Review Versengold – Nordlicht

Mit “Nordlicht” veröffentlichen VERSENGOLD ihr nächstes Studioalbum, nachdem sie mit dem Vorgänger „Funkenflug“ überraschend auf Platz 2 der deutschen Albumcharts landeten. Das doch sehr generische Cover, das an SANTIANO erinnert, macht skeptisch – wieviel VERSENGOLD wird tatsächlich noch auf diesem Album sein? Doch die Jungs haben sich musikalisch nicht verbiegen lassen und präsentieren mit „Nordlicht“ die nächste Welle an neuen Fan-Favoriten.

“Nordlicht” beschäftigt sich, wie der Name vermuten lässt, hauptsächlich mit Themen rund um das Meer und den Norden. Thematisch begrenzt heißt aber nicht gleichzeitig musikalisch einseitig: Von treibenden, sympathischen Feierhits („Butter bei die Fische“, „Der Tag, an dem die Götter sich betranken“, „Thekenmädchen“), über epische Kompositionen („Durch den Sturm“, „Winterflut 1717“) bis hin zu teils arg seichten, teils brillanten Balladen („Erinnere Dich“, „Meer aus Tränen“) ist auf „Nordlicht“ alles vertreten und für jeden etwas dabei. Dabei stehen die sprachlich hochwertigen Texte und die um ihr Leben spielende Violine weiterhin im Vordergrund. Zwar haben VERSENGOLD auf ein Instrumentalstück verzichtet, doch es gibt wieder genügend Passagen, die das Können der einzelnen Musiker tanzbar präsentieren. Auch ein paar Überraschungen sind zu hören: So wird beispielsweise beim Wohlfühl-Song „Küstenkind“ die Mandoline ausgepackt und lädt zum Mitwippen an heimeligen Ufern ein. Beim wilden „Teufelstanz“ bekommt Sänger Malte weibliche Unterstützung von FAUN-Sängerin Laura Fella, deren Gesangstalent zwar leider keine eigene Strophe eingeräumt wird, aber das auch als Zweitstimme eine tolle und willkommene Ergänzung im VERSENGOLD-Sound darstellt. Mit „Braune Pfeifen“ fügen die Nordlichter ihrem Repertoire noch den obligatorischen Mittelfinger gegen Rechts hinzu – und schaffen es dabei im Gegensatz zu vielen Genrekollegen, das Thema gleichzeitig sprachlich kreativ sowie mitsing- und tanzbar zu verpacken.

Eine spannende thematische Parallele, wenn man sie heraushören möchte, findet sich in zweien der besten Songs auf “Nordlicht”, nämlich “Winterflut 1717” und “Ein Meer aus Tränen”. “Winterflut 1717” erzählt von einer Tragödie, die sich Weihnachten 1717 in den Küstengebieten der Niederlande, Dänemark, Schleswig und Ostfriesland abspielte. Unterlegt mit einem (objektiv vielleicht etwas zu kitschigen) Seemannschor erfährt der Zuhörer, wie der Wind dort nachts überraschend nach Nordwesten drehte und eine Sturmflut herbeiführte, die nicht nur tausenden Menschen und Tieren das Leben kostete, sondern auch in der darauffolgenden Frostperiode ums nackte Überleben kämpfen ließ. Thematisch passend wechselt das Tempo in diesem Song immer wieder zwischen mid-tempo und schnellen Passagen – fast schon ein versengoldsches Markenzeichen. Erzählt wird das Ereignis aus der Sicht eines Mannes, der noch versucht, die Bevölkerung zu warnen, jedoch kein Gehör findet. “Auch heute scheint die Welt wie taub, wenn wieder jemand warnt”, singt Malte, und spannt damit den thematischen Bogen zu “Ein Meer aus Tränen”, in dem ebenfalls Menschen im Meer ihr Leben verlieren – doch diesmal ist es 300 Jahre später und hochaktuell. In einem der stärksten Songs der Band überhaupt finden VERSENGOLD genau die richtigen poetischen Worte, um die ausweglose Situation der Flüchtenden auf den Booten zu beschreiben, ohne dabei in Kitsch oder Mitleidsgehabe zu verfallen. Stattdessen prangern VERSENGOLD mit umso klareren Worten die westliche Gesellschaft an, die nicht über den Tellerrand blicken will und in ihrem Wohlstand viel zu faul geworden ist, um sich für das Leid der Menschen vor der eigenen Haustüre zu interessieren. Eine kraftvolle, nicht nur sprachlich wunderschöne Ballade, die schwer auf den Brustkorb drückt.

Auch „Erinnere Dich“ und „Die Blätter, die im Frühling fallen“ sprechen mit Alzheimer und Verwahrlosung beziehungsweise Perspektivlosigkeit der Jugend zwei wichtige zeitbezogene Themen an. Ebenfalls als Balladen verpackt, klingt aber gerade „Erinnere Dich“ leider nicht sehr erinnerungswürdig. Deutlich mehr im Kopf bleibt dagegen “De rode Gerd”, das eine alte Räubergeschichte aus dem 18. Jahrhundert um einen zwielichtigen Schmugglerkönig aus dem Teufelsmoor aufgreift und damit an alte VERSENGOLD-Klassiker erinnert. Dabei hätte das Stück ruhig noch in weiteren Textzeilen in Platt sein dürfen – was ganz allgemein etwas ist, das man sich von VERSENGOLD in Zukunft wünschen kann. Ein solches Mundart-Kleinod hätte man beispielsweise mit einer Hymne an den Bandzusammenhalt und Zugehörigkeit verknüpfen können. Als solche konzipiert klingt “Wohin wir auch gehen” dagegen eher wie “An Tagen wie diesen” im schunkelfreundlichen Dreivierteltakt und hört sich spätestens im Refrain an wie ein seichter Bierzelt-Rausschmeißer nach Mitternacht. Ein etwas uninspiriertes, aber sicherlich live gut funktionierendes Ende für das insgesamt abwechslungsreiche und musikalisch hochwertige Album.

Generell gilt: Wer “Funkenflug” mochte, wird auch “Nordlicht” mögen, so das knappe Fazit für die, die direkt ans Ende dieser Review gesprungen sind. Die mittlerweile gar nicht mehr so neue Neuausrichtung der Band hat sich ausgezahlt, so spielen VERSENGOLD doch immer öfter Headliner-Shows und können mit ihrer Musik eine große Fangemeinde begeistern. “Nordlicht” ist die konsequente Fortsetzung und kann mit einigen Highlights und durchweg hoher Soundqualität aufwarten. Mag auch nicht jeder Song ein Dauerbrenner werden, so bleibt das Album doch eines, das man sehr gerne von vorne bis hinten durchhören und immer wieder seinen Spaß damit haben wird.

Wertung: 8.5 / 10

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