Konzertbericht: Marilyn Manson w/ Amazonica

20.11.2017 Wien, Gasometer (Bank Austria Halle)

2017 dürfte für MARILYN MANSON als durchwachsenes Jahr in die Bandannalen eingehen – die Fans bekamen dafür schon alle Facetten des Rockstars zu sehen: Nach dem Tod des geliebten Vaters im Juli zeigt sich MANSON emotional und verschiebt sein Album „Heaven Upside Down“ in den Herbst. Auf dem Wacken Open Air liefert er eine desaströse Show ab und beschimpft das Publikum. Nach leichtsinnigem Herumturnen an der Bühnendeko landet der Rocker im Oktober mit gebrochenem Fuß im Krankenhaus. Und nach einem Missbrauchsskandal um seinen Bassisten Twiggy Ramirez zögert er nicht lange und wirft seinen langjährigen Weggefährten trotz anstehender Tour ohne lange zu fackeln aus der Band.

Für viele andere Bands hätte das das Ende der Tour bedeutet. Nicht so bei MARILYN MANSON. Aus der Not macht er eine Tugend, ersetzt Ramirez kurzerhand durch Juan Alderete und ringt sogar seiner misslichen Lage, bedingt durch eine klobige Beinschiene, noch etwas Gutes ab: ein neues Bühnenkonzept.

Zunächst steht im Wiener Gasometer um 20:00 Uhr jedoch die DJne AMAZONICA auf der Bühne. Damit ist eigentlich auch schon alles gesagt – viel mehr passiert im halbstündigen Auftritt der Solokünstlerin nämlich nicht. Was mit Techno-Remixes bekannter Metal-Stücke beginnt, bekommt im weiteren Verlauf des Auftritts immer mehr den Charakter einer schlechten Party, bei der sich drei Metalfans um die Musikauswahl streiten: AMAZONICA lässt einen Metal-Klassiker anlaufen, um kurz darauf, einer neuen Eingebung folgend, zum nächsten Song zu springen. So geht die Reise von Refused über Nirvana zu Metallica und Sepultura. Die kreative oder gar künstlerische Eigenleistung zu erkennen, fällt schwer. Der Applaus jedenfalls dürfte eher symbolisch den gespielten Bands als AMAZONICA selbst gelten.

Eine Dreiviertelstunde später betritt MARILYN MANSON zum Intro des brandneuen Hits „Revelation #12“ die Bühne – oder besser gesagt: befährt. MANSON sitzt in einem zum Thron umgestylten E-Rolli. Ganz so schlimm ist es um die Gesundheit des Amerikaners jedoch zum Glück nicht bestellt: Bereits zum folgenden „The Golden Age Of Grotesque“-Kracher „This Is The New Shit“, der in der aktuellen Umsetzung nurmehr wenig elektronischen Charakter, dafür ein Nirvana-Snippet („Rape Me“) aufweist, lässt sich MANSON eine Stützkrücke für das verletzte Bein anschnallen.

Mal im Rollstuhl, mal auf einer Bahre und stets von zwei mit OP-Kitteln und Mundschutz kostümierten Bühnenhelfern begleitet: Im weiteren Verlauf des Abends nutzt MANSON seine körperliche Einschränkung eher als Showelement, als dass er sich davon ernstlich behindern ließe.

Generell lässt sich der Schock-Rocker nicht gerne limitieren – schon gar nicht von bürgerlicher Moral. So ist es nicht wirklich überraschend, dass er mit einem improvisierten Charles-Manson-Cover „Sick City“ seines am Vortag verstorbenen Namensgebers gedenkt. Ohne über diesen zu urteilen, wie er betont. Aber irgendwer müsse es ja schließlich tun.

Die Spontaneität der Aktion ist nicht zu überhören: MANSON braucht drei Anläufe und dezidierte Instruktionen seines Gitarristen Tyler Bates, um schließlich seinen Einsatz in den musikalisch sehr simpel gestrickten Song zu finden. Besser läuft es mit dem folgenden „Kill4Me“, das textlich durchaus auch Parallelen zur Geschichte des Sektenführers, der seine Jüngerinnen für sich morden ließ, aufweist.

Stimmungsvoll ausgeleuchtet und mit glasklarem Sound gesegnet, führt MARILYN MANSON anschließend weiter quer durch seine Diskographie: Hits wie „The Dope Show“, das Eurythmics-Cover „Sweet Dreams (Are Made Of This)“ oder „The Beautiful People“ treffen auf vergleichsweise neue Songs („Deep Six“, „1°“, „Say10“), so dass die Darbietung ein gutes Bild dessen vermittelt, wofür der Name MARILYN MANSON seit bald 30 Jahren steht. Am Ende der knapp 80-minütigen Show gibt es mit „Coma White“ nochmal einen echten Gänsehautmoment, bevor der Meister ohne ein weiteres Wort an das Publikum die Bühne verlässt.

  1. Revelation #12
  2. This Is The New Shit
  3. Disposable Teens
  4. mOBSCENE
  5. Sick City (Charles-Manson-Cover)
  6. Kill4Me
  7. Deep Six
  8. The Dope Show
  9. Sweet Dreams (Are Made Of This) (Eurythmics-Cover)
  10. Tourniquet
  11. We Know Where You Fucking Live
  12. Say10
  13. The Beautiful People
  14. Coma White

Dass MARILYN MANSON die Tour trotz seines Unfalls und der damit einhergehenden Umstände durchzieht, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit – allein dafür gehört dem Rockstar Respekt gezollt. Zwar ist er durch die klobige Beinschiene hinsichtlich seines Stage-Actings unübersehbar eingeschränkt. Jedoch versucht er auch erst gar nicht, sein Handycap zu kaschieren, sondern setzt es mit einer durchdachten Inszenierung geschickt in Szene und macht so das Beste aus der misslichen Situation. Zumal seine heutige Performance als Sänger und Entertainer davon unbeeinflusst gut ist: Er scherzt, entschuldigt sich mehrfach beim Publikum für seine Unpässlichkeit, bedankt sich bei den Fans dafür, dass sie trotzdem gekommen sind und präsentiert sich stimmlich in Bestform. Raum für Kritik an dieser Show gibt es demnach kaum, zumal MARILYN MANSON die Tour-Routine mit dem spontanen Charles-Manson-Cover durchbricht und dem Wiener Publikum heute sogar noch ein kleines Extra-Schmankerl zu bieten hat.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kiki Heindl / VOLUME.at

Mehr über MARILYN MANSON erfahrt ihr in unserem Band-Special:

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