Die Zungen des Stahls – Sprachen im Metal (Teil 1)

Kolumne_2016

Sprache ist viel mehr als ein bloßes Werkzeug zur Verständigung. Generationen von Sprachwissenschaftlern und auch viele Laien haben erkannt: Gewählt eingesetzt ist Sprache ein Grund zur Freude, während schlampiges Dahergesabbel sauer aufstößt. Fremde Sprachen schrecken durch ihre Andersartigkeit ab oder begeistern durch ihren schönen Klang. Worte können auf verschiedenste Art und Weise ihre Macht entfalten und die Welt verändern. Grund genug, einmal der Sprache und vor allem der verschiedenen SpracheN in unserer lieben Musik auf den Grund zu gehen …

Wenn man an „die Sprache“ des Metal denkt, fällt dem geneigten Leser zu Recht als erstes das Englische ein. Nicht nur in den Texten, auch in weiteren Feldern der Szene hat sich dies enorm festgesetzt. Wenn auf „Festivals“ „Headliner“ spielen, von der Bühne „Crowdsurfer“ und „Headbanger“ sich an der „Double Bass“ oder den „Growls“ erfreuen, wenn die „Metalheads“ über neue „Releases“ aus dem „Underground“ diskutieren oder die nächste „Reunion“ herbeisehnen, dann wird es klar: Der Metal ist vom Englischen bis ins Mark durchdrungen.

Bis zum Anfang der Neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gab es kaum eine Band, die sich in ihren Texten nicht der westgermanischen Sprache annahm. In einigen Genres – dem traditionellen Heavy Metal oder dem Death Metal – hat sich bis heute nichts daran geändert. Andere wiederum – Black und Pagan Metal beispielsweise – strotzen nur so vor sprachlicher Vielfalt. Da werden die unterschiedlichsten Landessprachen verwendet, Dialekte kommen zum Ausdruck und manch einer schreckt nicht einmal davor zurück, in einer alten, längst toten Sprachstufe zu dichten. Warum das eine, warum die andere Erscheinung?

Gehen wir zurück in die Anfangstage des Schwermetalls. Bands wie BLACK SABBATH, LED ZEPPELIN, DEEP PURPLE oder auch IRON MAIDEN, MOTÖRHEAD oder JUDAS PRIEST sind ein paar der Namen, die unweigerlich als Begründer des Heavy Metal gelten müssen. Sie alle stammen von den Britischen Inseln, weswegen nichts näher für sie lag, als in ihrer Muttersprache zu texten. Auch folgende dominante Bands der 80er Jahre wie METALLICA, SLAYER, ANTHRAX oder auch GUNS N’ROSES, MÖTLEY CRÜE oder ALICE COOPER boten ihre Lyrics von Anfang an in ihrer Muttersprache dar, in diesem Falle das „American English“. Die nun entstehende, wenngleich sehr starke deutsche Szene (SODOM, KREATOR, DESTRUCTION oder HELLOWEEN, RUNNING WILD, GRAVE DIGGER) vermochte aus unterschiedlichen Gründen (vielleicht als Abgrenzung zur poppigen, deutschsprachigen NDW?) nicht die eingeschlagene Spur zu wechseln. Vereinzelte Vertreter, die den ein oder anderen Song oder vielleicht auch die ein oder andere CD mit nichtenglischen Texten veröffentlicht haben mag – so in der sehr überschaubaren Szene jenseits des eisernen Vorhangs – , haben jedenfalls keine nennenswerte Bedeutung oder nachhaltige Popularität erlangt.

Eine Trendwende lässt sich in den frühen Neunzigern beobachten. Da Metal generell an Popularität einbüßte, erstarkte der Untergrund, nicht zuletzt in Europas Norden. Gruppen wie ULVER, DIMMU BORGIR, ENSLAVED oder SATYRICON waren als Pioniere des Black Metal auch Voreiter, wenn es um die Verwendung der Muttersprache außerhalb des angelsächsischen Sprachraumes ging. Die Verknüpfung von Nationalstolz mit mythologisch-historischen Themen aus dem eigenen Kulturkreis war hierbei sicherlich ein treibender Faktor.

Die im Black Metal wurzelnde und bis heute boomende Generation von Viking & Pagan Metal-Bands ist sicherlich Spitzenreiter, was die Benutzung der verschiedensten und exotischsten Sprachen geht, zumindest in unserer europäischen Szene.

Da gibt es einen riesigen Haufen von Bands, die – egal aus welchem Lande stammend – ihre jeweilige Muttersprache mehr oder weniger gekonnt in den Texten einsetzen. Neben einem großen Kontingent aus skandinavischen Ländern ist natürlich auch Deutschland mit vielen muttersprachlichen Textern versehen. Finnland steht dem in nichts nach, und auch Osteuropa bringt nicht wenige Erzeugnisse slawischer Sprachen unter die Hörerschaft. Einige Exoten wie SKYFORGER, die auf der eigentümlichen lettischen Sprache singen oder NEGURA BUNGET, die mit ebenfalls nicht sonderlich bekannten Rumänischen auftrumpfen, bereichern das Spektrum.
Auch im traditionellen Metal gibt es eine sehr übersichtliche Truppe, die ausschließlich oder überwiegend ihre Muttersprache einsetzt: TIERRA SANTA oder MÄGO DE OZ von der iberischen Halbinsel oder Newcomer wie GRANTIG aus Deutschland sind ein paar dazu passende Namen. Ansonsten sind die dem Metal ferneren Mittelalter-Rockbands wie SCHANDMAUL oder SALTATIO MORTIS ebenso Kandidaten, die beinahe ausschließlich in der eigenen Zunge dichten und dabei im Gegensatz zum Black-verwurzelten Metal noch auf Anhieb verständlich sind. Generell sind Gruppen, die näher am Rock als am Metal angesiedelt sind, weitaus freudiger bei der Verwendung der Muttersprache. Harte Musik im Zusammenhang mit deutschen Texten – wer denkt da nicht gleich an RAMMSTEIN oder die BÖHSEN ONKELZ?

Ein bedeutend kleinerer Haufen ist der, der sich in seinen Lyriken den Mundarten der Heimat annimmt. Konsequenter betreiben dies nur sehr Wenige. Bekannte Kandidaten sind die drei norwegischen Gruppen TAAKE (altertümliches Westnorwegisch), WINDIR (die mittlerweile aufgelöste Band nutze das so genannte Sognamål) oder die noch jungen MYRKGRAV (Ringeriksdialekt). In Deutschland ließe sich allenfalls die Spaßband J.B.O. in diesem Zusammenhang nennen, die hier und da Songs in fränkischem Dialekt unters Volk bringen.

Noch geringer ist die Anzahl der Musiker, die sich an alte Sprachstufen heranwagen. Zwar werden einzelne Passagen aus alter Literatur nicht selten entlehnt: Erwähnen wir mal die im Mittelalterrock totzitierten Merseburger Zaubersprüche in althochdeutscher Sprache, das mittelhochdeutsche „Palästinalied“ oder diverse Eddaverse auf altnordisch. Oder aber manch ein Lyriker – Stichwort BELPHEGORs Schmähverse oder HELLOWEENs „Lavdate Dominvm“ – greift das Lateinische auf, insbesondere wenn es um (anti-)kirchliche Belange geht. Doch Latein nimmt natürlich als semi-tote Sprache eine Sonderstellung ein, und so lassen sich die Bands, die tatsächlich noch regelmäßig in alten Sprachstufen dichten, an einer Hand abzählen. Bekannte Beispiele: ELUVEITIE (rekonstruiertes Gallisch) und HELRUNAR (Altwestnordisch).

HELRUNAR erfüllt aber auch die Kriterien einer weiteren Kategorie: Bands, die in einer anderen Fremdsprache als Englisch dichten. So gibt es in der skandinavophilen Pagan Metal Szene Deutschlands auch noch KROMLEK, wo ein studierter Skandinavist (wie bei HELRUNAR) ab und an eine nordische Sprache einsetzt. Ausschließlich in einer nichtenglischen Fremdsprache zu dichten scheint jedenfalls keine Verbreitung zu haben, da man FINNTROLL nicht dazuzählen kann. Denn auch wenn die Finnen in schwedischer Sprache texten, muss dies vor dem Hintergrund der finnlandschwedischen Minderheit gesehen werden, der der erste Sänger Katla angehört.

Einzelne Songs in fremden Sprachen haben aber durchaus Konjunktur. MANOWAR widmen immer mal wieder einen Song ihren Fans in dem ein oder anderen Land, so quälte man die deutschen Krieger mit „Herz aus Stahl“, die Franzosen durften sich über „Courage“ erfreuen.
Die deutschen Mittelalterrocker von IN EXTREMO bedienen sich neben dem Deutschen zahlreicher Fremdsprachen. So greift man sogar als eine der Wenigsten das Irische auf („Liam“), wozu man sich mit Rea Garvey muttersprachliche Hilfe ins Boot geholt hat.

Unbedingte Erwähnung müssen in diesem Zusammenhang noch TROLLFEST finden. Die norwegische Spaßtruppe singt in der „Trollspråk“, einem Kauderwelsch aus Deutsch und Norwegisch. Eine kleine Kostprobe: „Dieses hast du hört om för / Er das träkken sist in Dör / Trinken sollst er til er spyr / Dann fär vi inn ein aen Fyr.“ Alles klar? Natürlich nicht, aber wen interessiert’s, die Essenz – SAUFEN! – lässt sich auch ohne Sprachkenntnis im Trollfest’schen Konzept erkennen.

Ein Umriss über die Sprachlandschaft in der Welt der metallischen Musik wurde nun geschaffen. Doch wirft die Erkenntnis über die linguistische Vielfalt im Metal mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Wozu das Ganze? Warum dichtet der eine so, der andere so, oder wiederum jener so? Versuchen wir, Licht ins Dunkel zu bringen …

… und zwar im zweiten Teil der „Zungen des Stahls – Sprachen im Metal“!

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