Review Hämatom – Keinzeitmensch

Einen Erfolg haben die NDH-Rockmetaller HÄMATOM bereits zu verzeichnen: Bei der Wahl des kreativsten Albumtitels 2013 dürfte „Keinzeitmensch“ zumindest in die engere Auswahl kommen. Nach der 2011er Studioproduktion „Wenn man vom Teufel spricht“ liefen die letzten beiden Jahre für Nord, Ost, Süd und West alles andere als schlecht: Nachdem die vier Jungs live erst Megaherz mächtig Paroli boten, folgte eine Support-Tour mit Eisbrecher und Frei.Wild sowie die mehr als gelungene DVD-Veröffentlichung „Schutt und Asche“. Kein Wunder also, dass die vier Männer mit „Keinzeitmensch“ zum nächsten Schritt in der Bandvita ansetzen. Und diesen meistern sie auf gewohnt lautstarkem Weg, ohne kreative Meilensteine zu setzen.

Facebook, Smartphones, Medienoverkill, höher, schneller, härter – HÄMATOM haben sich textthematisch auf ihrem neuesten Werk der schnellebigen Zeit, deren Vergänglichkeit und der Selbstreflexion über die moderne Ellbogengesellschaft angenommen. Ein „Keinzeitmensch“ ohne Zukunft und Vergangenheit. Die neuzeitliche Gesellschaft und deren Phänomene stilisieren sie dabei zu den „Säulen des Wahnsinns“, die für „Panik“ sorgen. An jenen beiden Songs wird auch der schmale Grat in der musikalischen Ausgestaltung des Vierers deutlich: Während „Säulen des Wahnsinns“ als leicht getragene Rock/Metal-Komposition im Refrain wunderbar ins Ohr geht, ist „Panik“ genau die Vertonung ebenjenes Gefühls. So singt sich Nord am Mikro um Kopf und Kragen, ehe seine Stimme vollends aufgeht. Das Gitarrenbrett unter dem stimmlichen Exodus überzeugt, doch in ebenjenem Song sind die vier Himmelsrichtungen drauf und dran, den feinen Bogen aus Melodik und Härte zu überspannen. So manifestiert sich „Panik“ nach mehreren Hördurchgängen allerdings als mutiges Ausrufezeichen.

Wie es etwas angenehmer funktioniert, beweisen Nummern wie die Singleauskopplung „Alte Liebe rostet nicht“, der bereits bekannte DVD-Namensgeber „Schutt und Asche“ oder das ungemein eingängige „Ahoi“ über eine Flüchtlingsodyssee ohne Happy-End. An dieser Stelle könnte man Rammstein-Parallelen ziehen, doch summa summarum stehen HÄMATOM mit „Keinzeitmensch“ auf musikalisch eigenen Beinen. So weckt „Bester Freund,  bester Feind“ bei im Deutschrock bewanderten Hörern gewisse Assoziationen zu Frei.Wild, doch in Wirklichkeit präsentiert das NDH-Quartett hier seine ganz eigene Interpretation von Goethes Zauberlehrling und dem Thema Klonen. Erscheint jene Kombination schon ein wenig abwegig, so toppen HÄMATOM dies im ruhigeren „Morgenrot“: Was passiert, wenn ein neugeborenes Kind auf die Welt kommen und dort den Platz einer verstorbenen Seele einnehmen soll, die allerdings noch nicht weichen möchte? Klingt abstrus und skurril, ist es auch. Allerdings funktioniert der Song über (Aber-)Glauben glücklicherweise auch ohne Textbezug. Ebenjener ist in der keyboardgeschwängerten Mitgröhlnummer „Sing“ nebst schier unendlichem „Na, na, na“ ebenfalls nicht nötig.

Auf der Habenseite verbucht „Keinzeitmensch“ neben einer einwandfreien Produktion vor allem die größtenteils hervorragende Mischung aus druckvollem Schlagzeug, treibenden Gitarrenriffs und den nötigen Sample-Effekten, um die allgegenwärtige Härte ein wenig zu entschärfen. Abgesehen von wenigen Füllern und manch arg einfachem Textkonstrukt („1, 2, 3, 4 – reich mir die Hand und folge mir“) liefern HÄMATOM mit ihrer neuesten Veröffentlichung ein knallhartes Brett ab, welches ab und an gerade noch melodiös die Kurve bekommt und besonders live auf der ersten Headlinertour der Band seine vollen Qualitäten ausspielen dürfte.

Wertung: 8 / 10

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