Day Of The Gusano – Slipknot auf der großen Leinwand

In Deutschland befinden wir uns in der äußerst tollen Lage, regelmäßig sowohl auf die Größen als auch auf die angesagten Newcomer unseres liebsten Genres treffen zu können. Die Konzertlandschaft ist weder reglementiert noch dank Deutschlands günstiger Lage als schwer erreichbar zu deklarieren. Wollen wir Marilyn Manson live sehen, können wir das. Möchten wir ein Konzert von Vulture Industries sehen, machen wir das. Haben wir Bock auf SLIPKNOT, kaufen wir uns die Karten dafür. Allerdings ist dieses Glück nicht jedem vergönnt, wie die mexikanischen Fans der neunköpfigen Gruppe zu berichten wissen. 

Erst 2015 und somit 19 Jahre nach Bandgründung gelang es SLIPKNOT, ihr erstes Konzert in Mexiko zu spielen. Den Anlass hierfür gab das dortige Knotfest, das seit 2012 von der Band in Szene gesetzte Festival, welches den Mexikanern in jenem Jahr nicht nur Megadeth, Lamb Of God und The Dillinger Escape Plan ins Land holte, sondern eben auch erstmalig die Initiator des Festivals selbst, SLIPKNOT.

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Shawn „Clown“ Crahan alias Nummer 6 ist es zu verdanken, dass dieser denkwürdige Auftritt festgehalten wurde, denn unter seiner Regie entstand der 90 Minuten währende Konzertfilm „Day Of The Gusano“. Ein Film aus dem Umstand heraus, dass Interviews und Konzertausschnitte miteinander in reger Abwechslung stehen, wie die Besucher der weltweit einmaligen Kino-Vorstellung am 06. September schnell herausgefunden haben dürften. Weder als eine reine Dokumentation über die Historie der Band noch als ein vollständiger Konzertmitschnitt wie zuletzt von Rammstein vorgelegt, gestaltet sich „Day Of The Gusano“ eher als eine Mischform, der es nur schwer gelingen dürfte, zu begeistern. Denn mit der Entscheidung gegen einen vollständigen Live-Mitschnitt haben sich SLIPKNOT genau dessen beraubt, worin die US-Amerikaner großartig sind, nämlich ihrer Musik.

Die als Interviews und Background Stories angepriesenen Inhalte, die von Crahans Worten dominiert werden, dürften als informativer Input gedacht gewesen sein, stattdessen entpuppen sie sich als ein Sammelsurium an schrägen bis belanglosen Aussagen. Wenn Corey Taylor darüber sinniert, dass das Knotfest die Kultur des austragenden Landes repräsentieren soll, auf dem Festival-Gelände allerdings nur grelle Fahrbetriebe wie ein Riesenrad zu finden sind, ist das ebenso merkwürdig wie Crahan, der zunächst von dem Gelände schwärmt und kurz darauf von der Existenz eines darauf befindlichen Zeltes eines Musik-Stream-Anbieters überrascht wird. Der Kauf von Erinnerungsstücken der Band sowie ihr Besuch historischer Bauten fördert ebenso wenig Neues, Spannendes oder Kurioses über SLIPKNOT zu Tage. Anstatt interessante Interviews einzuspielen, zeigt „Day Of The Gusano“ eher triviales Behind-The-Scenes-Material, dessen Platzierung direkt zwischen den Songs schlichtweg unpassend ist. Die Songs werden dadurch ihrer Dynamik, ihrer Kraft beraubt. Die Energie der Neun auf der Bühne verpufft beim Zuschauer genau in der Sekunde, in welcher der holprige Schnitt vom Konzert zur Dokumentation überspringt.

Einzig das aufgenommene Fan-Treffen, in dem eine Handvoll junger Fans auf Taylor, Shawn, Thomson und Root trifft, ist es wert, auf einem Rohling festgehalten zu werden. Erstmalig entsteht der Tiefgang, der diesem besonderen, da erstmaligen Auftritt gerecht wird, endlich erhält der Zuschauer den Einblick, für den er ins Kino gegangen ist. Fernab der bedeutungsschwangeren und zugleich inhaltslosen Worte Crahans gelingt es nur diesen jungen Menschen, „Day Of The Gusano“ mit Geschichten zu füllen, die dem Anlass entsprechend sind. Mögen SLIPKNOT auch noch so oft betonen, dass es für sie grandios ist, in Mexiko zu spielen, merkt man es erst an den Worten der Fans, wie wichtig dieser Auftritt tatsächlich ist. Wenn Infotainment, dann bitte auf diesem ehrlichen Niveau!

Denn nicht nur, dass die Einspieler inhaltlich fraglich sind, sie torpedieren auch das, womit „Day Of The Gusano“ hätte glänzen können: Obgleich es der Setlist an nichts krankt, dürften die mexikanischen Maggots nämlich eine andere, wesentlich bessere Erinnerung an diese haben als die Maden vor der großen Leinwand. Denn auf diese prasselt eine wilde, schnell wechselnde Bilder-Flut ein, die kein Band-Mitglied länger als drei Sekunden zeigt; irgendwie passend, dass diese keiner Ordnung unterworfene Musik eine ebenso unstrukturierte Visualisierung erfährt. Wirklich störend ist dabei das, was den Festivalbesuchern erspart geblieben ist: die ständige Unterbrechung des Konzertes. Sahen sie es durchweg, dürfen die Kino-Besucher lediglich maximal zwei Songs genießen, eher sie sich wieder irgendein Gebrabbel anhören müssen. Während in den Interviews größtenteils die Spannung fehlt, baut sich diese in der Live-Sektion von „Day Of The Gusano“ nicht auf, da das Konzert und somit auch das Sich-darauf-Einlassen des Kino-Besuchers ständig unterbrochen wird.

Nur temporär wahrnehmbare Dynamik von SLIPKNOT auf der Bühne, nahezu durchgängig schnöde Interview-Einspieler der Band und die Fehlkonzeption dieses Zusammenschnitts überhaupt berauben „Day Of The Gusano“ seiner Eindringlichkeit. Dieser Anlass, die dankbaren Fans, diese hinreißende Setlist und diese unterhaltsame Performance der Musiker, all das zusammen kann tatsächlich enttäuschen. Nämlich dann, wenn die einzelnen Komponenten so unpassend zusammengepresst werden, dass sie entweder nicht wirken (das Konzert) oder enttäuschen (die Interviews mit der Band). Angesichts dessen, dass „Day Of The Gusano“ im Oktober als DVD und Blue-Ray auf den Markt kommen wird, ist es erschreckend, dass SLIPKNOT nach einem „(Sic)nesses“ (2010) und einem „Disasterpieces“ (2002) nun diesen Konzertfilm ihrer Live-Diskografie zuordnen wollen.

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