Review Unleash The Archers – Abyss

UNLEASH THE ARCHERS haben es sich selbst nicht einfach gemacht. Das 2017er Album „Apex“ markierte ihren Durchbruch und verschaffte ihnen viel Aufmerksamkeit. Nun wäre es ein Leichtes gewesen, musikalisch im selben Fahrwasser zu verbleiben und auf den Erfolg aufzubauen. Doch mit „Abyss“ machen das die Kanadier nur teilweise.

Zunächst sei erwähnt, dass „Abyss“ ein Konzeptalbum und die direkte Fortsetzung zu „Apex“ ist. Zum Ende des ersten Teils der Story ist Hauptcharakter The Immortal in ebenjenem „Abyss“ – dem Gipfel eines Berges – eingeschlossen und muss dort verharren, bis er von seinem zukünftigen Meister beschworen wird. Der Gegenspieler – The Matriarch – ist eine machthungrige Frau, die The Immortal ursprünglich erweckt, um ihre eigenen Nachkommen zu töten. Mit diesen freundet sich The Immortal im Laufe der Story jedoch an und will mit ihnen vor The Matriarch flüchten, nachdem diese herausfindet, dass einer ihrer Enkel The Immortal wiedererweckt und so von ihr gestohlen hat.

Während der erste Teil der Geschichte in irdischen Gefilden angesiedelt ist, erwacht The Immortal im Eröffungsdoppel „Waking Dream“ und „Abyss“ auf einem Raumschiff – der titelgebende Abgrund ist also die dunkle Tiefe des Weltraums. Diese Storyentwicklung schlägt sich auch musikalisch nieder. UNLEASH THE ARCHERS machen nicht einfach „Apex Pt. 2“, sondern verändern ihre Soundwelt keineswegs unerheblich, auch wenn die Basis melodischer, progressiver und bombastischer Power Metal bleibt. Technisch agierte die Band schon 2017 auf einem anderen Stern: Andrew Kingsley und Grant Truesdell schütteln ein wahnsinniges Riff nach dem anderen aus dem Ärmel, die Soli schneiden wie etwa bei „Legacy“ in Dragonforce-Manier tiefe Furchen in die Großhirnrinde. „Abyss“ stellt die Gitarren – leider, angesichts der Qualität – teilweise etwas in den Hintergrund. Der Klangteppich wird mit Synthesizern und spacigen Klängen angereichert, die öfter mal eine führende Rolle einnehmen. Dadurch wirkt das Album im Gesamten melodischer, auch poppiger und weniger hart. Die Vorliebe einiger Bandmitglieder für Retro-/Synthwave und AOR aus den 80ern merkt man „Abyss“ deutlich an. Das birgt Gefahr, in Pathos und Kitsch abzurutschen, aber UNLEASH THE ARCHERS umschiffen diese Klippen gekonnt und setzen diese Einflüsse aus fremden Genres als große Stärke in ihrem Sound ein.

Allen voran steht Frontfrau Brittney Slayes, die mit ihrer Stimme eine unglaubliche Bandbreite abdeckt und inzwischen eine der besten Sängerinnen der Metalszene ist. Von hohen Schreien über mittlere Gesanglagen und kraftvolles Shouting bis hin zu sanften balladesken Tönen hat sie alles in ihrem Repertoire. Damit singt sie auch viele ihrer männlichen Kollegen an die Wand. Jede gesungene Melodielinie passt dabei immer perfekt zur instrumentalen Kulisse: UNLEASH THE ARCHERS wissen zu jeder Zeit ganz genau, was sie wollen. Das merkt man beim starken Spannungsaufbau des Titeltracks, beim härtesten Stück „Return To Me“ und erst recht beim achteinhalb Minuten langen epischen, emotionalen Bombastfeuerwerk „The Wind That Shapes The Land“ – das bisherige musikalische Glanzstück der Band und ein unbedingter Anspieltipp. Für den flotten Power-Metal-Uptempo-Spaß sorgen die Kracher „Soulbound“ und „Faster Than Light“, für (fast-kitschige) Pausen die leicht schmalzigen „Through Stars“ und „Carry The Flame“.

Auf „Abyss“ zeigen UNLEASH THE ARCHERS einmal mehr, welch begnadete Musiker sie sind. Der Combo aus Vancouver merkt man stets an, wie viel Spaß und Freude sie an ihren mitunter anspruchsvollen, vielschichtigen Arrangements hat und auf welch hohem technischen Niveau sie agiert. Das Songwriting ist auf den Punkt und so ist jedes Kapitel der Geschichte für sich gesehen ein kleines Meisterwerk. „Abyss“ wirkt teilweise sogar schon fast zu perfekt, zu geschliffen, zu fehlerfrei. Die Ecken und Kanten von früher sind fast komplett verschwunden, für manchen Power-Metal-Fan dürfte das Album zu süßlich und poppig daherkommen. Die Produktion hätte dazu noch eine Portion Bass vertragen können. Außerdem braucht es einige Anläufe, bis das Werk sich vollends entfaltet, zeigt dann aber Album-des-Jahres-Qualitäten. Wir erleben hier eine erwachsene Band auf dem momentanen Höhepunkt ihres Schaffens in unmittelbarer Nähe des Power-Metal-Olymps – und der Aufstieg Richtung Gipfel ist mit Sicherheit noch nicht zu Ende.

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Wertung: 9 / 10

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