Review My Dying Bride – 34,788 % … Complete

  • Label: Peaceville
  • Veröffentlicht: 1998
  • Spielart: Doom Metal

Weiterentwicklung, Experimentierfreude und das Beschreiten neuer Wege – dies sind nach wie vor Begriffe, bei denen es manchem Metalfreund mulmig in der Magengegend oder sonst wo wird. Wenn man Glück, wird man nur als fehlgeschlagenen Versuch, alte Konventionen zu lösen, bezeichnet, meistens ist von Kommerzialität und ähnlichen Beschimpfungen die Rede. Die Floskel „Stillstand bedeutet Tod“ kommt dagegen selten zur Anwendung. Oft ist das schade, denn bei genauem Hinhören offenbaren sich häufig nicht erahnte auditive Genüsse. Ob man beim fünften Werk „34,788 % … Compete“ der britischen Vorzeigedoomer MY DYING BRIDE mit so lauten Jubelhymnen aufwarten muss, bleibt zunächst abzuwarten, ein pauschale Ablehnung muss aus den ausgeführten Gründen heraus natürlich abgelehnt werden.

Bereits der Vorgänger „Like Gods Of The Sun“ zeigte stylistische Veränderungen, zwar blieben mit dem charakteristischen Gesang von Aaron Stainthorpe und den Violinenklängen von Martin Powell wichtige Trademarks erhalten, aber schon die Ausrichtung zu kürzeren Songs war ein eindeutiges Indiz, dass sich die Band von ihren Wurzeln ein Stück weit entfernte. Dieser Schritt wird nun konsequent weiterverfolgt, auch wenn ich mich gleich zu Beginn von den Ausführungen anderer Schreiberlinge, dass der Sound fröhlicher geworden ist, distanzieren möchte. Die vorherrschende Tonart ist weiterhin Moll, die Geschwindigkeit bleibt im unteren Bereich, insgesamt klingt das alles ziemlich düster. Und mal ehrlich, ob die Songs jetzt von eigenem Versagen und Drogen oder der puren Verzweiflung klingen, macht den Kohl nun auch nicht wirklich fett. Wenn die Musik stimmt, ist man in vielen Fällen ja ohnehin zu einem Qualitätsverzicht – so es denn einer sein sollte – bereit.

Tja, und die Musik…so unterschiedlich ist sie in den meisten Fällen gar nicht zu dem, was man zwei Jahre zuvor veröffentlicht hat. Ich sage bewusst „in den meisten Fällen“, da über den einen oder anderen Song sicher genauer zu reden sein wird. Der Opener mit dem opulenten Namen „The Whore, The Cook And The Mother“ ist dann auch gar nicht mal so kurz, wie in der Einleitung angedeutet, mit über elf Minuten ist es die längste Nummer, dabei wirkt er aber nicht so sperrig, wie es im Doomsektor häufiger mal passiert, durchaus gefällig trauern sich die Herrschaften durch ein textlich etwas krude Story, die mir vorkommt wie der Besuch im Freudenhaus auf Drogen. Nicht schlecht, aber unter dem Strich dann doch etwas zu langatmig, um als Glanzlicht ins Ziel zu laufen. Dass sie es aber nicht verlernt haben, zeigen die Jungs mit dem bedeutungsschwangeren „Der Überlebende“, welcher sich als Hilferuf aus dem Drogensumpf interpretieren ließe, auf jeden Fall aber eine sehr ohrwurmige Melodie bereit hält und sogar im einen oder anderen Riff mit ansprechender Härte daher kommt.

Wenden wir uns mal den negativen Punkten zu; ich möchte jetzt wahrlich nicht kritisieren, dass „Heroin Chic“ fast nur auf Trip-Hop-Elementen basiert, es gibt reichlich Bands, die derartige Stylistiken im Bereich Dark Rock perfekt einbauen, der großartigste Erfolg gelang dabei vermutlich Antimatter mit dem Album „Lights Out“, aber dies nur am Rande. Dann muss man aber auch sagen, dass es diese Bands einfach besser gemacht haben, „Heroin Chic“ ist unter dem Strich eine langweilige Nummer mit wenig Möglichkeit, etwas schön zu reden. Sehr anstrengend ist Stainthorpes narrrativer Gesangsstil. Was bei Nick Cave (manchmal) cool ist, klappt hier leider so gar nicht, minutenlang wird der Text mehr erzählt denn gesungen, leider ein verschenkter Song. Wesentlich rockiger, aber nicht so viel besser ist „Base Level Erotica“, welches es erst zum Ende schafft, eine schmerzvolle Atmosphäre aufzubauen. Da hört man lieber noch mal intensiver in „Apocalypse Woman“ rein, da bekommt man wenigstens was fürs Geld und wenn es nur eine Menge konzentrierter Tränen sind. Aber die will man bei der sterbenden Braut ja auch, also Ziel erreicht.

Das gilt auch für mich, denn mehr muss und braucht man zu „34,788 % … Complete“ eigentlich nicht sagen. Das Album ist viel besser, als es von manchen Seiten gemacht wird, aber unverkennbar schwächer als die Highlights der Bandgeschichte, die seltsamerweise alle aus der früheren Schaffensperiode stammen, auch wenn es später immer wieder Höhen (The Light At The End Of The World, Songs Of Darkness – Words Of Light) und Tiefen (Dreadful Hours – ja, tatsächlich ist jede Stunde, die man mit dieser CD verbringt, schrecklich) gab. Komplexität und Tiefe haben hier zu Gunsten von etwas mehr Eingängigkeit doch etwas gelitten. Eine Ballade im Stil von „Sear Me III“ oder „For My Fallen Angel“ wäre ebenfalls noch schön gewesen, Grunzgesang vermisst man jetzt nicht so unbedingt. Als Fan muss man die CD haben, für Gelegenheitsjammerlappen und Neutrauerklösse empfiehlt der Sargträgerverein jedoch vor allem „The Angel And The Dark River“ oder auch „Turn Loose The Swans“.

Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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