Konzertbericht: Kiss w/ The New Roses

31.05.2019 München, Königsplatz

Pink Floyd sind aufgelöst, Black Sabbath haben die Instrumente an den Nagel gehängt und nun verabschieden sich auch noch KISS von den Bühnen dieser Welt. Man muss sich schon mit geschlossenen Augen ganz fest an die Rolling Stones, AC/DC oder Alice Cooper klammern, um es nicht zu sehen: Die musikalische Kreidezeit geht zu Ende, die Rock-Dinosaurier sterben aus.

„End Of The Road“ ist die Tour betitelt, mit der sich The Starchild, The Demon, The Spaceman und The Catman von der Welt verabschieden wollen. Ehe die vier jedoch tatsächlich am Ende ihres Weges angekommen sind und ihr weltbekanntes Make-Up ablegen, gilt es noch so manche Show zu spielen. Etwa auf dem Münchner Königsplatz, wo die Auftritte von Kiss und La Brass Banda am Folgetag so etwas wie ein „Rockavaria Light“ darstellen: Das Festival hat nach der mäßig erfolgreichen Auflage von 2018 nämlich wieder einmal Pause.

Doch vor den Rock haben die Götter den Moser gesetzt, wie man in München so schön sagt. Und vor den Auftritt des DJs und Radio-Moderators von Rockantenne das am Königsplatz fast schon obligatorische Einlass-Chaos: Statt um 17:30 Uhr dürfen die geduldig ausharrenden Fans erst um 18:40 Uhr aufs Gelände. Und statt geplanter 75 Minuten darf der „Metal Moser“ das Publikum nur knapp eine halbe Stunde bespaßen. Dabei fokussiert er sich auf ehemalige Vorbands von Kiss, von Bon Jovi über Iron Maiden bis hin zu Die Ärzte, welche – die älteren werden sich noch erinnern – Kiss 1996 bei ihrer Reunion-Tour supporten durften. Eine nette Idee, die trotz etwas peinlicher Eddie-Maske ganz gut funktioniert. Ein echter „Support-Act“ ist das aber natürlich nicht.

Eher schon THE NEW ROSES, eine Rock-Band aus dem beschaulichen Rheingau – und ganz offensichtlich nicht der amerikanische Performance-Maler David Michael Garibaldi, der im Programmheft angekündigt ist. Zumindest für den eher bodenständigen Rock-Fan ist das wohl auch besser so: Statt Kunst zu Musik gibt es bei THE NEW ROSES einfach nur Musik. 45 Minuten arbeitet sich das Quartett auf, um auf dem malerisch ins letzte Licht des Tages getauchten Königsplatz etwas Stimmung aufkommen zu lassen. Doch da können sich THE NEW ROSES die Finger wund rocken – wirklich in Wallung versetzt das hier und heute keinen.

Und schon ist Umbaupause. Oben auf den Leinwänden flimmert Werbung für Autoversicherungen und teure Smarthome-Lösungen, unten gibt es Bier für 5,50€ plus 2€ Pfand auf Becher, die sowieso niemand zurückgibt. Wer zwischen 100 und 160 € für ein Ticket ausgeben kann, interessiert sich für das eine und stört sich nicht am anderen, sollte man meinen – und doch tut man dem Publikum damit unrecht: Überraschend viele Junge und eben nicht Autoversicherung-Smarthome-gealterte Rocker bilden heute die „Kiss Army“ auf dem Königsplatz.

20:45 Uhr, „Rock and Roll“ von Led Zeppelin erklingt, der Vorhang fällt – und KISS betreten die Bühne. Doch KISS wären nicht KISS, würden sie die Bühne einfach nur betreten: Vielmehr schweben sie vom Bühnendach herab, auf drei Plattformen, umgeben von einem Spektakel aus Feuer, Rauch und Licht, das schon jetzt Maßstäbe setzt und erahnen lässt, was einen im weiteren Verlauf dieses Abends erwartet: Viel Show, aber auch eine ordentliche Portion Rock.

„Detroit Rock City“, „Shout It Out Loud“, „Deuce“ … KISS legen direkt gut vor an diesem Abend, und sieht man von den etwas leisen Gitarren ab, ist das, was da aus den Boxen schallt, fast schon erstaunlich gut: Gewiss, an Paul Stanleys Stimme sind die 46 Jahre Rock ’n‘ Roll nicht spurlos vorübergegangen und nun ja, die großen Virtuosen an ihren Instrumenten waren KISS noch nie. Macht aber alles nichts: Begleitet von noch mehr Feuer, einer Lasershow und alten Konzert-Mitschnitten die mit der Live-Übertragung auf drei Leinwänden verschmelzen, rocken Klassiker wie „I Love It Loud„, „Lick It Up“ oder „Calling Dr. Love“ heute trotzdem ordentlich.

30 Minuten, acht Songs. So lautet die etwas beängstigende Zwischenbilanz dieses furiosen Starts. Beängstigend, weil klar ist, dass KISS dieses Tempo gar nicht beibehalten können. Doch genau für diese Situation wurde schließlich schon vor Jahrzehnten das Rock-Solo instrumentalisiert: Als kleine Verschnaufpause für den Rest der Band, für gealterte Rocker, die ein volles Zwei-Stunden-Set nicht mehr durchhalten. Und so bekommt „100.000 Years“ ein ausschweifendes Schlagzeugsolo verpasst, „Cold Gin“ ein ebenfalls nicht enden wollendes Gitarrensolo von Tommy Thayer, und „God Of Thunder“ nutzt Gene Simmons – richtig geraten – für ein Basssolo. Und schon ist eine weitere Dreiviertelstunde rum.

Dass diese Soli weniger aus musikalischer Notwenigkeit ins Set eingepflegt wurden, denn eher, um am Ende des Abends auf eine amtliche Spielzeit von über zwei Stunden zu kommen, lässt sich angesichts der begrenzten Virtuosität aller drei Darbietungen kaum verheimlichen – doch immerhin drücken KISS, während sie musikalisch vom Gas gehen, in Sachen Show auf die Tube: Eric „The Catman“ Singer bekommt feurige Unterstützung, Tommy „The Spaceman“ Thayer schießt mit Pyrotechik aus dem Gitarrenhals über ihm schwebende Ufos ab und Gene „The Demon“ Simmons darf sich von seiner legendären Zunge abwärts ordentlich mit Kunstblut besudeln.

Gerade, als man sich fragt, ob KISS vielleicht doch nur noch Showmen, aber keine Rocker mehr sind, belehren Paul Stanley und Konsorten uns eines besseren: Mit einem knackigen „Psycho Circus“, dem (gelungen!) mit Soli angereicherten „Let Me Go, Rock ’n‘ Roll“ und einer besonderen Showeinlage des Fronters: Über einen Flying-Fox gleitet Stanley mitsamt Gitarre auf eine Nebenbühne in der Mitte des Publikums, von wo aus er „Love Gun“ und den Über-Hit „I Was Made For Lovin‘ You“ spielt. Zurück auf der Bühne gibt es noch eine etwas wacklige Darbietung von „Black Diamond“, ehe Eric Singer mit „Beth“ am Flügel die Zugaben einleitet.

  1. Detroit Rock City
  2. Shout It Out Loud
  3. Deuce
  4. Say Yeah
  5. I Love It Loud
  6. Heaven’s On Fire
  7. War Machine
  8. Lick It Up
  9. Calling Dr. Love
  10. 100,000 Years
  11. Cold Gin
  12. God Of Thunder
  13. Psycho Circus
  14. Let Me Go, Rock ’n‘ Roll
  15. Love Gun
  16. I Was Made for Lovin‘ You
  17. Black Diamond
  18. Beth
  19. Crazy Crazy Nights
  20. Rock And Roll All Nite

Crazy Crazy Nights“ und „Rock And Roll All Nite“ – viel besser könnten die Titel der fast obligatorischen letzten beiden Nummern heute kaum passen: Zwei Stunden und zehn Minuten Spielzeit kann man durchaus als „all night“ durchgehen lassen. Und kaum eine Zeile von KISS könnte die Attitüde dieser vier Herren am Ende ihrer 46-jährigen Karriere besser zusammenfassen als „This is my music, it makes me proud, these are my people and this is my crowd“. Bei allen Befürchtungen: Diese Abschiedsshow kann sich sehen lassen. Crazy Crazy Night.

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Ein Kommentar zu “Kiss w/ The New Roses

  1. Danke für diesen ausführlichen, gelungenen Bericht und die tollen Fotos. Sehr gute Umschreibung des Geschehens beim Abschied dieser legendären Band und ihren Musikern. Ja man wird sie vermissen, vor allem wegen ihres Outfits, das wohl allen in Erinnerung bleiben wird. Die Music der Band war und ist bis auf wenige Ausnahmen über die Jahrzehnte nicht so im Vordergrund gestanden. Hier haben die Musiker ein Genre geprägt und waren riesige Vorbolder auch für doe Glamrock-Fans. Vielen Dank und alles Gute für die Band und ihre Zukunft. Man wird sich gerne an KISS erinnern.

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