Review Rummel Racke – Liebe auf den ersten Schluck

  • Label: Eigenproduktion
  • Veröffentlicht: 2020
  • Spielart: Entmetallisiert, Singer/Songwriter

Not macht erfinderisch – oder im Falle von Versengold-Frontmann Malte Hoyer kreativ. Der vielseitige Texter und Sänger hat dieses Jahr mehrere Gedichtbände herausgebracht, mit seiner Hauptband die Sommer-Edition von „Nordlicht“ veröffentlicht und sich mit RUMMEL RACKE ein weiteres Alter Ego erschaffen. Dieses Mal ist der Folk-Veteran mit seiner Drehorgel größtenteils allein unterwegs – und überzeugt auch auf ungewohnt morbide Art.

„Kurbeln statt Schwurbeln“ lautet die Devise von Racketius Rummelschluck alias Rummel Racke, einer fiktiven Schausteller-Musiklegende des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit, als die Angst vor Hunger und Krieg dominierte, versetzte er mit seiner jahrzehntelang in Fusel eingelegten Stimme und der scheppernden Drehorgel das Publikum in ausschweifende, feuchtfröhliche Ektase. Soweit die Legende. Knapp 200 Jahre später sind zehn seiner größten Orgel-Hits erstmals gesammelt auf einer CD erschienen. Inhaltlich gibt sich der Barde mit „Ein Klopapier auf dem dein Name steht“ auch zeitgenössisch. Insgesamt überzeugen die Texte wie in „Ohne Schirm, Charme, aber mit Melone“ als Rausschmeißer oder im tanzbaren „Ich wär ein schlechter Millionär“ durch viel Wortwitz und Intellekt, Maltes Stimme ertönt angenehm vielseitig von glockenklar wie in „Der alte Leiermann“ bis eindringlich tief wie im ernsten „Der Knochenmann“. Mit etwas mehr metallischem Einschlag könnte jene Nummer auch von Combos wie Eden weint im Grab stammen. Der Titeltrack geht wiederum beinahe Richtung Schlager, im konkreten Fall lässt Siw Malmkvist grüßen. Zum Glück wirkt keiner der Songs so, als wäre er aus der Not heraus entstanden. Obwohl Maltes Stimme und seine Drehorgel immer das Gerüst bilden, ist „Liebe auf den ersten Schluck“ erstaunlich vielseitig.

In „Die Nachtigall vor meinem Fenster“ bringt Racke zusammen mit Lars von Comes Vagantes den Vogel erst so richtig zum Klingen – ehe er mit dem Dudelsack zurückschlägt. Das Instrument ist ein Novum im Klangkosmos des Malte Hoyer. Von diesen charmanten Momenten lebt RUMMEL RACKE und sie ziehen sich angenehm durch das gesamte Album, unter anderem direkt zu Beginn mit einem Glockenspiel-Intermezzo in „Götterkindergarten“ oder beim Flöten-Mitklatschteil in „Der Latrinensturz“. Am Ende dürfen sogar die Supporter als (etwas schwachbrüstiger) Chor in den Refrain von „Ohne Schirm, Charme, aber mit Melone“  miteinstimmen. Gerade in der engen Verbindung zwischen RACKE und den Fans, die das Projekt über Tipeee entscheidend mitgestalten und -finanzieren, liegt noch Potenzial für die Zukunft. Die Produktion ist bereits auf dem Level, den man von Malte bei Versengold, Knasterbart und Co. inzwischen gewohnt ist. Für ein derlei kleines Projekt beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Nicht alles an Corona ist schlecht. Ohne die Pandemie hätte das bunte Potpourri von RUMMEL RACKE wahrscheinlich nie das Licht der Welt erblickt. „Liebe auf den ersten Schluck“ dient als morbide-heiterer Soundtrack für die dunklen Tage. Musikalisch präsentiert sich Malte noch einmal von einer ganz anderen Seite, ein bisschen wie das düstere Jahrmarkt-Pendant zum Gossen-Schürzenjäger Hotze Knasterbart. Je länger Corona die Kulturszene lähmt, desto wahrscheinlicher werden wohl weitere Racke-Ergüsse fernab billiger Kalauer wie Kirmes-Klaus oder Volksfest-Volker.

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Wertung: 8 / 10

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