Konzertbericht: The Adicts w/ Bonsai Kitten

Die Pistols sind tot, die Ramones ebenso, und The Clash erst recht … wirklich viele echte Legenden sind dem Punkrock nicht geblieben. Nur eine Band bleibt standhaft: Seit nunmehr 40 Jahren bespaßen THE ADICTS aus Ipswich, England ihre Fans mit ihren traditionell bunten Shows – und das bis zum heutigen Tage in Originalbesetzung. Zur Feier dieses amtlichen Jubiläums tourt die Band nun einmal mehr quer durch den Kontinent – natürlich nicht, ohne auch in der Bayerischen Landeshauptstadt halt zu machen. Obwohl sie (oder eben weil sie?) nie wirklich im Mainstream angekommen sind, haben sich THE ADICTS über all die Jahre eine treue Fanbase erhalten. Der beste Beweis dafür ist das rege Treiben, das trotz Dienstagstermin vor dem Hansa 39 herrscht: Jung, vor allem aber Alt sind gekommen, um einer der letzten Punk-Legende zu huldigen.

Zunächst aber bekommen die Glam-Punker BONSAI KITTEN aus Berlin die Gelegenheit, dem Münchner Publikum einzuheizen – mit mäßigem Erfolg. Durch das aufreizende Outfit von Sängerin Tiger Lilly Marleen ist BONSAI KITTEN zwar die Aufmerksamkeit des größtenteils männlichen Publikums gewiss – ob sich die Band damit jedoch einen Gefallen tut, ist fraglich. Die gesanglichen Fertigkeiten der quirligen Fronterin rücken angesichts der lasziven Darbietung genauso in den Hintergrund wie die Musik ganz allgemein. Diese klingt zwar live etwas dünn (eine zweite Gitarre würde BONSAI KITTEN definitiv gut tun) und ist auch nicht unbedingt spektakulär, passt aber an sich gut zum Stil des Headliners. So richtig taut das Publikum trotz Nylon und Pyro nicht auf – wohl nicht zuletzt, da man sich bei mancher Ansage nurmehr an den Kopf fassen möchte … da fällt das Applaudieren schwer. Leicht verstimmt kürzen BONSAI KITTEN ihr 45-Minuten-Set am Ende um einen Song – wirklich traurig ist darüber allerdings niemand.

Als eine halbe Stunde später das Licht erneut erlischt und sich zu entsprechender Musik an der Hallendecke eine Discokugel zu drehen beginnt, ist schnell klar, dass hier heute trotzdem noch jeder auf seine Kosten kommen wird: Das Hansa 39 platzt aus allen Nähten und noch bevor THE ADICTS überhaupt auf der Bühne stehen, wird schon das Tanzbein geschwungen.

Als THE ADICTS schließlich um 21:45 die Bühne entern, gibt es kein Halten mehr: Zu Hits wie „Life Goes On“, „Numbers“ und „Viva La Revolution“ bildet sich ein nicht abreißen wollender, wilder Moshpit, über den im Tiefflug Biere und Stagediver fliegen. Jugendlichem Leichtsinn ist dieser Wahnsinn kaum zuzuschreiben: Die meisten der Beteiligten dürften der 40 näher sein als der 14.
Doch auch, wer sich nicht im Gewühl aus bier- und schweißüberströmten Körpern vergnügt, kommt voll auf seine Kosten: In gewohnter Manier ziehen Keith Warren und seine ADICTS eine erinnerungswürdige Show ab: Während sich die Musiker entgegen aller Punkrock-Klischees und Vorurteile keinerlei Fehler erlauben, bietet der wie eh und je als Harlekin verkleidete Warren dem Publikum eine Show, die ebensogut als lupenreine Zirkusnummer durchgehen würde: Seien es ein konfettigefüllter Regenschirm, eine chinesische Nudelbox voller Luftschlangen, die Keith genüsslich mit Stäbchen verzehrt, um sich andererseits die bunte Papierware meterweise aus dem Mund zu ziehen … die Trickkiste, mit der THE ADICTS auf Tour gehen, ist gewohntermaßen tief. Und doch ist scheinbar immer noch eine Steigerung möglich: Spielkarten und Teddybären fliegen, der Mikroständer verschwindet mit der Zeit in einem Gewirr aus Luftschlangen und zu guter Letzt suchen sich zu alledem auch noch Seifenblasen und Wasserbälle ihren Weg durch die Halle.

Dass es 23:00 ist, als mit „You’ll Never Walk Alone“ der letzte Song verklingt, ist kaum zu glauben: Nur 75 Minuten? Erst elf? THE ADICTS scheinen mit ihrer furiosen Show auch die Uhr schwindelig gespielt zu haben: Zu viel geschieht, um auch nur an einen Blick auf die Uhr zu denken, zu viel, um sich auch nur einen Augenblick zu langweilen, zu viel, um in Eineinviertelstunden zu passen. Ganz wie damals, im Zirkus.

Publiziert am 7. Dezember 2015 von Moritz Grütz