Review Flake – Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann

Mit dem Schönling Richard Z. Kruspe, dem Poser Paul H. Landers oder Rampensau Till Lindemann mangelt es Rammstein definitiv nicht an Selbstdarstellern, die prädestiniert dafür scheinen, mit einer spektakulären Autobiographie um die Ecke zu kommen. Umso überraschender, dass es mit Christian „Flake“ Lorenz nun ausgerechnet der eher introvertiert und verschroben wirkende Keyboarder ist, der sein Leben als erster zu Papier gebracht hat.

„Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann“ lautet der Titel seines Werkes – würde man den derben Ost-Begriff durch einen entsprechenden anderen ersetzen, könnte man so ebensogut eine Biographie von Peer Steinbruck („Der Stinkefinger – An was ich mich so erinnern kann“) nennen. Spektakuläre Bücher über ein krasses Leben voll Sex, Drugs & Rock’n’Roll heißen in der Regel anders.

In der Tat: So banal wie der Titel des Buches, so einfach wie die Sprache, in der es gehalten ist, sind auch die Geschichten gestrickt, die der in Ost-Berlin geborene „Tastenficker“ mit seinen Lesern teilt: Seine schönsten Wanderungen werden ebenso thematisiert wie seine Liebe zu Oldtimern und ja, das Leben, damals, drüben.
Gerade diesbezüglich gelingt es Flake sehr gut, den schmalen Grad zwischen interessantem Einblick und verklärter Romantik zu meistern: Fast liebevoll beschreibt Flake das System, in dem er groß geworden ist – noch eindrucksvoller jedoch die Orientierungslosigkeit, in die ihn die Wiedervereinigung trieb. Die für einen Punk-Musiker der damaligen Zeit überraschend unkritische, fast salomonische Message: Es war nicht alles schlecht in der DDR – vor allem aber in der BRD auch nicht alles gut.

Geschrieben wie gedacht – Gedankensprünge, Irrtümer und Abschweifungen inklusive – plätschert „Der Tastenficker“ eher auf sympathische Art vor sich hin, als den Leser durch spektakuläre Enthüllungen zu fesseln. So unbedarft wie witzig schreibt Flake nieder, was ihm erzählenswert erscheint. Dass vieles davon absolut trivial ist und mit einem Rockstar-Leben, wie man es sich vorstellt, absolut nichts zu tun hat, ist hier gerade das Erfrischende: Auch der Keyboarder von Rammstein frühstückt also gerne Haferflocken. Mit keinem Satz versucht der Berliner, dessen Künstlername aus der Trickfilmserie Wickie und die starken Männer entlehnt ist, sich zum Rockstar zu stilisieren oder sich selbst ins beste Licht zu rücken: Sexuelle Frustration, die Einsamkeit des Außenseiters und seinen jahrelangen Alkoholismus thematisiert Flake unverblümt – und doch, wie es scheint, stets mit dem Lächeln dessen im Gesicht, der sich durch nichts und niemanden unterkriegen lässt.

Aufgelockert wird das Ganze durch unzählige – mitunter überaus skurrile – Abbildungen aus dem Privat-Fundus des Musikers: von Zeichnungen aus Kindertagen bis hin zu unzähligen Urlaubsfotos ist hier alles dabei. Zumindest fast. Denn obwohl sich Flake der Situation durchaus bewusst ist („Niemand, ich betone, niemand würde dieses Buch in die Hand nehmen, wenn ich nicht zufällig in dieser Band spielen würde.“), findet sich im Buch kein einziges Bild von Flake bei Rammstein. Ja, vielmehr fällt der Name Rammstein insgesamt nur exakt einmal – auf Seite 386 von 389, in dem für das Buch so typischen Satz „Jetzt fällt mir auf, dass ich eigentlich gar nichts über Rammstein erzählt habe.“ Und eigentlich macht das auch gar nichts.

Der Band Rammstein kommt man durch die Lektüre dieses Werkes tatsächlich keinen Schritt näher – dem Mensch Christian „Flake“ Lorenz dafür umso mehr: Von kitschiger Ostalgie-Literatur ist sein Werk dabei so weit entfernt ist wie von der klassischen Musiker-Biographie. Und doch ist das Buch beides zugleich. Denn ohne es an einem konkreten Punkt festmachen zu können, hat man nach „Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann“ das Gefühl, viel über den Osten, mehr noch aber über Rammsteins Mann an den Tasten erfahren zu haben. Irgendwie ganz nebenbei.

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