Review Savatage – Handful Of Rain (Re-Release)

„Handful Of Rain“ ist sicherlich nicht das erste Album, das einem beim Namen SAVATAGE einfällt. Nicht selten wird es als rein therapeutische Übung abgetan, die nach dem tragischen Tod des Gitarristen Chris Oliva (Bruder des „Mountain-King“ Jon Oliva) im Jahr 1993 einfach aufgenommen werden musste, um die Band zusammen- und das Geschäft am Laufen zu halten. So abgetan werden die Qualitäten des immerhin 9. Studioalbums der Urgesteine aus Florida leicht übersehen. Die 2011-Neuauflage aus dem Hause ear-Music sollte Anlass genug sein, das Album einer Neubewertung zu unterziehen.

Mit der ersten Überraschung warten gleich die einleitenden Worte von Jon Oliva auf: Das Album sei damals gar nicht von der Band eingespielt worden. Die sei nach Chris’ Tod zu überwältigt gewesen und habe sich schlicht nicht zum Termin im Studio eingefunden. Also habe Jon, der immerhin formal zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr Mitglied der Band war, alle Instrumente selber eingespielt – mit Ausnahme einiger Leadparts an der Gitarre, für die Alex Skolnick (Testament) die Verantwortung übernahm. Zak Stevens sei später dazu gestoßen und habe die Vocals aufgenommen. Umso bemerkenswerter, dass Jon Oliva als einziges Bandmitglied auf den Fotos fehlt und in den Credits nur als Songwriter und mit „Keyboards and Piano“ gelistet wurde.

Aber es sollte ja gerade nicht um die tragischen und eigenwilligen Entstehungsbedingungen gehen – dazu ist an anderen Stellen genug geschrieben worden. Was bietet uns die Band musikalisch? Zuerst fällt das große stilistische Spektrum auf. Das Songwriting ist abwechslungsreich und geizt nicht mit Experimenten. Schnelle, harte Nummern wie „Taunting Cobras“ oder „Nothing’s Going On“ wechseln sich mit Midtempo-Stampfern wie „Handful of Rain“ und gefühlvollen Balladen („Alone You Breathe“). Mit dem instrumentalen „Visions“ und besonders dem Longtrack „Chance“ finden sich aber Nummern, die in die Zukunft weisen: Derartig opulente Songs mit Kanon-Gesang wurden immerhin später zu einem Markenzeichen der Band. Insgesamt geht es sehr viel softer zur Sache als auf den früheren Alben, vereinzelt fühlt man sich eher wie auf einem Hardrock-Album – was ja nicht schlecht sein muss. Gerade Fans des älteren Materials werden sich aber manchmal an den Kopf fassen (u. a. „Watching You Fall“).

Das Songwriting weist nur wenige Schwächen auf. Die meisten Lieder sind sehr stimmig und geschlossen, ohne dabei vorhersehbar zu werden. Einzig die Übergänge in „Alone You Breathe“ erscheinen etwas abrupt, ein Spannungsbogen baut sich nur schwer auf. Auch fehlen die „echten“ großen Kracher und Ohrwürmer, wie man sie von anderen Alben der Band kennt. Den „einen“ Song zu benennen, der im Ohr bleibt, fällt überraschend schwer. Musikalisch hat die Band, also in diesem Fall v. a. Jon Oliva, dennoch gute Arbeit geleistet – nicht so virtuos und dynamisch wie auf den früheren Alben, aber das kann nach dem Verlust von Ausnahmegitarrist Chris Oliva auch keiner erwarten. Auch produktionstechnisch gibt es wenig Anlass für ernsthafte Kritik. Der Klang hat die nötige Tiefe für die zahlreichen Wechsel in Lautstärke und Geschwindigkeit und den nötigen Druck für die härteren Riffs. Die der 2011er-Version beigefügten Bonustracks sind übrigens schöne Akustikvarianten der SAVATAGE-Klassiker „Summer’s Rain“ und „Believe“, die für mehr Freude sorgen, als es eine der x-beliebigen Live-Versionen getan hätte, die Labels bei Reissues sonst gerne anhängen.

Was bleibt also? Ein sauber produziertes, gut eingespieltes, abwechslungsreiches Album, das für manche alte Fans zu „weich“ klingen kann. Seine Bedeutung gewinnt es, wie allerdings erst die Retrospektive zeigt, durch seine Stellung als Übergangsalbum zwischen dem metallischen „Edge of Thorns“ und dem symphonischen „Dead Winter Dead“. Damit ist es weit mehr als ein „Therapiealbum“ und harrt der (Wieder-)Entdeckung.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Marc Lengowski

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