Review Beyond The Bridge – The Old Man & The Spirit

Der alte Mann steht vor einer Treppe, an deren Ende sich augenscheinlich Nichts, tatsächlich jedoch allumfassendes Wissen findet. Das Streben nach dem übermenschlichen Bewusstsein, die Suche nach dem Sinn wohnt dem Menschen seit jeher inne. Das aber ist den Menschen vorenthalten, sie können diese zu hohe Stufe nicht erreichen. „The Spirit“, die personifizierte Allwissenheit und gleichzeitig unfähig zu fühlen, macht dem neugierigen „Old Man“ dennoch ein Angebot: Sie wird ihm alle Fragen beantworten – im Tausch für all seine Erfahrungen, Erinnerungen und Gefühle.

Eine interessante, philosophische Story, ein ebenso interessantes und wundervolles passendes Coverartwork – BEYOND THE BRIDGE setzen den Anspruch an sich selbst gleich bei ihrem Debütalbum ganz schön hoch an. Immerhin haben Gitarrist Peter Degenfeld-Schonburg und Keyboarder Christopher Tarnow nun auch schon seit 2005 an dem Projekt gearbeitet, so konnte sich das Konzeptalbum lange entwickeln und entfalten. Recht traditionell und melodisch agieren die Sieben, erfrischend „normal“ würde ich fast schon sagen, in Anbetracht der vielen abgespacten und verfrickelten Prog-Alben, die ich in letzter Zeit gehört habe. Und, klar: Es finden sich schon Anleihen bei Dream Theater, Symphony X, The Ocean (was die stellenweise schwere, drückende Atmosphäre angeht) und anderen Größen der Szene, wäre ja aber auch allzu sonderbar, würde man auf einem Debüt keine Vorbilder heraushören können. Trotzdem zeigen BEYOND THE BRIDGE bereits viel Eigenständigkeit und klingen durch die oft auch düsteren Momente am ehesten nach „Obessions“ von Epysode aus dem letzten Jahr, wenn auch nicht ganz so düster: Es wird auch positive Stimmung und Leichtigkeit verbreitet.

Das Wichtigste: Alles auf „The Old Man & The Spirit” gebotene ist stets stimmig, alle Elemente passen zusammen und greifen ineinander. Auch wichtig ist, dass das Keyboard zwar präsent ist, sich aber nie nervig oder schwülstig zeigt. Musikalisch ist eh alles auf einem ganz hohen Level, alle scheinen ihre Instrumente im Schlaf zu beherrschen. Schön, dass man sich trotzdem nicht zu überlangen Frickeleien hinreißen lässt, um seinen instrumentalen Penis zu präsentieren. Und wenn es dann doch mal so weit ist, ist es alles songdienlich und nie reiner Selbstzweck. Reine Instrumentalpassagen gibt es schon ein paar, die sind auch ganz hervorragend, dennoch aber zeigen sich die großen Momente mit Gesang. Der Wechselgesang zwischen männlich und weiblich funktioniert hervorragend, die beiden Stimmen ergänzen sich perfekt. Dilenya Mar wirkt anfangs etwas distanziert und kühl (wenngleich auch irgendwie eine subtile Erotik in der Stimme mitschwingt ;)), spätestens wenn man sich mit dem Konzept beschäftigt, stellt man dann aber fest, dass sie damit ihre Rolle brillant ausfüllt. Herbie Langhans klingt auf der anderen Seite zwar nicht wirklich wie ein alter Mann, beweist dafür aber einen unglaublichen Stimmumfang und eine große Palette an Emotionen und hat dabei eine sehr kraftvolle Stimme und lässt sich auch bei emotionalen Stellen nicht zu Weinerlichkeiten hinreißen. Ebenfalls überragend! Zu den beiden Sängern gesellt sich außerdem noch eine Erzählstimme, die sich ebenfalls wunderbar einfügt.

Dass bisher noch kein einziger Liedtitel genannt wurde, hat durchaus seine Gründe. Einzelne Tracks kann oder sollte man gar nicht herausheben, „The Old Man & The Spirit“ ist ein großes Ganzes, ein richtiges Konzeptalbum eben ohne einzeln für sich herausstechende Hits. Verdeutlicht wird das auch dadurch, dass praktisch das ganze Album wie ein Longtrack erscheint, jedes Lied fließt ohne wirklichen Bruch in das nächste über. So kommt es dann auch vor, dass man gewisse Stellen im späteren Verlauf des Albums in abgewandelter Form wiederzuentdecken meint, außerdem wird manchmal auch auf gewöhnliche Songstrukturen und Refrains verzichtet. Dafür bekommt man teils so unglaublich geniale Melodien geschenkt, dass man spontan in Freudentränen ausbrechen möchte. Und all das wird auch noch mit bühnenreifer Dramatik präsentiert – ganz so „normal“ wie weiter oben behauptet, ist „The Old Man & The Spirit“ dann also doch nicht, ist es schließlich mindestens von außergewöhnlicher Qualität.

Das alles führt letztendlich zu einem mächtigen, komplexen Album mit viel Anspruch, zum Nebenbeihören ist das mitnichten geeignet. Es ist mal wieder ein klassischer Fall für den abgedroschenen Vorschlag, das Album in aller Ruhe ohne Nebenbeschäftigung unter Kopfhörern zu genießen. Hier lohnt es sich so sehr, vor allem und erst richtig bei mehrfachen Durchgängen. Nach und nach, wenn man sich etwas an das Album gewöhnt hat, kann man sich dann auch zusätzlich mit der Story beschäftigen, welche das Erlebnis nochmal verbessert. Man freut sich dann über die tolle Umsetzung, vom geordneten Beginn über die innere Zerrissenheit bis zur feierlichen Erkenntnis am Ende. Einzig im ruhigen Mittelteil („The Spring Of It All“ bis „The Primal Demand“) kann die Spannung nicht hundertprozentig gehalten werden, aber erstaunlicherweise ist das hier mein einziger Kritikpunkt – wenn man das denn so nennen kann. Dafür ist alles ab „Doorway To Salvation“ sowas von Sahne, das mir glatt die Worte fehlen. Aber hört besser einfach selbst rein, für das Debütalbum von BEYOND THE BRIDGE spreche ich einen zwingenden Hörbefehl für alle Progger aus, für alle Freunde anspruchsvoller Musik ist das Reinhören ebenfalls ein Muss. Jetzt aber bitte nicht wieder sechs Jahre bis zum nächsten Album verstreichen lassen!

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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