Review Iron Maiden – The X-Factor

  • Label: EMI
  • Veröffentlicht: 1995
  • Spielart: Heavy Metal

Blaze Bayley hat 1994 eine wahrliche Herkulesaufgabe übernommen, als er den legendären Sänger Bruce Dickinson der legendären Metaller IRON MAIDEN ablöste. Außer Fans, die erst mit dem ehemaligen Wolfsbane-Frontmann zu den eiseren Jungfrauen kamen, dürften wohl praktisch alle Liebhaber der Briten gewisse Schwierigkeiten mit dem neuen Bandleader gehabt haben, zu anders sang Bayley, was man ihm in Form von ausbleibenden Plattenverkäufen und schlecht besuchter Tourneen zum Vorwurf machte.

Warum aber eigentlich? Sicherlich, der Klang ist alleine aufgrund des Stimmumfangs schon unterschiedlich, ebenso der Stil, der einfach persönliche Färbung enthält. Hört man das erste Bayley-Album „The X-Factor“ aber mal etwas intensiver durch, fallen einem nicht nur einige ziemlich gute Songs, sondern auch passable Gesangsleistungen auf. Daher gleich der Aufruf zu Beginn (auch wenn der knapp 20 Jahre zu spät kommt), Bayley-MAIDEN nicht mit Dickinson-MAIDEN zu vergleichen.
Wie auch immer, „The X-Factor“ kommt nicht nur mit einer gesanglichen Runderneuerung daher, sondern bietet auch musikalisch einige Überraschungen für alteingesessene Fans, denn das Songwriting ist insgesamt wesentlich düsterer geworden. Songwriter, Bassist und Produzent Steve Harris erklärte dies mit dem persönlichen Tiefpunkt, den er nach Dickinsons Ausstieg und der Trennung von seiner Frau erreicht hatte. Möglicherweise war es aber auch ein loses Kalkül, denn die dunklere Stimme des neuen Sängers passte insgesamt gut zu dem Material. Allerdings haben die Lieder auch eine progressivere Note bekommen, Eingängigkeit a la „Fear Of The Dark“ sucht man weitgehend vergebens, auch wenn zumindest die kürzeren Songs wie „Man On The Edge“, „Look For The Truth“ oder „Judgement Of Heaven“ relativ schnell ins Ohr gehen.
Dass es auch anders geht, zeigt vor allem der elfminütige titelgebende Opener, der nicht nur aufgrund der gregorianischen Chöre, der Textzeile „The Name Of The Rose“ und der „elf heiligen, kapuzenumhangtragenden Männer, denen einer mit einem erhobenen Kreuz vorangeht“ in die Nähe der Inquisition bzw. des Romans „Der Name der Rose“ von Umberto Eco gerückt werden kann. Vielleicht nicht eben das spektakulärste Thema, musikalisch aber in jedem Fall sehr gut umgesetzt, typische Reiterriffs wechseln sich ab mit vielen düster-akustischen Parts, die die glücklicherweise lang vergangene Geschichte erzählen. Oder der Rausschmeisser „The Unbeliever“, ähnlich progressiv wie der Opener, aber ungleich anstrengender.

Was fehlt „The X-Factor“ denn aus möglichst neutraler Sicht, um es mit den Klassikern der Dickinson-Ära aufnehmen zu können? Ich meine, das Album präsentiert sich eine gute Stunde lang auf überdurchschnittlichem, mitunter hohen Niveau, vor allem das Songwriting ist abwechslungsreich gelungen, der Sound ist mit heutigem Standarad natürlich nicht mehr zu vergleichen, aber für damalige Verhältnisse ebenfalls absolut gelungen, über den Gesang habe ich genug verloren. Ja, vielleicht fehlen einfach ein oder zwei echte Hits, Lieder, die in den Diskotheken rauf- unter runtergespielt werden, Texte, die jeder noch so kleine Fan in- und auswendig kann. Die beiden Singleauskopplungen „Man On The Edge“ und „Lord Of The Flies“ bleiben im Vergleich zu „The Number Of The Beast“ oder „Aces High“ eher blass – auch wenn die Chartposition der 95er-Songs höher war als die der Referenzsingles. Hierbei gilt aber zu bedenken, dass IRON MAIDEN 1995 in der Öffentlichkeit eine höhere Reputation genossen als noch zehn Jahre zuvor.

„The X-Factor“ ist nicht der absolute Meilenstein in der Bandhistorie, so viel ist klar. Genausowenig ist es aber ein Totalausfall, wer sich ein wenig auf die insgesamt andere Atmosphäre einlassen kann, findet auch hier seine Freude, warum also nicht mal über seinen Schatten springen, die Scheibe gibt es sicher bei dem einen oder anderen Händler für ziemlich kleines Geld.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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