Review King Crimson – Starless And Bible Black

Wie immer haben sich KING CRIMSON auch für „Starless And Bible Black“ etwas besonderes überlegt, was das Album von seinen Studio-Genossen abhebt. Denn wo Live-Tracks normalerweise als Bonussongs für Re-Releases verwurstet werden, besteht dieses Album zum Großteil aus selbigen und wird als vollwertiges Material verwendet. Echte Studiotracks sind tatsächlich nur „The Great Deceiver“ und „Lament“, wodurch sich die Frage stellt, ob hier nicht eher ein Live-Album mit Studio-Zusatz vorliegt, als ein echtes Studiowerk. Sei’s drum.

Mit dem angesprochenen „The Great Deceiver“ geht’s zu Beginn gleichmal in die vollen, panische Riffs, abgedrehte Geige und eine Geschwindigkeit, dass erstmal der Mund offen steht. Und auch wenn man es von KING CRIMSON nicht glauben mag, hier wird tatsächlich mal gute Laune verbreitet und wirklich offensiv eins übergebraten, was es ja sonst eher selten so unverhohlen aus dem Lager der Briten gibt. Zwischendurch palavert Wetton verwirrte Phrasen über seinen Basslinien, dann geht’s wieder in einen ohrwumigen Refrain. Auch im ersten Teil von „Lament“ präsentieren sich KING CRIMSON erstaunlich arglos, eine Ballade mit ruhiger Begleitung über das Rock Star-Leben, wie sie ein Greg Lake nicht besser hinbekommen hätte. Doch KING CRIMSON wären nicht KING CRIMSON, wenn es dabei bleiben würde, denn schon nach kurzem können die Jungs nicht mehr an sich halten und verfallen in einen stark nach einer zackigeren Variante des „Larks‘ Tongues In Aspic“-Material tönenden Rhythmus-Krieg.

Nach äußerst abruptem Ende folgt „We’ll Let You Know“, wohl das experimentellste Stück der Platte, welches die berühmt-berüchtigte Live-Seite Crimsons eindrucksvoll darlegt: Hintergründige Geige, gemächliche, präzise Percussion, abgedrehte Gitarrenläufe und -geräusche und im Vordergrund ein tastender Bass, der sich immer wieder in typisch pumpende Riffs fallen lässt. Bevor der Hörer aber zur Annahme gelangt, es würde sich tatsächlich ein handfester Song entwickeln schleicht der Bass wieder weiter und jede Ahnung von Struktur ist dahin. Und es funktioniert trotzdem, die Atmosphäre ist ähnlich fremdartig (befremdlich?) wie auf dem Vorgänger-Album, deutet aber zugleich bereits die Ausrichtung von Songs wie „Starless“ vom Nachfolger an. Man fragt sich nur, wenn KING CRIMSON durch freie Improvisation so etwas einfach aus dem Ärmel schütteln, warum schreiben andere Bands dann überhaupt noch Songs? Ist das notwendig?

„The Nightwatch“, „Trio“ und „The Mincer“ sind dann berührende, balladenartige Nummern, die durch die „dominierende Stille“, wenn man das so nennen will, sehr an Intimität gewinnen. Jeder Ton wird da wohlüberlegt von wohldosiert gesetzt, als hätte man nur eine bestimmte Anzahl an Noten für den Song zur Verfügung. Ein ähnliches Prinzip wendeten KING CRIMSON bereits auf „Islands“ an, und in der Tat gibt es wie bei „Formentera Lady“ vom Vor-Vorgänger dann auch einen latent asiatischen Touch zu vernehmen, allerdings deutlich extravaganter und proportionierter eingesetzt.Auch der Titelsong benutzt Stille als Hauptinstrument und zwingt somit zur intensiven Beschäftigung mit den bizarren, verstümmelten Klängen, die wiederum den Horror von „Larks‘ Tongues In Aspic“ hochbeschwören, zumindest bis wieder eine fernöstliche Geige im Sound auftaucht und das Szenario in blasses Mondlicht taucht.

„Fracture“ ist nochmal ein Fall für sich, brachiale Riffs wechseln sich mit halsbrecherischen Gitarrentänzen ab und leiten über in ein Hauptthema, welches von allen Instrumenten mal performt wird (besonders eindrucksvoll von Seiten der Percussion). Insgesamt ein Glanzstück in Sachen Songwriting, das sich ohne weiteres mit Meisterstücken wie „Starless“ messen darf, was die aufgebaute Spannung angeht.

Der experimentelle Charakter ist es, der „Starless And Bible Black“ groß macht. Obwohl KING CRIMSON ja sowieso nicht für konventionelle Kompositionen bekannt sind, wird man selten mal so kalt erwischt wie von fast allen Stücken dieses Albums. Die Vorwürfe, das Album sei unzusammenhängend, kann ich nicht verstehen, gerade der Umstand, dass die Songs im Mittelteil sehr unvermittelt enden, verstärkt noch das Gefühl, es im Prinzip mit einem großen Ganzen zu tun zu haben.
Obwohl sich mir dieses Album als letztes von KING CRIMSON erschlossen hat, ist es nüchtern betrachtet auch nicht schwieriger zu hören als „Larks‘ Tongues In Aspic“ oder „Red“. Und schlechter ist es auch nicht, nur… anders, wie immer.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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