dafür in den Genuss echter Live-Raritäten wie dem zuletzt 2007 gespielten „Impotent God“ („Penetralia“), dem seit 20 Jahren nicht mehr live dargebotenen „Don’t Judge Me“ („Catch 22“) oder eben „Mind Corruption“ („The Forth Dimension“, 1994), das 2022 erstmalig seinen Weg auf die Bühne gefunden hat.

Dass der gelungen ausbalancierte Sound diese Death-Metal-Perlen in all ihrer Schönheit erstrahlen lässt, beraubt die mitunter etwas ratlos dreinblickenden Fans jedweder Ausrede: Wer hier und heute nicht alle Songs mitsingen (oder zumindest erkennen) kann, muss sich wohl oder übel an die eigene Nase fassen und seine HYPOCRISY-Kenntnisse auffrischen. Doch auch von vermeintlich „unbekannten“ Stücken lassen sich die Fans nicht in ihrer Begeisterung einbremsen – zumal sich dazwischen allerhand allbekannte Klassiker tummeln: Als HYPOCRISY nach „War-Path“ und „The Final Chapter“ kurz die Bühne verlassen, erschallen laute Forderungen nach einer Zugabe. Und selbst, als nach weiteren drei Songs auch das obligatorische Roswell 47“ als Konzertabschluss verklungen ist, scheinen einige Fans noch lange nicht genug zu haben.

  1. Worship
  2. Fire In The Sky
  3. Mind Corruption
  4. Eraser
  5. Inferior Devoties
  6. Chemical Whore
  7. Until the End
  8. Don’t Judge Me
  9. End Of Disclosure
  10. Weed Out The Weak
  11. Children Of The Gray
  12. War-Path
  13. The Final Chapter
  14. Fractured Millennium
  15. Impotent God
  16. Adjusting The Sun
  17. Roswell 47

Die Eventhalle Westpark in Ingolstadt erweist sich für diese Tour als wahrer Glücksgriff: Vor dem hingebungsvollen, anscheinend noch nicht vom Überangebot ermatteten Publikum und bei durchweg tadellosen Soundbedingungenkönnen sich alle vier Bands von ihrer besten Seite zeigen. Dass ausgerechnet die live oft eher drögen SEPTICFLESH heute so bärenstark abliefern, ist fraglos die größte Überraschung des Abends – wenngleich man auch HYPOCRISY lange nicht so motiviert und spielfreudig erlebt hat. Mit vier absolut sehenswerten Auftritten ist dieses Package selbst in dieser an großen und stark besetzten Touren reichen Zeit ein echtes Jahreshighlight!

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert