Evergrey A Heartless Portrait Coverartwork
Mai 2022

Review Evergrey – A Heartless Portrait (The Orphean Testament)

Orpheus war einer der größten Sänger und Dichter der griechischen Mythologie und eine tragische Figur. Als er seine Frau Eurydike aus der Unterwelt befreien will, bekommt er von Hades und Persephone die Möglichkeit dazu – unter der Voraussetzung, sich nicht nach ihr umzudrehen, was er dennoch macht und die große Liebe seines Lebens damit endgültig verliert. EVERGREY interpretieren diese Tat als Gedankenlosigkeit und Egoismus, was sich bestens auf unsere soziales Zusammenleben umlegen lässt. „A Heartless Portrait (The Orphean Testament)“ ist also erneut eine bittere, melancholische Sichtweise auf unsere Gesellschaft sowie das eigene Selbst und knüpft somit thematisch an die letzten Alben der Schweden an.

Der direkte Vorgänger “Escape Of The Phoenix” kam zwar erst Anfang 2021 auf den Markt, aufgrund der Pandemie scheint jedoch direkt genug Zeit übrig gewesen zu sein, in nur etwa einem Jahr den 13. Langspieler der inzwischen fast 30-jährigen Bandgeschichte fertig zu stellen. „A Heartless Portrait (The Orphean Testament)“ ist jedoch alles andere als ein Schnellschuss und zeigt erneut, dass EVERGREY zu den größten Musikern und Poeten der aktuellen Progressive-Metal-Szene gehören. Auch nach dieser langen Zeit machen EVERGREY leidenschaftliche Musik, die ihnen am Herzen liegt und diese tiefe, mitreißende Emotionalität hört man „A Heartless Portrait (The Orphean Testament)“ ab der ersten Sekunde an.

Die bereits vorab veröffentlichte Trilogie mit „Save Us“, „Midwinter Calls“ und „Blindfolded“ untermauert eindrucksvoll, dass EVERGREY unverkennbar sie selbst sind und auch diesem Album den eigenen Stempel aufdrücken: Die wuchtigen Gitarren, die emotionalen Melodien und den außergewöhnlich eindringlichen Gesang von Tom Englund verbindet die Combo zu ihrer ganz eigenen unter die Haut gehenden, packenden Form des Progressive Metal. Jeder Ton wirkt auf poetische Weise immer genau richtig platziert; jede Wendung, jedes Gitarren- oder Keyboardsolo erfüllt einen künstlerischen Zweck im großen Ganzen.

Was EVERGREY neben der melancholischen, emotionalen Komponente von vielen anderen Prog-Metal-Bands abhebt, ist der Verzicht auf allzu verkopfte und verspielte Songs und Passagen. „A Heartless Portrait (The Orphean Testament)“ braucht zwar einige Durchgänge, um sich vollständig zu öffnen, verliert sich aber niemals in instrumentalen Machtdemonstrationen oder unnötigen Spielereien. Wenn die Combo etwa bei „Ominous“ ein eineinhalbminütiges Gitarrensolo aufs Parkett zaubert, dann entwickelt sich das völlig natürlich und erzählt die musikalische Geschichte des Songs weiter – es wirkt einfach genau richtig, wie es ist.

EVERGREY schielen auch wieder stark in Richtung Power Metal und zeigen vor allem beim Titeltrack „The Orphean Testament“ eine mitreißende Riffhärte, die sie wunderbar mit den emotionalen, spannenden Songstrukturen verweben. Sich mit der Gesellschaft und sozialen Themen zu beschäftigen, ohne wütend zu werden ist kaum möglich, und das hört man Tracks wie diesem an. Was die Schweden außerdem sehr geschickt machen, ist die thematische und musikalische Melancholie mit fluffigen Refrains und herzerwärmenden Melodien aufzulockern. „Call Out The Dark“ etwa ist von bedrückender Stimmung, Englunds Gesang im Chorus und ein Gitarrensolo voll positiver Energie haben auf eine Weise eine therapeutische Aussage: Auch wenn vieles bedrückend und traurig ist, gibt es immer aufmunternde Lichtblicke. „Reawakening“ mit seinem dynamisch-stampfenden Rhythmus erzeugt sogar richtige Aufbruchsstimmung. Den Abschluss einer abwechslungsreichen, spannenden Reise markiert mit „Wildfires“ eine herzzerreißende Akustikballade mit Gänsehautgarantie.

„A Heartless Portrait (The Orphean Testament)” setzt den spätestens 2014 mit „Hymns For The Broken” eingeschlagenen Weg fort und zeigt dennoch, dass EVERGREY sich immer weiterentwickeln und noch so viele großartige Songs und Texte in sich haben. Ein düsteres, emotionales, tiefgehendes und zugleich auch wütendes Album für musikalische Feingeister, das sich in der reichhaltigen EVERGREY-Diskografie schon jetzt einen Spitzenplatz verdient hat.

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Wertung: 9.5 / 10

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