Review Transatlantic – Kaleidoscope

2009 veröffentlichten TRANSATLANTIC mit „The Whirlwind“ ein echtes Mammutwerk: Der sage und schreibe 77-minütige Longtrack präsentierte die Progrock-Supergroup virtuoser, vitaler und epischer denn je. Die selbstverordnete Pause zwischen 2001 und 2009 hatte der Band spürbar gut getan. Als der Wirbelsturm kurze Zeit später über die europäischen und amerikanischen Bühnen fegte, hinterließ er allerorts offene Münder. Presse und Fans überschlugen sich mit Lobeshymnen.

Mittlerweile hat sich der Sturm gelegt – die Erinnerungen an das furiose Comeback der vier Herren drohen langsam an Kontur zur verlieren. Es ist also an der Zeit, nachzulegen und sich wieder ins Gedächtnis zu rufen. Genau das tun Neal Morse (ex-Spock’s Beard), Roine Stolt (Flower Kings), Pete Trewavas (Marillion) und Mike Portnoy (The Winery Dogs, ex-Dream Theater) jetzt mit ihrem neuen Album „Kaleidoscope“.

Dafür kehren sie zum Erfolgsrezept ihrer ersten beiden Alben zurück: Zwei überlange Epics von 25 und 31 Minuten Spielzeit umrahmen drei kürzere Songs. Mit „Shine“ und „Beyond The Sun“ finden sich auch wieder zwei herzergreifende und sehr gelungene Balladen, die zwar nicht ganz an Großtaten wie „We All Need Some Light“ und „Bridge Across Forever“ anschließen können, deren Tradition aber wunderbar fortführen.

Schön ist, dass Daniel Gildenlow – Zusatzmusiker auf Tour und Chef von Pain Of Salvation – ebenfalls auf dem Album zu hören ist: Im Longtrack „Into The Blue“ beweist er einmal mehr, dass er ein begnadeter Sänger ist. Seine Einsatz und seine Präsenz sind beeindruckend. Ebenfalls neu: Neben Neal Morse und Roine Stolt dürfen nun auch Pete Trewavas und Mike Portnoy einzelne Abschnitte des Leadgesangs übernehmen, was viel Farbe und Abwechslung in die Gesangsarrangements bringt.

Ansonsten machen TRANSATLANTIC genau das, was man von ihnen erwartet: Ausladenden Retroprog mit dem Besten aus den Songwriting-Lehrbüchern von Neal Morse und Roine Stolt. Ein musikalisches Menü, das immer wieder gerne gekocht und konsumiert wird. Leider ist „Kaleidoscope“ aber nicht ganz so homogen und liebevoll arrangiert wie seinerzeit „The Whirlwind“. Das merkt man schon in den ersten zwei Minuten des Albums: Das wundervolle Violinen-Intro von „Into The Blue“ muss schnell einem mehr schlecht als recht eingefügten Frickel-Instrumentalteil weichen, der die aufgebaute Stimmung in wenigen Sekunden zunichte macht. Zwar gab es solche ruppigen Übergänge auch in der Vergangenheit; bisher wurden sie aber besser kaschiert.

Insgesamt sind die Melodien auf „Kaleidoscope“ weniger prägnant und einprägsam als auf den vorhergehenden Alben – zumindest in den Longtracks. Natürlich gibt es auch zahlreiche virtuose Instrumentalparts; eine adrenalinsteigernde Achterbahnfahrt à la „Is It Really Happening“ vom Vorgänger sucht man allerdings vergebens. Zugegebenermaßen lässt sich die epische Breite und Opulenz eines „The Whirlwind“ aber auch nur schwer reproduzieren oder gar übertreffen.

Dafür protzen TRANSATLANTIC Anno 2014 mit der Verpackung: „Kaleidoscope“ kommt in vielen verschiedenen Versionen auf den Markt – eine ist edler als die andere. Standardmäßig erscheint das Album als 2-CD-Set mit Bonus-Disc. Diese enthält zahlreiche Coversongs, darunter „And You And I“ von Yes, „Indiscipline“ von King Crimson oder „Sylvia“ von Focus. Des Weiteren gibt es noch eine Special-Edition mit einer 1 ½-stündigen „Making Of“-DVD, eine streng limitierte Artbook-Edition mit dem Inhalt der Special Edition und einem 5.1.-Mix des Albums sowie natürlich eine Vinyl-Ausgabe samt Audio-CDs. Direkt bei der Plattenfirma ist zudem ein Songbook mit allen Instrumental- und Gesangsarrangements erhältlich – allerdings nur in Kombination mit dem Album.

All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass TRANSATLANTICs neuestes Werk nicht das Niveau seines überragenden Vorgängers erreicht. Dafür ist es einfach zu kalkuliert. Es ist ein gutes Album von begnadeten Musikern, die sich etwas zu sehr den bekannten und beliebten Schemata verschrieben haben. Auf „Kaleidoscope“ musiziert die Prog-Supergroup zwar jederzeit handwerklich beeindruckend und unterhaltsam, aber lange nicht so ambitioniert und beseelt wie noch auf „The Whirlwind“.

Wertung: 8 / 10

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