Die Zungen des Stahls – Sprachen im Metal (Teil 2)

Kolumne_2016

Ein Umriss über die Sprachlandschaft in der Welt der metallischen Musik wurde mit dem ersten Teil des Artikels geschaffen. Doch wirft die Erkenntnis über die linguistische Vielfalt im Metal mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Wozu das Ganze? Warum dichtet der eine so, der andere so, oder wiederum jener so? Versuchen wir, Licht ins Dunkel zu bringen …

Ein erster Erklärungsversuch für das Beibehalten der Sprache der Vorbilder im starken deutschen Metal der 80er Jahre wurde bereits genannt. Während man aus dem Radio ständig von „99 Luftballons“, der „Lust am Leben“ oder „Ohne Dich“ berieselt wurde, klangen Ausdrücke wie „Bestial Invasion“, „Phantoms Of Death“ oder „Heavy Metal Breakdown“ doch weitaus kraftvoller und kerniger. Nicht von ungefähr kommt so, dass sich im Bereich des klassischen Heavy Metals die englische Sprache deutlich fester hält als in den Genres, wo der Inhalt des Gesangs nur mit Mühe oder Hilfe des Textblatts nachzuvollziehen ist.

Ein weiteres Bollwerk der englischen Sprache ist der Bereich des Death Metals. Gore- und Splatterlyrik auf Deutsch kennt man allenfalls bei EISREGEN bzw. EISBLUT, ansonsten ist wesentlich häufiger die Rede von „Mutilation“ als von „Verstümmlung“, und bevor jemand „enthauptet“ wird, wird er viel eher „beheaded“.

Der Grund? Nun, es ist einfach wesentlich leichter, sich hinter einer Fremdsprache zu verstecken, als mit der Muttersprache die lyrischen Hosen herunterzulassen. Denn man begibt sich viel schneller auf den Pfad der Peinlichkeiten, wenn jeder um einen herum sofort versteht, was man da singt. Man stelle sich die deutsche Version eines MAJESTY-Textes vor: „Epischer Krieg // Mit unseren Brüdern marschieren wir weiter // Wir fühlen keine Gewalt // Epischer Krieg // Alle zusammen sind wir stark // Wir werden nie niederknien! // Epischer Krieg // Die Zauberer haben ihren Zauber gesprochen // Im Wind der Stille // Epischer Krieg // Verteidigen unser kraftvolles Gesetz // Ein epischer Krieg.“ Merkt man, oder?

In der eigenen Sprache zu dichten ist gleichzeitig Chance und Risiko. Zum Einen KANN und MUSS sich der Texter gewählter ausdrücken, da er sich in seinem Wortschatz besser zurechtfindet als in einem zweiterlernten. Genau das wird aber auch von ihm erwartet, und sprachliche Fehltritte fallen dem Konsumenten viel eher auf, als wenn die Lyrics in Altwestnordisch verfasst sind.

Ein weiterer, ganz entscheidender Punkt bei der Wahl der Sprache ist die Reichweite. Wenn BLIND GUARDIAN in Südamerika mit tausenden Fans zusammen „The Bard’s Song“ singen, ist das ein schlagendes Argument für die Verwendung der englischen Sprache als Lingua Franca. MOONSORROW werden auf einer Europatour trotz mächtiger Chöre niemals so viele Mitsänger finden, weil die finnische Sprache dem Ottonormalindogermanen sehr fremdartig erscheint.

Wenn aber Exoten wie TÝR von den Färöer-Inseln in ihrem Idiom singen, dann hat das natürlich auch seinen Grund. Färöisch ist eine ausgesprochen kleine Sprechergemeinschaft auf der zu Dänemark gehörenden Inselgruppe. So ist ein Song wie „Stýrisvølurin“ auch ein Ausdruck von National- bzw. Regionalstolz und tiefer Verbundenheit mit der eigenen kulturellen Identität. Nicht von ungefähr ist Färöisch die Sprache, in der pro Sprecher die meisten Bücher erscheinen. Durch Sprachpflege allein bleibt sie erhalten, und so müssen TÝR eben auch als Bewahrer des Färöischen gesehen werden.

Seltsam hingegen PRIMORDIAL: Die von der grünen Insel stammenden Pagan Metaller nahmen sich nur in ihren Anfangszeiten der irisch-keltischen Sprache an, obwohl sie perfekt zum Konzept der Dubliner passt. Denn auch das Irische ist eine Sprache, die der Pflege bedarf, da die Sprechergemeinschaft gering ist.

Die Verwendung von Dialekten hingegen ist ein noch krasserer Ausdruck von Heimatliebe. In unserem Vaterland, wo man sich seit 63 Jahren aus bekannten Gründen meist schwer mit Nationalgefühl tut, hat Lokalpatriotismus keinen geringen Stellenwert. Daher ist es umso verwunderlicher, dass die boomende (Pagan-)Szene, die auch nicht selten ihre Heimatregion in den Liedern anpreist, die Verwendung von Bairisch, Rheinfränkisch, Thüringisch oder Plattdeutsch vermissen lässt. Doch scheint es so, dass in unseren Landen lokale Sprachvarietäten immer mit einem großen Augenzwinkern bis hin zur Lächerlichkeit aufgegriffen werden. Dies schlägt sich auch in den Quatschtexten J.B.O.s nieder (z.B. „Bimber Bumber Dödel Dei“)

Ich fordere: Mut zum Dialekt! Erhaltet unsere kostbaren Mundarten! HELFAHRT zeigen mit dem Song „Luznacht“, dass es wohl geht. Aber von „Lewwer duad üs slaav“ und anderem niederdeutschen Sprachgut bitte ich die Bajuwaren doch abzulassen…

Und immer noch bleibt eine Frage im Raum stehen: In welcher Sprache „soll“ man denn nun dichten? Die Antwort muss natürlich ausbleiben, denn ein Patentrezept dafür gibt es nicht und auch muss sich kein Texter auf eine einzelne Sprache festlegen.

Ich jedenfalls befürworte die Verwendung der Muttersprache, in der man sich von frühester Kindheit an auszudrücken lernt. Denn nicht nur die bessere Ausdrucksfähigkeit steigert die Qualität von viel zu oft unterschätzten Songtexten. Auch überlegt man sich doch deutlich gründlicher, ob man das, was man singt, auch wirklich vertreten kann. Splatterlyrik hin und her, natürlich ist auch Satansanbetung und Schilderung von Saufgelagen immer mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Aber ist es nicht viel erfüllender, zu toller Musik auch anspruchsvolle Worte auf sich wirken zu lassen?

Zur Vermeidung des Verständnisproblems gibt es ja immer noch die Möglichkeit, Texte mit Übersetzungen im Booklet zu liefern.

Letzten Endes muss es aber einfach passen. Nicht jede Sprache eignet sich für jedes lyrische Thema, man stelle sich nur mal kraftvollen Thrash Metal mit französischen Texten vor. Und wenn das Schwedische nunmal so schön trollisch klingt, warum sollte Kromleks Alphavarg nicht darin dichten? Im Endeffekt wird gute Musik durch schlechte Texte weniger herunter gezogen als schlechte Musik durch gute Texte aufgewertet wird.

Zeit für ein Fazit…

Englisch ist Weltsprache, auch in der Popmusik und auch im schwermetallischen Sektor. Doch am Thron der angelsächsischen Sprachdominanz wird allerorten kräftig gerüttelt. Einige Bastionen rein englischen Gesangs stehen heute einem weiten Heer verschiedenster Zungen gegenüber. Dass das nicht immer so war, ließe die Vermutung zu, dass es sich entweder um einen wieder abflauenden Trend oder aber um einen sich abzeichnenden Paradigmenwechsel im Metal handeln könnte. Wer weiß das schon?

In einer zusammengewachsenen und noch weiter zusammenwachsenden Welt ist es gleichzeitig wichtig, sich global verständlich machen zu können wie auch seine eigene kulturelle Identität aufzugeben. Sprachpurismus (schönen Gruß an „Verweise“, „Rundbriefe“ per „ePost“ von den „Weltnetzseiten“) und Abschottung ist dabei sicherlich nicht das richtige Mittel. Sowas funktioniert in den seltensten Fällen. Aber der Musik, die wir alle lieben, mit seiner eigenen Sprache ein eigenes Gesicht zu verpassen. Metal ist eine sehr internationale Kultur, mit Bands die Kontinente bereisen und Festivals, die Besucher aus fernsten Ländern anziehen. Erfreuen wir uns an der Vielfalt, die der Einzelne in das Ganze mit einbringt!

Lasst uns Heavy Metal genießen! Let’s enjoy heavy metal! Jouissons de l’heavy metal! Kos deg med metall!

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