Review Werner Lindemann – Mike Oldfield im Schaukelstuhl. Notizen eines Vaters

Als Timm 19 ist, nimmt er in einem Dorfeine Lehrstelle an und zieht dafür zu seinem Vater aufs Land. Der ist hauptberuflich Dichter und Denker. Als Kinderbuchautor hat er mit Worten umzugehen gelernt; der Umgang mit dem eigenen Kind hingegen ist für ihn eine neue Herausforderung, der er sich nicht nur als Vater, sondern auch als Schriftsteller stellt.

Dieses Szenario ist nicht das Setting eines brandneuen, zeitgeistgeschwängerten Coming-of-Age-Romans, sondern die Grundlage des bereits 1988 erschienenen und zumindest in Teilen autobiografischen Tagebuchs „Mike Oldfield im Schaukelstuhl. Notizen eines Vaters“. Die Zweck-WG ist zeitlich wie räumlich in der tiefsten DDR zu verorten, 1982/83, in der mecklenburgischen Gemeinde Zickhusen. Die Ausbildung ist eine Schreinerlehre in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft und Werner Lindemann ist tatsächlich angesehener Kinderbuchautor. Aber Timm heißt eigentlich Till Lindemann und ist heute nicht Handwerker, sondern Weltstar.

Diesen Erfolg seines Sohns erlebt Werner Lindemann nicht mehr mit: Er verstirbt 1993, ein Jahr, bevor Till und seine Freunde Rammstein gründen. Umso anrührender wirken bisweilen das väterliche Bemühen, den oft unwiligen Sohn auf den rechten Weg zu bringen. Was der Vater notiert, sind Momentaufnahmen, isolierte Szenen aus dem oft auch recht belanglos erscheinenden Alltag. Dennoch ergeben sie im Ganzen ein stimmiges Bild des Zusammenlebens – wenngleich wohl keines, über das man sich als Sohn freut. Immer wieder möchte man beiden zurufen: Es wird alles gut! Denn leicht machen es sich Werner und Timm gegenseitig nicht, immer wieder gibt es Streit, einmal wird der sogar handfest.

Dazwischen streut Werner Lindemann immer wieder lebhafte Erinnerungen an seine eigene (Vor-)Kriegsjugend ein. Beide – die Jugenderinnerungen wie die Notizen aus dem Alltag – bleiben jedoch stets fragmentarisch: kurze Niederschriften wenige Momente langer Unterhaltungen oder isolierter Gedanken, lückenhaft, aneinandergereiht; mal sprachlich simpel gehalten, mal fast poetisch aufbereitet. Wären Haikus damals schon im Trend gewesen – mit Versen wie „Rapsfeld – goldenes Parkett für tanzende Bienen“ hätte Werner Lindemann fraglos punkten können. Dass in den Tagebuch-Passagen schlussendlich alles etwas trivial wirkt, überrascht zunächst, und ist doch nur logisch: Timm ist zwar Till. Aber eben (noch) kein Rockstar.

Das „Nachwort von Till Lindemann“ fällt in mehrfacher Hinsicht ernüchternd aus. Zum einen, weil es eigentlich kein Nachwort ist, sondern lediglich das Transkript eines Gespräches zwischen Till Lindemann und dem Verleger Helge Malchow. Zum anderen, weil Till darin so manche Darstellung aus „Mike Oldfield im Schaukelstuhl. Notizen eines Vaters“ als fingiert oder zumindest stark zurechtgebogen entlarvt.

Ursprünglich 1988 im DDR-Verlag Der Morgen veröffentlicht und 2006 neu aufgelegt, war „Mike Oldfield im Schaukelstuhl. Notizen eines Vaters“ lange vergriffen und nur zu Sammlerpreisen erhältlich. Aus dieser Perspektive ist die aktuelle Wiederveröffentlichung durch Kiepenheuer & Witsch nur sinnvoll: Dass das Buch leider auf vielen Ebenen etwas trivialer ist, als man sich das erhofft hätte, lässt sich für 12 € leichter verschmerzen als für 120 €.

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