Konzertbericht: Hämatom

29.07.2021 Strandkorb Open-Air, Augsburg

Das von Kaiserbase veröffentlichte „Du bist wunderbar, Berlin!“ stilisierte sich, unter anderem begünstigt durch die Radeberger-Werbung, zu einem geflügelten Wort hoch. Auf ihrem ersten Unplugged-Album „Berlin“ stimmen die NDH-Rocker von HÄMATOM in diesen Kanon ein – und stellen ihre Fans auf die Probe. Denn dort, wo Doublebass und laute E-Gitarren regierten, erklingen plötzlich tanzbare Bläser- und Streicherkompositionen im Stile eines Max Raabe. Live geht das Konzept beim Strandkorb-Open-Air in Augsburg auf, wobei die vier Himmelsrichtungen am Ende verdeutlichen, aus welchem Holz sie eigentlich geschnitzt sind.

Ein viel zu langes Intro führt die Besucher in die Szenerie ein: In den Sphären eines „Babylon Berlin“ thematisieren HÄMATOM das zügellose (Nacht-)Leben der 1920er Jahre in der damaligen Weltmetropole. Zügellos und unmoralisch geht es dort zu, musikalisch startet der Konzertabend ungewohnt gediegen. Unterstützt von insgesamt drei butterweich klingenden Bläsern und einer zusätzlichen Gitarre beginnen Nord, West, Ost und Süd mit ihrer Single-Auskopplung „Tanz auf dem Vulkan“. Alle vier Bandmitglieder haben sich in Schale geschmissen, Ost greift früh zum ungewohnten Kontrabass und schnell ist die Marschrichtung deutlich: Neue deutsche Wärme statt Neue Deutsche Härte. Erlaubt ist alles zwischen Hüftschwung und erhobenem Mittelfinger: Fast das gesamte „Berlin“-Album gibt es auf die Ohren, dazu noch akustische Versionen von Klassikern wie „Eva“ oder „Fick das System“. Plakativeren Nummern wie „Fick das System“ oder auch „Mörder“ fehlt es im akustischen Gewand etwas an Druck, der die Botschaft in den Ursprungsversionen passend untermalt. Hymnisches wie „Lichterloh“ profitiert wiederum vom neuen Anstrich, so dass sich zu diesem Song viele Hände in den Augsburger Nachthimmel erheben. Immer wieder richtet sich Nord an das Auditorium und sorgt früh für den größten Lacher des Abends: „Ich bin eigentlich Helge Schneider!“ – eben jener hatte wenige Tage zuvor in Augsburg sein Konzert auf Grund der äußeren Umstände abgebrochen. Für HÄMATOM ist das keine Option, wie er mehrfach klarstellt. Stattdessen geben er und seine Mitmusiker sich größte Mühe, dem räumlich getrennten Publikum bestmögliche Unterhaltung zu bieten. Dazu gehört neben einigen Wortspielen rund um den regionalen Dialekt wie „Oschd“, „Weschd“ oder gar „Schüd“, dass der Frontmann kurzzeitig den Kontrabass penetriert. Mehrfach springt Nord auch in den kleinen Graben vor der Bühne, um beispielsweise bei „Totgesagt doch neugeboren“ zumindest etwas Nähe zur Menge aufzubauen oder den Refrain des arg plakativ geratenen „FCK CRN“ anzufeuern. Das Publikum nimmt die Mühen der Band wohlwollend auf, am Ende tanzen einige Besucher sogar Walzer – ganz coronakonform und unberlinerisch.

Im Zugabenblock wird es schließlich laut: „Wir sind Gott“ läutet das rockig-metallische Finale ein, bei dem HÄMATOM auch all jene zufriedenstellen, die sich neben all der schmissigen Unplugged-Nummern auch etwas „auf die Fresse“ gewünscht haben, wie es Nord ausdrückt. „Alte Liebe rostet nicht“ und „Wir sind keine Band“ bilden schließlich zusammen mit einem Outro den Abschluss eines gelungenen Gastspiels der NDH-Grenzgänger im Schwabenland. Etwas ungeklärt bleibt lediglich die Frage, ob ein Großteil der Fans einen zweiten Ausflug in fremde musikalische Welten mitginge – oder ob die alte Liebe dann doch erste Kratzer bekäme. Zwischen all den lauten Klängen können HÄMATOM in Zukunft aber auch gern weiterhin den ein oder anderen leisen Akzent setzen.

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