Dritte Wahl - Urlaub in der Bredouille
Dezember 2023

Review Dritte Wahl – Urlaub in der Bredouille

Klimakatastrophe, gesellschaftliche Ungleichheit, Korruption, Wohnungsnot, Inflation, kriselnde Wirtschaft, Individualitätsverlust sind Themen, mit denen man sich dieser Tage konfrontiert sieht – Manche mehr, manche weniger. Um sich aktuell nicht vollends der Verzweiflung hinzugeben hilft wegschauen – oder man legt den Finger in die Wunde wie es DRITTE WAHL machen und bringt es auf den Punk(t).

Die Rostocker Punk-Urgesteine blicken auf eine 35 Jahre währende Geschichte zurück, deren jüngste Entwicklung das neue Album „Urlaub in der Bredouille“ ist – das mittlerweile zwölfte Werk und damit direkter Nachfolger zum 2020 erschienenen „3D“. Schon das Cover sowie der Albumtitel deuten eine Richtung an, die sich durch das gesamte Album zieht: DRITTE WAHL wirken oberflächlich heiter und sonnig, thematisieren aber Umstände, die bei näherer Betrachtung das Gegenteil sind.

Dabei gelingt ausgerechnet der Einstieg in „Urlaub in der Bredouille“ nicht! „Wir schießen die Milliardäre ins All“ ist im besten Falle augenzwinkernd, realistisch betrachtet aber der schlechteste Song des Albums. Letztendlich ist es ein „Eat the rich“ in neuem Gewand. Das Positive des Openers ist: Wenn er vorbei ist, öffnet sich ein großartiges Album, das einige Highlights bietet. Der Titeltrack zum Beispiel wirkt – genau wie „Das regelt der Markt“ – wie eine hektische Aufzählung all dessen, was aktuell schief zu laufen scheint und die gesangliche Unterstützung durch Deine Cousine bringt frischen Wind in den treibenden Song. Bis zum Ende hin wird Duck aufgebaut, bevor er völlig unerwartet in sein stilistisches Gegenteil verkehrt und klanglich tatsächlich ein verkorkstes Urlaubsgefühl aufkommen lässt. Nur zu klar wird vor dem inneren Auge hier ein fröhlich tanzendes Publikum sichtbar. Die Rostocker verlassen sich auf das, was sie können, prangern im ersten Teil des Albums noch das große Ganze an und beleuchten in der zweiten Hälfte Individuen. Buchstäblich wird beispielsweise Edwin („Buzz“) Aldrin ins Rampenlicht zurückgeholt und durch sein Bespiel die Frage gestellt, was es bedeutet, „nur“ der zweite zu sein. Der catchy Refrain brennt sich dabei regelrecht ein. „Statistiken“ rundet das Album ab und schlägt den Bogen zwischen beiden Teilen, da hier bewusst nüchtern Individuum und Gesellschaft in Relation gebracht werden.

Insgesamt schlägt „Urlaub in der Bredouille“ einen bewusst betrüblichen Grundton an, nimmt diesen vielleicht auch einfach auf. Durch „Keine Zeit für weiße Fahnen“ und vor allem „Steine im Weg“ gelingt es DRITTE WAHL allerdings, den Hörer nicht vollends mit der aufgezeigten Dystopie alleine zu lassen, sondern eine durchaus hoffnungsvolle Note einfließen zu lassen.

Wer DRITTE WAHL kennt, weiß noch vor dem Anhören was „Urlaub in der Bredouille“ musikalisch bieten wird. Hier erwartet den Hörer wenig Neues. „Der Spion“ schafft es, dahingehend ein bisschen aus der Reihe zu tanzen und greift passend „Spionagefilm-Sound“ auf . Wer DRITTE WAHL nicht kennt, sollte das spätestens jetzt nachholen, denn „Urlaub in der Bredouille“ ist – bis auf wenige Ausnahmen – ein fantastisches, tiefgängiges und eindringliches Album. Hat sich die Band dabei neu erfunden? Nein, keinesfalls. Muss sie das? Definitiv nicht. DRITTE WAHL sind nach wie vor ironisch, gar zynisch, idealistisch, bissig und aktueller denn je – Deutschpunk ohne Plattitüden dafür mit Verstand.

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Wertung: 8 / 10

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