Interview mit Sakarias von Tengil

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Mit „shouldhavebeens“ hat sich die schwedische Post-Hardcore-Truppe TENGIL von der Düsternis ihres Debüts losgesagt und damit eine einzigartige Platte mit einer unwirklich schimmernden Atmosphäre geschaffen. Warum sich die Band nach einem Bösewicht aus einem Astrid-Lindgren-Roman benannt hat, wie das Quartett mit seiner eigentümlichen Musik bei Prophecy Productions gelandet ist und warum man den eigenen Erinnerungen nicht immer trauen sollte, erfahrt ihr unter anderem im folgenden Interview mit Leadsänger Sakarias.

TENGIL ist der Widersacher in Astrid Lindgrens Roman „Die Brüder Löwenherz“. Habt ihr euch bewusst nach dieser Figur benannt und falls ja, aus welchem Grund?
Wir haben den Namen einfach gewählt, weil er damals für uns cool klang, da waren wir 17 (lacht), aber es hat sich inzwischen herausgestellt, dass er in verschiedenen Sprachen viele unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Es bedeutet etwas Ähnliches wie „König“ auf Altnordisch, „Verbindung“ auf Isländisch, „Arschloch“ auf Indonesisch und er ähnelt dem Wort „Tengu“ auf Japanisch, was eine Art folkloristischer Dämon ist. Es ist schon witzig, dass das Wort all diese Bedeutungen hat, davon hatten wir keine Ahnung, als wir es ausgewählt haben.

Eure Musik ist ziemlich eklektisch, irgendwo zwischen Hardcore und Post-Rock. Bezieht ihr hauptsächlich von Bands aus diesen Genres Inspiration oder gibt es auch andere Musik, die euch beflügelt?
Wir versuchen nur, die Musik zu machen, die wir selbst hören wollen und von der wir denken, dass niemand anderer sie macht.

Einige Stilmittel, die ihr nutzt, könnte man auch dem Metal zuordnen – ihr setzt zum Beispiel Blast-Beats ein. Hast du auch einen persönlichen Bezug zu Metal oder ist das bei euch eher eine Randerscheinung?
Ich schätze, wir sind alle Metal-Absolventen. Hierbei komme ich gewissermaßen auf die vorherige Frage zurück. Als wir aufwuchsen, durchliefen wir alle diese gewöhnlichen Phasen: Metal, Post-Rock, Hardcore, Indie-Rock und so weiter. Im Moment hören wir hauptsächlich Noise und klassische Musik, mal sehen, wann wir da rauswachsen. Wir versuchen jedoch, uns das, was wir am Metal am meisten geliebt haben, zu erhalten, nämlich die Gewalt.

Euer Debüt „Six“ war optisch und musikalisch noch sehr düster, auf eurem neuen Album „shouldhavebeens“ herrscht hingegen eine helle, bunte Atmosphäre. Wie kam es zu diesem Wandel?
Die ganze Zeit nur düster zu sein, kann nach einer Weile ziemlich langweilig werden, wir wollten unseren Horizont ein wenig erweitern. Nicht, dass wir uns in Zukunft nicht wieder an eine dunklere Atmosphäre heranwagen würden, aber wir sind so glücklich, dass wir uns erlaubt haben, nicht nur das zu tun. Mittlerweile ist die Sache, die uns am meisten Angst macht, wie wir uns entscheiden werden, wie wir in Zukunft weitermachen wollen, denn inzwischen können wir alles tun!

Auch auf euren Bandfotos zeigt ihr euch nun in schillernden, glitzernden Farben. In welcher Verbindung steht euer neues Auftreten zu den Themen eures neuen Albums?
Wir haben versucht, den Fotos ein Gefühl von unwirklichem Glanz zu vermitteln, etwas, das nur in Träumen existieren könnte oder einer anderen Art von Trunkenheit. Das ist es, was wir mit dem gesamten Album kommunizieren wollten, ein Gefühl von übermäßiger, unrealistischer Helligkeit.

Hast du den Eindruck, dass es manchen Fans schwerfiel, sich mit eurem neuen Stil anzufreunden oder habt ihr überwiegend positives Feedback bekommen?
Wir haben definitiv überwiegend positives Feedback erhalten! Die Leute waren so positiv! Dann gab es natürlich Leute, denen es damit anders ergangen ist, aber man kann darüber nicht allzu traurig sein. Natürlich ist es zu schade, dass einige Leute nicht das bekommen haben, was sie erwartet haben, und sich deswegen schlecht fühlen, aber trotzdem ist dies das Album, das wir machen mussten, also hätte es wirklich nicht anders kommen können. Und wir sind immer noch stolz auf das alte Zeug, und jeder kann es sich noch anhören, wenn er will.

„shouldhavebeens“ ist ein Konzeptalbum über zwei Freunde und drei Silvesterabende. Würdest du sagen, dass die Texte zum Teil auch Autobiographisches beinhalten oder ist die Platte pure Fiktion?
Es ist immer vom wirklichen Leben inspiriert, aber ich denke, die Geschichte ist eher in dem Sinn autobiographisch, wie die Dinge sich anfühlen, im Gegensatz dazu wie sie tatsächlich passiert sind. Weißt du, das ist die Sache mit autobiographischem Zeug, man kann sich nur an das erinnern, wovon man denkt, dass es passiert ist.

Meiner Ansicht nach vermittelt das Album zugleich eine jugendliche Aufbruchsstimmung als auch Nostalgie. Würdest du mir da zustimmen oder ist deiner Meinung nach ein anderes Charakteristikum für die Platte bezeichnend?
Nein (lacht), ich denke, du liegst da ziemlich genau richtig.

Aufgrund der Thematik und Optik scheint „shouldhavebeens“ einen gewissen Coming-Of-Age-Charakter zu haben. Richtet ihr euch damit bewusst an ein jugendliches Publikum oder denkst du, dass auch ältere Hörer dazu einen Bezug aufbauen können?
Eigentlich denke ich, wenn es eine Altersgruppe gäbe, die nichts damit anfangen kann, dann wären es die Leute, die zu jung sind, um die Dinge erlebt zu haben, die wir auf diesem Album in den Songs verarbeiten. Es ist ein Album über die Erinnerung an vergangene Zeiten, und es scheint mir, je älter man wird, desto mehr will man sich an früher erinnern.

Die Produktion wird für einige Hörer vermutlich recht befremdlich sein, sie klingt recht ungeschliffen. Was war diesbezüglich euer Plan und bist du mit dem Ergebnis zufrieden?
In der Geschichte und in den vertonten Gefühlen gibt es Schmutz und auch ein bisschen Blut, aber wir neigen dazu, uns nicht an solche Dinge zu erinnern, wenn wir nostalgisch werden. Auch ein Großteil des „Feierns“ (im Sinne der übermäßigen Einnahme von… Zeug) macht die Erinnerungen, an die einige Leute sich klammern, oft sehr unklar. Für mich war es also wichtig, das Album derartig klingen zu lassen, um es realitätsnäher zu machen.

Beim Gesang geht ihr oft hörbar bis an eure Grenzen. Ist es nicht irrsinnig anstrengend und sogar riskant, derart ausgelassen zu singen? Oder achtet ihr trotz allem auch auf eure Technik?
Die meisten Sänger haben von Zeit zu Zeit Probleme mit ihrer Stimme, und wenn man weitermachen will, muss man sich eben etwas einfallen lassen. Ich habe das Gefühl, dass ich noch keine besonderen Probleme hatte, also ist meine Technik vielleicht einfach so gut, oder? Wir werden sehen, vielleicht zerreiße ich mir die Stimmbänder und fange bei der nächsten Tour an, Blut zu husten, wer weiß?

Wenn du jemandem nur einen Song von „shouldhavebeens“ vorspielen dürftest, um dieser Person einen Eindruck von der Platte zu verschaffen – welchen Track würdest du wählen und warum?
Ich würde „And The Best Was Yet To Come“ abspielen, dann würden die Leute den Rest des Albums hören wollen, der Titel des Songs würde wahr werden.

Mit „A Lifetime Of White Noise“ habt ihr ein wenige Sekunden langes Intro, das komplett still ist, auf dem Album. Welchen Zweck hat dieses Stück?
Es liegt daran, dass die Musik niemals wirklich aufhört, bis man tot oder taub ist. Es ist der Klang, der kommt, wenn du die Seite der Vinylscheibe wechselst.

Dass ihr bei Prophecy Productions untergekommen seid, kam für manche sicher überraschend. Warum seid ihr gerade dort gelandet und denkst du, dass ihr längerfristig mit dem Label zusammenarbeiten werdet?
Ich denke, dass Prophecy, obwohl es immer noch größtenteils ein Metal-Label ist, eines der wenigen Labels ist, die in der heutigen Zeit mutig genug sind, um eine Band wie uns zu signen. Wir biedern uns nicht an irgendwelche Vorgaben der Gesellschaft an, jeder denkt nur, dass wir eine Anomalie sind. Prophecy hat uns eine Plattform gegeben, um zu beweisen, dass wir das nicht sind. Solange diese Partnerschaft besteht und für beide Seiten vorteilhaft bleibt, werden wir weiter mit ihnen zusammenarbeiten.

Wie werdet ihr mit TENGIL weitermachen? Kehrt ihr voraussichtlich zum Stil von „Six“ zurück, wollt ihr weiterhin wie auf „shouldhavebeens“ klingen oder womöglich etwas völlig Neues ausprobieren?
Die nächste Veröffentlichung soll zu 33% wie „Six“, zu 33% wie „shouldhavebeens“ sein und zu 33% mit dem Buchstaben „G“ beginnen.

Kommen wir nun zum Abschluss noch zu unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming. Was kommt dir bei den folgenden Begriffen als Erstes in den Sinn?
Spiritualität: Vor einem Symphonieorchester und brennenden, weißen Lichtern knien.
Neofolk: Moderne Kultur
Lo-Fi: Giles Corey (das Album) von Giles Corey (dem Künstler).
Freunde – Bekannte: Moderne, globalisierte Freundschaften, ermöglicht durch die Macht des Internets.
Politik: Rückgratlosigkeit und vergeudetes Potential.
Alcest„Souvenirs D’Un Autre Monde“: Ein Mädchen, das an der Uni Medizin studiert und „Schism“ von Tool am Bass spielt.

Danke vielmals für dieses Interview. Die letzten Worte sollen die deinen sein:
Hört nicht auf, zu rocken! Selbst wenn eure Väter denken, dass das, was ihr macht, kein „echter“ Rock ist.

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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