Festivalbericht: Metal For Mercy 2008

22.10.2008 Witten

Zwischen Wacken und Rock am Ring auf der einen und Summerbreeze und dem Metal Camp als Beispielen für große Metalfestivals, hat sich das kleine aber feine METAL FOR MERCY im Ruhrpott in seiner mittlerweise fünften Auflage als ernstzunehmende Alternative etabliert. Zum dritten Mal war die Wittener Werkstadt der Veranstaltungsort, der übliche Benefizbeitrag ging in diesem Jahr an Kinderherzen heilen e.V., ein Verein, der sich für die Behandlung und Unterstützung von herzkranken Kindern und ihren Familien einsetzt. Wie jedes Jahr einfach eine tolle Sache, der höchster Respekt gezollt werden sollte.

So machte ich mich am Freitag gutgelaunt auf den Weg, die Anreise per Fuß dauert ja lediglich 20 Minuten, dennoch verpasste ich die ersten beiden Bands (18 Uhr ist an einem Freitag auch wirklich ein sehr zeitiger Start), was ich insofern etwas schade fand, da Dyrathor sich nach einer nordischen Hirschkuh benannt haben, was sicherlich ein hochinteressanter Aspekt ist. Lane haben den Openercontest für den Freitag gewonnen und wären somit als eines der Highlights anzusehen gewesen. Leider für die Jungs hatten sich auch viele andere erst später auf den Weg gemacht, so dass um kurz nach sieben, der Auftritt von Beltane hatte gerade angefangen, knappe 80 Nasen im großen Saal der Werkstadt anzutreffen waren.

Musikalisch waren die Jungs wirklich nicht schlecht, progressiver Deathmetal untermalt mir expressionistischen Texten der Dichter Georg Trakl oder August Stramm sollte beim freitäglichen Billing nicht allzu schlecht ankommen. Tatsächlich legten die Herrschaften einen ordentlichen Gig hin, unterm Strich ist aber ein Erstkontakt mit 10-minütigen Liedern vielleicht nicht unbedingt die sicherste Variante, um mit einer Band warm zu werden. Egal, ein paar Headbanger legten es wohl auf Nackenschmerz de Luxe an und bangten bereits zur frühen Stunde mit brachialer Inbrunst.

Nach Beltane ging zunächst einmal der Blick zur Uhr, ein etwas aufgescheuchter Veranstalter Flo ließ den richtigen Rückschluss zu: der Zeitplan war schon jetzt nicht einmal mehr annähernd einzuhalten, Leichenwetter aus Iserlohn stiegen bereits mit einer halben Stunde Verspätung auf die Bretter. Laut Sänger Numen ein denkwürdiger Abend, da Leichenwetter zum ersten Mal ohne Keyboarder Rudiator spielten, was meiner Meinung aber weder positiv noch negativ ins Gewicht fiel. Da es aber so groß angekündigt wurde, wollte ich nicht darauf verzichten, es hier noch einmal zu erwähnen, vielleicht fühlt sich der eine oder andere ja mehr angesprochen als ich. Geboten wurden weitgehend bekannte Stücke wie Altes Lied, welches sich mir in seiner offensichtlichen Eingängigkeit aber noch nie so richtig erschließen konnte. Klage kommt vom brandneuen Album und sorgte nicht nur in seiner gelungenen musikalischen Ausarbeitung für Freude: beim Soundcheck brüllten Numen und der Backing-Vocalist Cap. Loft immer wieder „Klage!! Hei, hei!!“ ins Mikro, was doch irgendwie lustig klang. Apropos Cpt. Loft: mit seiner Maske war es ihm nicht möglich, normal ins Mikro zu röhren, daher musste er den Kopf immer so weit nach hinten nehmen, dass es aussah, als wenn er durch den Hals singen würde. Spaßig! Das gilt aber auch für den Auftritt an sich, gutklassiger Gothic Metal mit ordentlich Spielfreude dargeboten, da kann einfach keiner meckern – außer vielleicht, dass die Band nicht das Lied vom Mädchen, das ins Wasser ging und nie wieder auftauchte (Ophelia), mein langjähriges Lieblingslied der Band, nicht spielte, aber da kann man wirklich drüber hinwegsehen, ohne allzu großzügig zu sein.

Danach war erst mal kurze Verschnaufpause angesagt und gemeinsam mit dem einen oder anderen anwesenden Bekannten stand ein Bummel über den kleinen Markplatz, bestehend aus einem Stand von Kinderherzen heilen e.V., einem Stand der Gothic-Family, dem Veranstalterstand inklusive Bandmerchandise und einem Stand, der reichlich Schwerter und Helme für die Freizeitwikinger bereithielt. Eine feine Sache, hier konnte man das eine oder andere Pläuschchen halten und hatte mal ein wenig Ruhe außerhalb des trubelnden Eingangsbereichs, ebenso war es wärmer als im Raucherbereich vor der Werkstadt.

Mit inzwischen einer dreiviertelstündigen Verspätung betraten anschließend die Lokalmatadoren Eisheilig die Bühne. Im Festival-Guide (spartanisch aufgemacht im DIN-A6-Taschenformat, cool) ließ die Ankündigung, die Jungs würden sich mit ihrem vierten Album präsentieren, zunächst einmal aufmerken, sind die Songs auf Auf dem Weg in deine Welt zwar gut, aber für die Livedarbietung eher ungeeignet.
Glücklicherweise besannen sich die Herren aber auf Altbewährtes und spielten vor allem Songs des Klassealbums Elysium. Wie es sich für einen Heimauftritt gehört, war die Werkstadt zu eben dieser Zeit auch am vollsten, irgendwie wollte der Funke aber nicht so recht überspringen. Natürlich war die Frontreihe mit allerlei jugendlich aussehender Fans vertreten, bangte wild und bot die eine oder andere Pommesgabel an, aber wirklich Stimmung wollte nicht aufkommen. Am Sound sollte es nicht gelegen haben, zwar war mir die Gitarre doch um einiges zu leise, aber in seiner Gesamtheit war das schon sehr fett und lud entsprechend zur Party ein. Die Instrumentalfraktion arbeitete nach Kräften, vor allem der neue Bassist Markus kam aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. Trotz seiner guten Leistung kommt es einem aber immer noch so vor, als wenn dort weiterhin Niklas den Tieftöner bedienen würde, zu sehr hat er sich als Eisheiliger in die Gehirnwindungen eingebrannt. Sänger Dennis hingegen hatte entweder nicht seinen besten Tag oder aber er wollte mal ein wenig die Diva raushängen lassen, kaum Ansagen, kaum Stageacting, wenn man mal von einigen bösen Blicken in Richtung Publikum absieht. Schade eigentlich, hier wurde Potential verschenkt, denn dass die Leute Eisheilig sehen wollten, steht außer Frage. Mir persönlich hat mal wieder eigentlich nur Tanz mit mir gefehlt, aber das wird wohl auch nichts mehr werden, so denn sollte man die Sache nicht zu hoch hängen. Unter dem Strich ein netter Auftritt, dem aber der letzte Schwung etwas gefehlt hat.

Gefehlt ist das passende Stichwort zum folgenden Konzert: Black Messiah fehlten einfach die Zuschauer. Kein Wunder, der Local Hero ist fertig und die Massen ziehen ab. In diesem Fall war es mir noch einigermaßen egal, Black Messiah interessierten mich nicht allzu sehr, obwohl es auch nicht so schlimm gewesen ist, wie man jetzt vielleicht meinen könnte. Die Leute, die wegen Black Messiah kamen, dürften auf ihre Kosten gekommen sein, für mich bot sich aber die Gelegenheit zu weiterem Smalltalk, den wir mit dem Kauf einiger Lose würzten. 3 € investiert und schon stellte die mehr als freundliche Merchandise-Fraktion eine rappelvolle Tüte mit Gewinnen zusammen. Brauchen tut man das meiste davon nicht, praktisch war natürlich der Flaschenöffner, aber davon habe ich aus dem letzten Jahr bereits vier Stück. Immerhin kann ich jetzt zu Hause auch das Badezimmer mit einem solchen ausstatten und die kommende Renovierung ist Dank dreier Festivalposter auch schon gesichert.

Um weit nach halb zwei, inzwischen 1,5 h Verzug, betrat der Headliner endlich die Bühne. Die meisten Anwesenden schienen Dark Suns allerdings kaum zu kennen, daher hielten leider nur noch etwa 20 Unentwegte durch, aber sie wurden dafür mehr als belohnt. Will man Opeth, Tool, Sigur Ros und Pink Floyd innerhalb kürzester Zeit erleben, ist man bei den Leipzigern genau richtig. Emotional und intensiv sind wohl die richtigen Attribute für diese außergewöhnliche Truppe, die schon von ihrem Erscheinungsbild sehr ungewöhnlich daherkommt: am „normalsten“ sieht noch Gitarrist Torsten aus, der Bassist spielte seinen Part auf einem bundlosen Instrument vom Blatt (!), Gitarrist Maik Knappe ist Linkshänder, der Keyboarder sitzt und sieht aus wie ein Sozialarbeiter und Schlagzeuger Niko Knappe singt doch tatsächlich sogar live. Überhaupt hat man es hier mit sehr guten Musikern zu tun, die außergewöhnliche Lieder mit einer Gänsehautstimmung rüberbringen, dass es eine wahre Freude ist. Und auch die geringe Zuschauerresonanz war zumindest in meinen Augen nicht so schlimm – klar, die Band hätte sicher lieber einen vollen Saal gehabt. Aber so hatte man immerhin den Eindruck, dass diejenigen, die noch da gewesen sind, auch richtig Spaß am Auftritt hatten und das ist allemal besser als 100 Leute, die keinen Bock auf die Musik haben. Der Auftritt von Dark Suns hat mal wieder gezeigt, warum es so geil ist, Metal zu hören, Momente wie diese beschert einem einfach nur die Musik. So neigte sich ein langer Konzertabend nach halb drei endlich dem Ende entgegen und ich machte mich erschöpft, aber sehr zufrieden auf den Heimweg. Für die Veranstalter war allerdings noch lange nicht Schluss, ein Umstand, den man den wackeren Jungs und Mädels am nächsten Tag eindeutig ansehen konnte.

Samstag, 25.10.

Leider auch am zweiten Tag: die ersten Bands ohne den Redakteur, allerdings ist 16 Uhr auch ein unglaublich zeitiger Beginn. In December sah ich also nicht, Core sollte es an diesem Abend aber ohnehin reichlich geben, also verschmerzbar, auch wenn die Jungs den Opener-Contest für diesen Tag gewonnen hatten und somit sicher einiges drauf haben dürften. Heavenfall habe ich auch nicht gesehen, aber auch dies war zu verschmerzen, aufgrund guter Bekanntschaft kam es in den vergangenen Jahren zu mehreren Treffen auf Konzertebene. Als ich also gegen 18 Uhr in der Werkstadt eintrudelte, stellte ich zunächst zwei Dinge fest. Zum einen hingen überall kurze Statements aus, dass Butterfly Coma nicht spielen würden, da sie in der Nacht zuvor ihren Gitarristen von seinen Pflichten entbunden haben. Naja, die animalischen Shouts des Sängers und die Abrundung durch innovative Samples und Scratches, von welchen der Festivalguide spricht, trieben mir bezüglich dieses Umstands keinerlei Tränen in die Augen und so konnte man wenigstens davon ausgehen, dass durch die freigewordene Zeit der Ablauf einzuhalten wäre.

Die zweite Beobachtung machte ich bezüglich des Durchschnittsalters der Zuschauer. Kam ich mir schon am Freitag nicht mehr blutjung vor, war es samstags noch wesentlich schlimmer. Ein Grund schien mir gerade auf der Bühne zu stehen, Ae:Nera spielen nach eigener Darstellung Melodic Deathcore. Angeblich soll durch enorme Abwechselung für jeden etwas dabei sein, scheinbar bin aber zumindest ich dann kein Element dieser Gruppe. Von mir aus können es die Jungs jetzt auf den etwas diffusen Sound schieben, wer aber gleich zwei Schreihälse auf die Bühne stellt, muss sich nicht wundern, wenn außer unmotiviertem Kreischen nichts zu hören ist. Das feiernde Jungvolk in der ersten Reihe sah das natürlich etwas anders…

Anschließend zeigte sich, dass Bands mit bassspielenden (angehenden) Förderschullehrern einfach nicht schlecht sein können – es scheint zumindest so. Perfect Symmetry bezeichnen ihre Musik als Dark Progressive Metal und das trifft die Sache recht genau, auch wenn es nur ein wenig Dark war. Progressiv auf jeden Fall, der Gitarrist wartete tatsächlich mit einer achtsaitigen Gitarre auf, hochinteressant. Leider war auch hier der Sound zumindest zu Beginn eher durchschnittlich, das Keyboard hörte man erst am Ende vom Set und das Schlagzeug war – wie eigentlich an beiden Tagen – ziemlich zu laut. Wenn ich Schlagzeug sage, dann meine ich allerdings nicht die Becken, die konnten die Herren Felledrescher nämlich verprügeln wie sie wollten, man hörte eigentlich nur Bassdrum, Toms und Snare. Die Songs von Perfect Symmetry waren trotzdem sehr cool, viele Breaks, harte Passagen, gefühlvolle Passagen, Passagen mit technischer Raffinesse, Passagen mit reduziertem Instrumenteinsatz. Nur die Eingängigkeit blieb wie so oft im progressiven Bereich auf der Strecke, Bassist Daniel berichtete allerdings, dass dies weniger ins Gewicht fällt, wenn die Band mit anderen Proggies spielt. Seis drum, mir hat es gut gefallen, Perfect Symmetry ist sicher eine Band, die man im Auge behalten sollte, wenn man sich für die Musikrichtung interessiert.

FS-Ninety8 schenkte ich mir bis auf die letzten beiden Songs, diesen obercoolen Punkrock habe ich in der letzten Zeit schon zur Genüge gehört, außerdem war es doch recht dreist von der Band, trotz erneut hoffnungslos aus dem Ruder gelaufenen Zeitplanes und dem Veto von Veranstalter Flo der Forderung einer kleinen Schar Unentwegter nach einer Zugabe nachzukommen.

TriState Corner konnten dann einen ordentlichen Exotenbonus für sich verbuchen, drei Griechen, ein Pole und ein Deutscher lärmen kräftig drauf los. Besonders witzig und im Metalbereich überhaupt nicht alltäglich ist der Einsatz einer Bouzuki. Dies ist eine Art traditionelle griechische Gitarre, der Saitenmann Janni einige sehr flinke Läufe und absolut hörenswerte Melodien entlockte. Am bekanntesten dürfte der geneigten Metalgemeinde Schlagzeuger Christos Efthimiadis sehr, der schon für die Ruhrpott-Combo Rage die Felle gerbte. Neben dem grandiosen Auftritt von Dark Suns, dem gutklassigen Gig von Eisheilig und den Nachwuchsmannen Perfect Symmetry mein persönliches Highlight des fünften Metal For Mercy. Brachiale Sounds sorgten für gute Stimmung in der leider recht überschaubaren Zuschauergemeinde, aber für die Herren um Fronter Lucky war das gar kein Problem, munter wurde drauf los gedroschen. Wer die Gelegenheit haben sollte, TriState Corner mal live sehen zu können, sollte diese umgehend nutzen, man hat schon für wesentlich schlechtere Bands wesentlich mehr Geld ausgegeben.

Ein Blick zur Uhr: die Veranstalter waren aus dieser Sicht vermutlich nicht ganz unglücklich darüber, dass Butterfly Coma abgesagt hatten, denn so bestand zumindest die Möglichkeit, die Deadline 23 Uhr einzuhalten. Und so stiegen die Festival-Headliner Blind gegen 22 Uhr auf das Parkett. Mir war diese Truppe vorher gänzlich unbekannt, das fachkundige Publikum beschrieb mir den Vierer allerdings als den Nachwuchstopact schlechthin, aktuell befanden sich die Jungs auf Headlinertour durch Deutschland, demnächst wird in den USA das zweite Album aufgenommen. Da konnte man sich schon einiges erwarten. Die erhofften Massen hatten Blind zwar nicht mobilisiert, nur noch etwa 100 Leute befanden sich zu dem Zeitpunkt in der Werkstadt, Professionalität merkte man der Band aber sehr wohl an. Da sitzt jede Bewegung, jedes Riff, jede Ansage, jeder Ton. Auch wenn es nun nicht wirklich meine Musik ist, muss ich sagen, dass der Auftritt sehr routiniert daher kam. Im einzelnen fällt es mir schwer, etwas über die Band und ihre Songs zu sagen, dafür kenne ich mich zu wenig aus, aber alleine die Reaktionen des teilweise doch sehr jungen Publikums sprechen eigentlich für sich. Nach der Show gab Sänger Steve zu Protokoll, dass die gesamte Tour publikumstechnisch nicht so liefe, da aktuell recht viele Bands mit dieser Art von Musik unterwegs seien. Seis drum, mir haben andere Auftritte aufgrund der Musik mehr zugesagt, aber das Publikum war zurecht zufrieden und der Band muss man zu Gute halten, dass sie immerhin ihre Tour für einen Tag unterbrochen haben, um Metal For Mercy zu unterstützen.

Fazit: wie immer, wenn es in Witten Metal For Mercy heißt, kann man sich auf ein schönes Konzert freuen. Die Musiker sind bei Flo und Team in besten Händen, der zeitliche Ablauf ist nicht immer so, wie man es sich als Veranstalter vorstellt, aber unter dem Strich geht wohl niemand unzufrieden nach Hause. Dazu sollte man bedenken, dass hier jeder absolut ehrenamtlich arbeitet und viel Zeit über ein Jahr investiert wurde. Insgesamt kamen an beiden Tagen zusammen etwa 550 Leute, was eine schöne Zahl ist, aber, um den Bogen wieder an den Anfang zu spannen, dennoch ein weinendes Auge zurück bleibt, wenn man sieht, welche Volksmengen jährlich nach Wacken pilgern und dieses kleine, aber sehr feine und vor allem sehr soziale Festival ignorieren. Und wie immer bleibt die Hoffnung, dass es im nächsten Jahr mal richtig voll wird. Flo, seinem Team und dem Beenfizzweck wäre es absolut zu wünschen.

Publiziert am von Jan Müller

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