Konzertbericht: Laternen-Joe (Die Ärzte)

19.04.2011 Fürstenfeldbruck, Veranstaltungsforum Fürstenfeld

Von Joscha Sauer gibt es da einen Cartoon, in welchem ein Mann einem Elefanten untersagt, in seiner Küche einen geheimen Elefantenfriedhof zu gründen – woraufhin dieser recht nüchtern feststellt: „Geheim ist der sowieso nicht mehr, wenn sie so rumschreien“.
An ebendieses Dilemma zwischen geheim und, irgendwie der Natur der Sache entsprechend, notwendigerweise auch publik fühlte ich mich erinnert, als ich von diversen Internet-Seiten über die DIE ÄRZTE-Geheimtour informiert wurde. Doch ich will nicht klagen, wäre ich, der ich zugegebenermaßen wohl das exakte Gegenteil eines Die-Hard-Fans der Band bin, sonst vermutlich nichteinmal auf die Idee gekommen, mir die Band mal wieder anzuschauen. Doch, mit der Erinnerung an das Konzerterlebnis des DIE ÄRZTE-Konzerts in der Olympiahalle im Rahmen der „Unrockstar“-Tour 2004 im Hinterkopf, war die Verlockung groß, sich das Trio auch einmal im familiären Setting einer Geheimtour anzuschauen – und siehe da, obwohl das Verkaufssystem, das wohl zum Ärger manchen Fans moderne Bezahl-Varianten wie PayPal völlig vernachlässige und Ticketbestellungen lediglich per Kreditkarte exklusiv über die Homepage der Band ermöglichte, klappte die Kartenbestellung überraschend problemlos, so dass nur wenig später mein Ticket für das Konzert der Band LATERNEN-JOE aus Massachusetts in meinem Briefkasten landete.
Und auch, wenn es durch die Medienberichterstattung von Anfang an kein großes Geheimnis war, dass sich hinter Jack, Julia und Jealousy Laterne niemand anderes als „der eine Gott: BelaFarinRod“ verbirgt, so muss man dem Trio immerhin eines lassen: Liebevoll gemacht ist das Täuschungsmanöver schon. So gibt es neben einem schicken Bandlogo sowie einer Homepage mit Bio- und Diskographie der LATERNEN auch diverse Songs, welche recht authentisch nach der jeweiligen Zeit, aus der sie zu stammen vorgeben, klingen.

Und so heißt es also für mich auf nach Fürstenfeldbruck, denn, auch das ist klar: LATERNEN-JOE spielen natürlich nicht in den gängingen Locations der betourten Städte. Ein kleiner Hund liegt leider schon hier begraben, ist das Veranstaltungsforum Fürstenfeld doch nicht unbedingt auf Live-Konzerte dieser Art ausgelegt und, ich gehe noch einen Schritt weiter, dafür auch nicht unbedingt optimal geeignet: Durch den extrem hohen Saal und sein steriles, unpersönliches Stadthallen-Ambiente wirkt das Konzert weit größer, als es eigentlich ist, und lässt so etwas den erhofften, familiären Charme vermissen. Auch die ebenfalls besetzte Empore schlägt in die gleiche Kerbe – ist, wer sich bei der Ticketbestellung für Emopren-Tickets entschieden hatte, doch dazu verdammt, das komplette Konzert zwischen fest montierter Bestuhlung von oben anzuschauen.
Nach lautstarken „Ich gehe mit meiner Laterne“-Chören seitens des Publikums geht es um Punkt 20:00 los – stilecht, natürlich, mit den LATERNEN-JOE-Songs „Parlez Vous Laterne“ und „Hymne wider Willen“. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt kann sich Farin aka Jealousy einen Kommentar nicht verkneifen, der auf die Ereignisse beim Auftakt-Gig am Tag zuvor in Zwickau anspielt… dort hatten LATERNEN-JOE ihr von dreistündigen DIE ÄRZTE-Konzerten verwöhntes Publikum mit einem 90-Minuten-Set düpiert. So ziehen sich Spielzeit-Witze von „Das Ganze hier ist ja gleich wieder vorbei“ bis „jetzt sind wir schon 5 Minuten über der Zeit“ um 21:35 durch das komplette Set.
Dass die Musiker die teils heftigen Reaktionen am Tag zuvor nicht ganz unberührt gelassen haben, zeigt jedoch die Setlist des heutigen Abends: Man werde nun ein Album spielen, welches LATERNEN-JOE geprägt, ja, erst möglich gemacht habe, kündigen die drei Herren für viele Anwesende wohl das Highlight des Abends an. Man werde nun das komplette „Debil“-Album am Stück darbieten – „geschrieben von den ÄRZTEN, heruntergestimmt von LATERNEN JOE“. Ein strategisches Husarenstück, wenn man so will, schlägt man damit doch diverse Fliegen mit einer Klappe: Die Fans sind glücklich, weil sie in den Genuss rarer Tracks kommen, die Setlist wird von 90 auf unanfechtbare 120 Minuten gestreckt und, nicht zu vernachlässigen bei der Spontan-Band DIE ÄRZTE: Das Material ist so einfach, dass man es auch ohne Üben auf die Bühne bringen kann. Naja, zumindest fast.
So ganz geht die Rechnung dann doch nicht auf, scheitern Bela B. und Farin doch bereits in „Scheißtyp“ am Text, genauer der Strophenreihenfolge – und das, obwohl Bela B. den Text zum Mitlesen sogar neben sich liegen hat. Songabbruch, Diskussion und anschließend eine Wette, wer wohl recht hat, folgen – ganz so spontan und chaotisch, wie man es von den ÄRZTEN kennt, und doch, zumindest für meinen Geschmack etwas befremdlich, bin ich doch grundsätzlich der Meinung, dass es von einer Band auf Profiniveau wohl nicht zu viel verlangt wäre, Unsicherheiten bezüglich lange nicht mehr gespielter Songs vor der Show abzuklären.
Den passenden Humor für derartige Gags muss der DIE ÄRZTE-Fan aber sowieso mitbringen – besteht doch ein nicht zu vernachlässigender Teil der Show mehr aus Comedy, denn aus Songs: Es wird über alles Mögliche gelästert und gescherzt, sei es nun der twitternde und facebookende Wut-Fan oder der missgünstige Redakteur, der der Band, trotz des offensichtlichen Spasses, den sie hier auf der Bühne hat, reines Kommerzdenken und unmotiviertes herunterspielen der Lieder vorwirft.
Letzteres wäre heute jedoch wirklich nicht haltbar, lässt die Band doch sichtlich von sich und der Welt begeistert keinen Zweifel daran, dass sie heute motiviert und gutgelaunt ist. Dass der Funke dennoch nicht zu 100% überspringen will, mag einerseits an der eingangs beschriebenen Hallensituation liegen, welche die Stimmung zwischen den Songs recht schnell abreißen lässt, andererseits jedoch schlicht und ergreifend am Publikum selbst:
So hat man bei vielen Besuchern den Verdacht, sie hätten ein „normales“ DIE ÄRZTE-Konzert erwartet – und wären deshalb nun enttäuscht, dass die Berliner nicht all ihre Bandhymnen zum Besten geben… und so schließt sich der Kreis:

Denn wenn man ehrlich ist, hat niemand etwas von einer „Geheimtour“, die wie eine normale Tour promotet wird und lediglich „geheim“ ist, weil die Band unter einem anderen Namen (der aber bekannt ist) auftritt und die Tickets exklusiv über die bandeigene Seite zu beziehen sind. Denn wo „Geheimtour“ bei den ÄRZTEN früher hieß, dass man exklusiv vor Fanclub-Mitgliedern auftrat, welche als Die-Hard-Fans natürlich um jeden Song, der es sonst nicht ins Set schafft, froh waren, hat man heute eher das Gefühl, das Publikum bestünde zu einem großen Teil aus Nebenbei-auch-DIE ÄRZTE-Hörern, welche eher durch die Exklusivität des Events als Solche, denn durch deren eigentlich leicht vorhersehbare Folgen angelockt wurden. Zumindest ist anders kaum zu erklären, dass eigentlich nur die bekannten Hits, sei es nun „Claudia hat ’nen Schäferhund“, „Zu Spät“ oder der obligatorische „Schrei nach Liebe“, richtig abgefeiert werden, während das Publikum andere Nummern fast schon apathisch hinnimmt, wie auch Farin Urlaub gegen Ende des Gigs nüchtern feststellt: „So richtig gerockt seht ihr noch nicht aus… zumindest nicht so gerockt, wie wir euch gerne hätten!“


Nachdem die komplette Tour breits ausverkauft ist, wäre eine Empfehlung an dieser Stelle reichlich sinnlos – dennoch sei zumindest für die glücklichen Besitzer eines Tickets eine „Warnung“ ausgesprochen: Wer sich von einem LATERNEN-JOE-Gig ein normales DIE ÄRZTE-Konzert erhofft, könnte enttäuscht werden. Für eingeschworene Fans ist die Tour aber natürlich ein Muss, nicht zuletzt des Tour-exklusiven LATERNEN-JOE-Shirts wegen, welches – hier gibt sich die Band geschäftstüchtig – für schlappe 25€ verkauft wird. Warum man jedoch darauf verzichtet hat, die LATERNEN-JOE-Songs auf CD zu pressen und ebenfalls anzubieten, ist mir hingegen absolut schleierhaft.

Setlist:
01. Parlez vous Laterne
02. Hymne wider Willen
03. Laternen Charge
04. Ärzte-Theme (Instrumental)
05. Scheißtyp
06. Paul
07. Kamelralley
08. Frank’n’stein
09. El Cattivo
10. Claudia hat ’nen Schäferhund
11. Mädchen
12. Mr. Sexpistols
13. Micha
14. Zu spät
15. Roter Minirock
16. Schlaflied
17. Erna P.

18. Deine Schuld
19. Himmelblau
20. Geld

21. Rebell
22. Omaboy
23. Dein Vampyr
24. Schrei nach Liebe

25. Am Ende meines Körpers
26. A-Moll
27. Geh mit mir
28. Junge

29. Uns geht’s prima

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