Review Kiss – Sonic Boom

  • Label: Roadrunner
  • Veröffentlicht: 2009
  • Spielart: Rock

KISS dürften, was Nährboden für spätere extreme Musik und den Einfluss auf diese betrifft, wohl alles in allem unerreicht sein: Geschminktes Auftreten, brennende Gitarren und die Dezibelzahl eindrucksvoll in die Höhe schrauben, das zeichnete KISS vor über 35 Jahren aus und tut es immer noch. Dass die Truppe trotz derart lang zurückliegendem Gründungsdatum immer noch existent ist, ist wohl nicht zuletzt dem Umstand, dass Gründer Paul Stanley und Gene Simmons seit den Anfangstagen durchgehend Bestandteil der Band, und noch viel mehr wohl deren untrüglichem Geschäftssinn, zu verdanken. Ein neues Studio-Album kommt dennoch irgendwo überraschend, begnügte man sich doch in den letzten acht Jahren damit, neun Compilations mit vermutlich zu 95% vollkommen identischem Songangebot zu veröffentlichen.

Dass einem als Bonus von „Sonic Boom“ schon wieder eine Best-Of untergejubelt wird, soll vorerst unbeachtet bleiben, zum 10000. Mal „Christine Sixteen“ kann noch ein wenig warten im Angesicht der Erkenntnis, dass „Sonic Boom“ tatsächlich das erste neue Material seit „Psycho Circus“ von 1998 beinhaltet. Nebenbei ist es auch das erste Album, auf dem der inzwischen langjährige Gitarrist Tommy Thayer offiziell zu hören ist, nachdem der wiedergekehrte Ur-Gitarrero Ace Frehley die Maskenmänner 2002 wohl endgültig verlassen hatte.Aber gut, weg von den Fakten, hin zur Musik, die bei KISS trotz aller Show doch immer in nicht unebachtlichem Maße zu überzeugen wusste. Zumal man sich stilistisch auch nie derart an die Wand fuhr, wie die Kollegen von AC/DC es mit „Black Ice“ jüngst von sich bezeugten. „Modern Day Delilah“ legt dann auch tatsächlich sehr erfrischend los und der Song schafft es, zugleich klassisch KISS als auch zeitgemäß zu wirken. „Russian Roulette“ hat in den Strophen ein cooles Wechselspiel aus Gitarren-Riffs und knarzenden Simmons-Basslinien. Dem Song an sich tun dann auch die Tempi-Wechsel zwischen den angesprochenen Strophen und den Refrains extrem gut. Noch oldschooliger als „Modern Day Delilah“ wird er in diesen Belangen dennoch getopt von „Never Enough“, der an sich auch problemlos auf einer der oben erwähnten Compilations stehen könnte – dieser Song ist der erste auf der Platte, der ein Feeling verströmt, als würde er direkt aus der längst vergangenen (dieses Gefühl hat man zumindest oftmals) Ära stammen, als noch zeitloser Rock geschaffen wurde. Und eine ähnliche Stimmung kommt tatsächlich auch bei prinzipiell allen anderen Songs auf, was weiteres Beschreiben überflüssig macht. Wie KISS im Wesentlichen klingen, ist eh klar, ein bisschen Hard Rock, ein bisschen Stadion Rock, ein bisschen Schunkeln, damit hat man den Mix, der auch „Sonic Boom“ ausmacht.
Dennoch haben natürlich auch viele alte Rock-Alben, so zeitlos sie sein mögen, ihre mehr und weniger spannenden Momente. Es hat ja auch durchaus seinen Sinn, dass ab und zu mal durch Best-Ofs eingegrenzt wird, was denn nun wirklich relevant bleibt. Hier kränkelt auch „Sonic Boom“ ein bisschen, richtig offensiv in den Gehörgängen nisten sich kaum Songs ein, wobei gerade der meiner Meinung nach beste interessanterweise von Drummer Eric Singer gesungen wird – „All For The Glory“ mit Namen, eine sehr entspannende Rock-Nummer mit genialem mehrstimmigem Refrain mit durch die Background Vocals bedingtem riesigem Mitgröhlcharakter. Ansonsten tut man sich beim Hören zwar schwer echte Schwächen auszumachen, einprägsam ist das Album als gesamtes aber nicht direkt. Immer überzeugend ist einzig Simmons‘ Bass, der wirklich extrem cool tönt und der sich auch in den seltensten Fällen mit schnöden Grundtönen zufrieden gibt.

Ein Fazit zu ziehen ist insgesamt sehr schwierig, ich bezweifle selbst bei den besseren Songs, dass sie auf Dauer im Ohr bleiben werden – aber, und dadurch wirds eben etwas kompliziert, KISS ist für mich ohnehin keine echte Ohrwurm-Band in dem Sinne: es ist immer sehr lässig, wenn es läuft und man erinnert sich zu diesen Gelegenheiten auch jedes mal daran, dass wirklich tolle Musik geboten wird. Aber dass man von einem Moment auf den anderen eine bestimmte Melodie im Kopf hat, die man dann unbedingt hören muss, das ist meiner Ansicht nach nicht das Metier der Jungs. Insofern ist „Sonic Boom“ doch wieder stark, denn wenn es mal läuft kommt man sicher nicht darauf, es vorzeitig abzuschalten.

Das scheinen KISS im Übrigen auch zu denken, haben sie doch der Special Edition des Albums wie gesagt eine weitere Best-Of mit Neuaufnahmen von 15 der üblichen Verdächtigen beigelegt, sodass sogar der KISS-Neuling problemlos den Qualitätswandel von alt nach neu selbst beurteilen kann. Was das neue Soundgewand dieser Klassiker angeht, so bekommt ihnen dieses sicher nicht schlecht, man ist so nett, den Hörer nicht mit Neuinterpretationen zu vergraulen, sondern beschränkt sich tatsächlich darauf, den Songs nochmal ein wenig Politur zu verleihen. Man könnte nun ankreiden wollen, dass die Tracks in ihren alten / älteren Versionen auch schon alles andere als übel klangen. Das ist korrekt, aber da ich das Digipak, der neben dieser Best-Of übrigens auch noch eine DVD, die einen Live-Auftritt in Buenos Aires beinhaltet, beiliegt, trotz KISS und trotz Neuerscheinung für nur 15€ Euro erwerben konnte, sind beide Boni vollkommen geschenkt und Beschwerden insofern wohl nicht angebracht.

KISS-Anhänger werden sich das Teil ohnehin unabhängig eines jeden Reviews kaufen. Gelegenheitshörer machen damit auch nichts falsch und Neulinge haben mit dem Digipak sogar die Möglichkeit, erheblich an ihrer Coolness in Sachen Oldie-Kenntnis zu feilen. Alles in allem ist „Sonic Boom“ eine sehr runde Sache geworden, die man den Jungs aber eben auch tatsächlich noch zutrauen konnte.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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