Review Tengil – shouldhavebeens

Manche Menschen neigen dazu, die Zeit ihrer Jugend durch eine rosarote Brille zu betrachten – es ist ein Lebensabschnitt, der oft von einer sonderbaren Mischung aus unbändigem Optimismus, Aufgeschlossenheit gegenüber dem Ungewissen, aber auch frühzeitiger, wehmütiger Nostalgie geprägt ist. Ebendieses allzu nachvollziehbare Gefühlschaos ist die Grundthematik, der sich das schwedische Post-Hardcore-Quartett TENGIL auf seinem zweiten Album und Prophecy-Debüt „shouldhavebeens“ widmet. Das Konzeptalbum über die miteinander verknüpften Lebenswege zweier Freunde steht damit von Anfang an erkennbar im scharfen Kontrast zu dem geradezu verstörenden, ungeschönten Vorgänger „Six“.

Dass TENGIL die Möglichkeiten, die sich ihnen im Hardcore und Post-Rock bieten, in vollem Umfang ausschöpfen, wird vom ersten Augenblick an deutlich: „I Dreamt I Was Old“ startet ohne Umschweife mit brachialen Drums, die eine seltsam gegensätzliche Symbiose mit sphärischen, strahlenden Klangebenen bilden. Trotz aller Härte, die auch in weiterer Folge immer wieder das Gitarren- und Schlagzeugspiel der Schweden zeichnet – sogar vor Blast-Beats wird nicht zurückgeschreckt – ist es vor allem das leichtfüßige Post-Rock-Feeling, das „shouldhavebeens“ einen markanten, glänzenden Anstrich verpasst. TENGIL tun gut daran, gelingt es ihnen dadurch doch auf unvergleichliche Weise, das lyrische Konzept in der Stimmung der Musik durchklingen zu lassen.

Mal schwelgt man in den bittersüßen Erinnerungen von damals, die Clean-Gitarren zurückhaltend und sphärisch („All For Your Myth“), dann schwingen sich die Melodien zu einem überschwänglichen, euphorischen Höhenflug auf („It’s All For Springtime“). Das Höchste der Gefühle ist im Fall von „shouldhavebeens“ jedoch unzweifelhaft der unfassbar emotionale Gesang von Sakarias, der in seiner Performance Mal um Mal bis an seine Grenzen geht. In jedem Wort, das der passionierte Sänger mit seinen hohen, ausgelassenen Vocals vertont, ist die tiefe Sehnsucht nach den Kindheitsfreunden, die Angst davor, einander aus den Augen zu verlieren und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft zu spüren – Gefühle, die wohl jeder von uns schon einmal in sich getragen hat.

Dass TENGIL den Hörer auf emotionaler Ebene derart direkt ansprechen, würde ihre zweite Platte eigentlich zu einer fantastischen Erfahrung machen – wäre da nicht die miserable Produktion. Unausgeglichen, gedämpft bis zur Unkenntlichkeit, plump und grundlos noisig sind nur ein paar der Adjektive, mit denen sich das bedauerliche Sounddesaster umschreiben lässt.

Es ist wirklich ein höchst unglücklicher Umstand, dass „shouldhavebeens“ mit einem so unsäglich miesen Klang gestraft ist. Abgesehen von ein paar fragwürdigen Entscheidungen im Songwriting (wie etwa die neun Sekunden völliger Stille mit dem Titel „A Lifetime Of White Noise“) haben TENGIL hier nämlich ein ungeheuer gefühlsgeladenes Stück Musik geschaffen, das die jugendliche Energie des Post-Hardcore mit der Emotionalität und Larger-Than-Life-Atmosphäre des Post-Rock vereint. Sieht man über den misslungenen Sound hinweg, darf man sich über ein paar wirklich bewegende Gänsehautmomente freuen. Wer das nicht kann, muss seine Hoffnungen wohl in die nächste Deafheaven-Platte setzen.

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Wertung: 7 / 10

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