Interview mit Micha von Bitterfeldt

„Götzen.Dämmerung“, das Debüt der deutschen Dark-Metaller BITTERFELDT ist von allen Seiten betrachtet ein ambitioniertes Projekt: Die persönlichen Texte, die (zum Teil sogar unbewusst) eingestreuten Nietzsche-Zitate sowie die Beiträge mehrerer im Metal bereits bekannter Gastmusiker geben dem Album ordentlich Starthilfe. Im folgenden ausführlichen Interview klärt uns Mastermind Micha unter anderem über die Ursprünge der Band, seinen Bezug zu Nietzsche und Horrorfilmen sowie über seine Ansichten zu Moral und Politik auf.

Hallo! Zuerst mal ein herzliches Dankeschön, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Wie geht es dir?
Sei gegrüßt! Auch von meiner Seite herzlichen Dank für das Interview. Dafür nehme ich mir doch gerne Zeit. Es geht mir insgesamt gut, wobei der aktuelle Stresspegel schon hoch ist. Vor zwei bis drei Wochen ist ja unser Album erschienen, und jede freie Minute ist mit Promo-Arbeit, Interviews usw. gut gefüllt. Aber so muss es sein… (lacht)

Ihr seid noch eine recht junge Band, 2012 habt ihr BITTERFELDT gegründet und „Götzen.Dämmerung“ ist euer Debüt. Wie kam es dazu, dass ihr beiden zusammen diese Band gegründet habt?
Jetzt muss ich kurz grinsen, denn als Musikprojekt ist BITTERFELDT tatsächlich noch relativ jung (die ernsthafte zielorientierte Arbeit am Album begann ca. 2014) – aber alle Beteiligten sind biologisch gesehen eher „alte Säcke“. Wir sind bzw. waren ja alle schon seit Jahren in der Szene mit allen möglichen Bands aktiv und konnten diese Erfahrung gut nutzen. Zur Gründung von BITTERFELDT kam es schlussendlich, weil ich den Wunsch hatte, mal wieder richtig dunkle, harte und vor allem doomige Musik zu machen. Nach sechs Alben mit EverEve, diversen Touren und Festivals in Europa, USA und Asien haben wir ja nach dem letzten Album 2007 beschlossen, eine unbegrenzte „Auszeit“ zu nehmen. Speziell mir ging damals das ganze MusikBUSINESS immer mehr auf den Sack. Zwischendrin habe ich aber natürlich die Lust auf Musik nie verloren und immer mal wieder bei Projekten in den unterschiedlichsten Musikrichtungen mitgewirkt. Meine Leidenschaft für Metal im Allgemeinen und für diesen dunklen Goth-artigen Stil im Besonderen, ist aber nie verloren gegangen. Zu jener Zeit habe ich noch den ganzen alten Kram (von Iron Maiden über Death, Morbid Angel bis Neurosis usw.) gehört, den ich wahrscheinlich auch mein Leben lang hören werde. Irgendwann hat es mich dann wieder in den Fingern gejuckt, etwas Neues in diesem Bereich zu machen. Sascha ist ja ein alter Kumpel von mir, hat früher bei der Ruhrpott-Punk-Legende GAU gespielt, und hat uns mit EverEve als Guitar Tech auf einigen Touren und Einzelshows begleitet. Insofern lag es nahe, ihn anzusprechen, ob er nicht Bock auf ein neues Projekt hat. Der Rest ist Geschichte… (lacht)

Warum bleibt ihr in der Band lieber zu zweit anstatt noch ein paar feste Mitglieder aufzunehmen?
Damit man die Kohle und die Groupies nur unter zwei Personen aufteilen muss… (lacht)
Im Ernst: Ich hatte von Anfang keine Lust auf eine Band mit klassischem Line-Up und all die damit verbundenen Vor- und Nachteile. Alles schön und gut mit dem „Wir sind eine feste Gang und haben uns alle lieb“-Gedanken, aber meine Erfahrung ist, dass es durch die normale Bandarbeit früher oder später irgendwo Prozessverluste gibt, und man muss sich außerdem mit allerhand menschlichem Kram rumschlagen, der Zeit und Energie kostet.
Trotzdem ist BITTERFELDT aber auch irgendwo eine „richtige“ Band, denn es hat sich durchaus eine Art „festes Line-Up“ herauskristallisiert, mit dem wir live arbeiten. Musikalisch ist es aus meiner Sicht megafett, und ich freue mich total, wie viel Engagement und Hingabe alle Beteiligten investieren: Neben Sascha und mir gehören noch Matze (Gitarre) sowie meine beiden alten EverEve-Mitstreiter Oliver (Bass) und Martin (Drums) dazu. Im Studio sind für mich darüber hinaus André Höche und Sascha Dürk feste Bestandteile von BITTERFELDT. Auch Christian Bass (Drums) von Heaven Shall Burn schätze ich als Mensch und Musiker sehr und hätte ihn gerne weiter mit dabei, wenn es seine Zeit zulässt. Und wer weiß, wer beim nächsten Album noch alles mitwirkt. Diese geilen Möglichkeiten, mit allen möglichen interessanten Leuten zusammenzuarbeiten, ohne sich zu limitieren oder faule Kompromisse einzugehen, ergeben sich eben durch die Zweier-Konstellation.

Wo seht ihr eure Stärken und Schwächen als Musiker?
Hm, da kann ich jetzt nur im Hinblick auf mich selbst antworten. Und grundsätzlich bin ich kein Freund von Bewertungen, Beschreibungen usw. Denn Musik und Musiker lassen sich aus meiner Sicht kaum objektiv bewerten. Entweder das, was man hört, löst bei jemandem Emotionen aus, oder eben nicht. Also ich versuche trotzdem mal, deine Frage zu beantworten:
Was ich immer wieder von Leuten höre, die verschiedene Sachen von mir aus verschiedenen Genres kennen, ist: „Man hört gleich, dass du das geschrieben hast!“. Also könnte man es positiv ausgedrückt als eigenen Stil beschreiben, der sich konsequent sowohl im Songwriting als auch im Spielerischen widerspiegelt. Ich bin ja von Haus aus Pianist mit klassischer Ausbildung und habe mir den ganzen anderen Kram (Vocals, Drums, ein wenig Gitarre und Bass) erst nach und nach angeeignet. Insofern wird man wohl immer mal wieder klassische Anklänge in meinen Songs finden. Aber Metal und Klassik haben ja viel gemeinsam. Vielleicht ist diese Konsequenz dann auch eine „Schwäche“, denn ich bin nicht so flexibel wie manche Musiker, die ich kenne. Ich kenne Leute, denen kannst Du quasi alles von Jazz bis Grindcore vorsetzen, und sie sind in der Lage, das geil und mit voller Hingabe zu spielen. Das ist eher nicht so meins. Wenn ich nicht nach Noten spielen muss, sondern frei dazu spiele, setzt sich bei mir immer wieder ein gewisser Stil durch, auch vom Spielerischen her.

Welche Überlegung steckt hinter dem Namen BITTERFELDT?
Keine Überlegung, sondern ein Gefühl. Bei der Suche nach einem Namen sind wir rein davon ausgegangen, was unser Gefühl bei der Musik beschreibt – und das war das Gefühl einer gewissen „Bitterkeit“ sowie auch eine Art „Weite“ (symbolisiert durch das Wort Feld). Außerdem mag ich den Klang des Wortes sehr. Natürlich war uns klar, dass der Name zwiespältig aufgenommen wird und eine Steilvorlage ist, sich entweder darüber lustig zu machen (Stichwort: Rammstein), oder darin eine tiefgreifende Botschaft durch den Gleichklang mit der Stadt Bitterfeld rein zu interpretieren. Das war uns schlussendlich aber egal. Wenn du anfängst, dir über alles Gedanken zu machen, wie irgendein Hansel es verstehen kann, dann kannst du es gleich lassen.
Tatsächlich gibt es keinerlei Verbindung zwischen der Band BITTERFELDT und der Stadt Bitterfeld. Natürlich verbinden wir als Kinder der 80er Jahre aber auch bestimmte Bilder aus den Nachrichten mit Bitterfeld, der monochrome Himmel, verwitterte Industrie-Romantik, aber auch Schwere, Trostlosigkeit, Beklemmung, Niedergang – alles Assoziationen die tatsächlich gut zur Grundstimmung unseres Sound passen, das ist aber eher ein angenehmer Nebeneffekt.
Neben dem Klang des Wortes BITTERFELDT gefiel uns übrigens auch speziell unsere Schreibweise mit den Kleinbuchstaben und dem „dt“ am Ende sowie der verwendeten Schriftart. Es ist so einerseits sehr präsent und stark, wenn man es liest, andererseits erinnert es fast ein wenig an altdeutsche Poesie.

Stilistisch seid ihr irgendwo zwischen Doom und Gothic Metal zu verorten. Wie würdest du denn eure Musik beschreiben?
Hey, schon wieder eine Beschreibungs-/Bewertungsfrage… (lacht) Ich denke, das passt doch gut so, was du geschrieben hast. Wenn du eine Genre-Schublade suchst, sind wir eben Dark Doom Gothic Metal. Ein Journalist sagte uns nach einer Listening-Session, es klingt für ihn wie „Endzeit-Metal“. Damit kann ich auch leben. Wenn jemand gar nichts mit Metal usw. zu tun hat, sage ich immer, wir machen harte, schwere Musik mit Psycho-Soundtrack-Elementen. Und vor allem kommt dann immer der Hinweis – du kannst es dir denken – lass uns nicht über Musik reden und sie beschreiben und bewerten, sondern lass sie uns anhören und sehen, ob es irgendwas auslöst – und wenn ja was. Von Brechreiz über Langeweile bis hin zu Spontan-Orgasmen ist ja alles denkbar… (lacht)

Von welchen Musikern seid ihr am meisten inspiriert?
Auch hier kann ich nur für mich antworten: Rachmaninoff, Chopin, Bach und Philipp Glass, Keith Jarrett und Hans Zimmer. Bei letzterem hatte ich das Glück, ihn mal in London im Studio besuchen zu dürfen, als wir gerade mit EverEve in England waren. Das war eine der beeindruckendsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Er war gerade dabei, den Soundtrack für „Batman Begins“ zu machen, und wir durften eine Stunde zusehen. Sehr imposante Persönlichkeit als Mensch und als Musiker.

Wie läuft bei euch das Songwriting ab?
Das Songwriting funktioniert so, dass ich die Songs erst mal komplett schreibe und das Arrangement fertigstelle. Dann erfolgt eine erste Umsetzung mit Sascha – der dann meistens flucht, weil er sich durch meine Akkordfolgen fast die Finger bricht. (lacht) Wir haben aus diesem Grund auch eine sehr ungewöhnliche Gitarrenstimmung verwendet, die du so in keinem Lehrbuch findest. In der Zweier-Konstellation finden auch schon erste Anpassungen statt, die sich im Prozess ergeben. Als nächstes kommen dann der Input von Matze und Oliver sowie das Drum-Arrangement dazu, am Ende noch die Elektronik durch Sascha Dürk und André Höche. Die Ideen und Interpretationen der anderen sind für mich sehr wichtig und bringen das Ganze auf ein höheres Level. Ohne die anderen würde es nicht klingen, wie es klingt. Aus früheren Erfahrungen heraus habe ich allerdings den anderen schon von Anfang an gesagt, dass ich bei BITTERFELDT das letzte Wort haben will – und mir die Freiheit nehme, eigene Entscheidungen zu treffen, ohne das dann jemand heult oder sauer oder gekränkt ist.
Hey Mann, weißt du was….? Wenn man das so hört, klingt das voll nach Erdogan-Putin-Ego-Diktatur… Vielleicht sollten wir uns auch „Nordkorea-Metal“ nennen… (lacht) Im Ernst: Ich nehme die Meinung der anderen schon sehr ernst und respektiere sie, denn das sind alles gestandene Musiker mit Ahnung. Und sollte Sascha mal eine Idee absolut unpassend finden, hat er natürlich ein Veto-Recht.

Euer Debüt „Götzen.Dämmerung“ ist nach einem Spätwerk Friedrich Nietzsches benannt, ebenjenen zitiert ihr im Verlauf der Platte auch öfters. Was fasziniert euch an seinen philosophischen Werken?
Ich habe früher in meinem Psychologie-Studium im Nebenfach auch vier Semester Philosophie gehabt und habe mich in diesem Zusammenhang u.a. auch intensiver mit Nietzsche beschäftigt. Wir sind keine speziellen Nietzsche-Fans, und ich würde nicht alles unterschreiben, was er publiziert hat. Aber als die Texte von „Götzen.Dämmerung“ fertig waren, passte das vom Grundgefühl und der inneren Haltung her ganz gut zu manchem, was er geschrieben hatte. Als ich das am Ende durchgelesen habe, hatte ich irgendwie wieder so ein Feeling wie damals beim Lesen des „Zharathustra“ und anderen Werken. Die auf dem Album verwendeten Zitate sind ja auch aus verschiedenen Veröffentlichungen Nietzsches entnommen, so dass es jetzt nicht nur um die „Götzendämmerung“ geht, zumal unser Album kein Konzeptalbum ist.
Was ich aber an Nietzsche insgesamt – und speziell an „Götzendämmerung“ so spannend fand – war das Prinzip des In-Frage-Stellens, des Hinterfragens. Das findet sich ebenfalls mehr oder weniger „zwischen den Zeilen“ in Texten unseres Albums.
Bei Nietzsche ging es ja hauptsächlich um die damals herrschenden Moralvorstellungen und gesellschaftlichen Überzeugungen, bis hin zum Thema der Religionskritik. Da hat sich sicherlich zwischenzeitlich die Welt etwas verändert. Aber im Kern finde ich es dennoch nach wie vor wichtig, die immer noch oft vorhandene (Schein-)Moral sowie die „Wahrheiten“, die uns von Politik, Medien und anderen Meinungsmachern präsentiert werden, kritisch zu hinterfragen – und sich für sich eine eigene Ansicht zu bilden. Das ist sicherlich nicht ganz einfach, denn wir leben in einer sehr komplexen und dynamischen Welt. Da entsteht naturgemäß bei den Menschen das Bedürfnis nach simplen Wahrheiten und Lösungen, was wiederum zu den aktuellen Entwicklungen führt, die ich teilweise sehr besorgniserregend finde – z.B. die vereinfachten „Lösungen“ von selbsternannten „Nationalisten“ oder die „Politik“ eines Donald Trump, aber auch der Fanatismus von „Gotteskriegern“ jedweder Couleur.
BITTERFELDT ist keine Band mit einer bestimmten politischen, religiösen oder sozialkritischen Botschaft – und es steht uns fern, selbst als Götzen irgendetwas zu predigen. Bei uns steht das Individuum und seine Psyche – d.h. unsere eigenen inneren Dämonen, mit denen wir jeder für sich bewusst oder unbewusst kämpfen – im Vordergrund. Dennoch lässt sich das natürlich nicht immer losgelöst vom Zeitgeist und den aktuellen Gesellschafts- und Lebensumständen sehen. Jeder von uns versucht in seiner kleinen Welt, so gut es geht zurecht zu kommen – und man darf es sich manchmal auch mal einfach machen. Menschen, die pseudo-intellektuell ihre Eigenständigkeit und Anti-Establishment-Haltung vor sich wie ein Zepter hertragen, sind ja meistens auch grenz-lächerlich. Aber ich finde, es sollte uns einfach bewusst sein, dass unsere eigene kleine Welt mehr oder weniger eingebunden ist in ein Gesamt-System – und dieses Gesamt-System hat positive und negative Facetten. Daher: Bleibe kritisch, hinterfrage die Götzen dieses Systems sowie deine eigenen persönlichen Götzen, die dir vielleicht nicht immer bewusst sind – und dir nicht immer gut tun. Finde deinen Weg, selbstbestimmt und souverän! Wenn es überhaupt so etwas wie eine Message bei BITTERFELDT gibt, dann ist es wahrscheinlich diese… (lacht)

Eure selbst geschriebenen Texte scheinen jedoch nicht wirklich mit den Zitaten Nietzsches in Verbindung zu stehen. Warum war es euch dennoch wichtig, in einigen Teilen auf ihn Bezug zu nehmen?
Wie schon gesagt, wir hatten nie die Absicht, ein Konzeptalbum im Sinne einer inhaltlich strengen Konsistenz zu schreiben. Auch war nicht das Ziel, mit dem Album eine philosophische Abhandlung für das Feuilleton des Spiegels zu verfassen… (lacht) Nur weil eine Platte Nietzsche-Zitate und einen entsprechenden Titel enthält, wird dadurch aus meiner Sicht nicht der Anspruch erhoben, ein intellektuell besonders hochstehendes Werk zu schaffen. Schlussendlich ist alles Rock ’n’ Roll, und die einen singen über Titten, den Teufel und über´s Saufen und andere eben über Nietzsche. Das hat für mich absolut alles seine Berechtigung.
Daher: Ob man die Verbindung zwischen den Verbindungsteilen/Zitaten und den Songs erkennt oder nicht, ist für mich erst einmal zweitrangig. Manche Menschen spüren bzw. erkennen die inhaltlichen Bezüge, andere eben nicht. Aber wer will sich anmaßen, das zu bewerten? Witzigerweise habe ich tatsächlich letzte Woche eine sehr lange Email eines promovierten Publizisten mit abgeschlossenem Philosophie-Studium erhalten, der auf irgendeine Weise unser Album in die Finger gekriegt hat. Und eben dieser Mensch hat Verbindungen zwischen den einzelnen Songs und den Zwischenteilen aufgezeigt, die ich selbst zu keiner Zeit auf dem Schirm hatte (geschweige denn beabsichtigt hatte). Das fand ich sehr interessant und respektiere das genauso, wie wenn jemand behauptet, das passt überhaupt nicht zusammen.
Die Nietzsche-Zitate in den Verbindungsteilen zwischen den einzelnen Songs sind aber natürlich nicht willkürlich gewählt, sondern stellen Bezüge zu den Texten unserer Songs her. Also ist der Bezug genau umgekehrt gewesen – nicht ich habe mich auf Nietzsche bezogen, sondern ich habe festgestellt, dass einige Passagen von Nietzsche gut zu manchen Inhalten in unseren Texten passen. Es sollte einfach eine weitere Facette des Grundgefühls von BITTERFELDT verdeutlichen. Und alles, was Menschen motiviert, sich Gedanken zu machen und sich mit sich selbst und der eigenen „Moral“ auseinanderzusetzen, finde ich wichtig.

Auf dem Album sind einige Gastmusiker zu hören. Wie seid ihr mit ihnen in Kontakt gekommen und wie kam es dazu, dass sie auch an der Platte mitgewirkt haben?
Das sind alles alte Bekanntschaften, die teilweise noch zu Demozeiten bestanden. Damals gab es in Deutschland nur eine relativ überschaubare Anzahl von Bands aus dem Underground, die wirklich Ambitionen hatten, das Ganze richtig professionell und erfolgreich aufzuziehen. Und so ergab es sich quasi automatisch, dass man immer mit den gleichen Bands gespielt hat, und sich so auch die Wege von EverEve und z.B. Night In Gales gekreuzt haben. Nette Jungs und gute Musiker, aber über gemeinsame Projekte haben wir eigentlich nie gesprochen. Ich schätze aber Christian als Drummer sehr und mochte schon früher seinen Stil. Crematory waren damals ja schon deutlich bekannter, und wir haben später öfter mit Ihnen getourt, weil wir das gleiche Management hatten. Somit entstand auch hier eine Verbindung. Als wir dann Christian (der ja mittlerweile bei Heaven Shall Burn spielt) und Matze (Ex-Crematory) gefragt haben, ob sie Lust haben, mitzuspielen, waren sie gleich mit dabei. Eine Option für die Drums wäre noch Norman von Triptykon gewesen, den ich auch schon lange kenne und als Drummer schätze. Vielleicht für die nächste Platte… (lacht)
Was die beiden Elektro-Lurchis Sascha Dürk und André Höche angeht: In den Songs gibt es ja auch längere soundtrackartige Sequenzen mit nahezu horrorartigen synthetischen Psycho-Sounds. Da kam dann zunächst Sascha Dürk (der zweite Sascha, der bei BITTERFELDT mitmischt) ins Spiel. Er unterstützt den düsteren Charakter durch seine Soundscapes und versucht, subtile Highlights zu setzen. Sascha D. hat früher AC/DC und Led Zeppelin gehört, später auch Gang Green und Napalm Death, aber er ist natürlich nicht unbedingt ein totaler Metalexperte oder Metalfan. Allerdings hat er sofort den „Film“ bei BITTERFELDT verstanden, die Stimmung, die Atmosphäre, die Intensität. Wir haben uns vor einiger Zeit per Zufall kennengelernt, er mochte meine Stimme, und wir haben dann einige abgefahrene Dark-Elektro-Tracks zusammen gemacht. André ist der zweite Elektronik- und Klangguru im Team. Im Vergleich zu Sascha D. hört er aber u.a. auch sehr viel Metal, vornehmlich auch das harte Zeugs wie Bolt Thrower usw. Sein Stil ist etwas anders als der von Sascha D., daher ergänzt sich das sehr gut. Während Sascha D. für die Effekte und Texturen in den Songs verantwortlich ist, hat André die Intros und Outros als klangliche Verbindungen zwischen den einzelnen Songs geschaffen. D.h. wenn das Album startet, hast du 53 Minuten Horrortrip ohne Pause. Es ist wie ein großes böses Hörspiel, bei dem die einzelnen Songs durch Klangcollagen, teilweise mit kurzen Texten versehen, verbunden sind. Darüber hinaus hat André in seinem Studio die komplette Vorproduktion für das Album gemacht und mit mir die ganzen Tasteninstrumente arrangiert und aufgenommen. Wir sind wirklich froh, dass wir neben den amtlichen Metallern auch Leute André und Sascha Dürk mit an Bord haben. Diese Zusammenarbeit zwischen den kreativen Köpfen macht die Einzigartigkeit des BITTERFELDT-Sounds aus.

Gibt es einen Track auf „Götzen.Dämmerung“, den du besonders gelungen findest. Falls ja, welchen und warum?
Hm, frage mich in zwei Jahren nochmals. Momentan ist es noch wie bei einem Vater, den du fragst, welches Kind er am liebsten hat. Somit fällt die Antwort aktuell so aus, dass ich jeden Song auf seine ganz eigene Art liebe. Am stärksten berühren mich vielleicht gerade die beiden Bonus-Tracks, weil sie von der Instrumentierung und vom Arrangement sehr intim und persönlich sind. In diesen beiden Tracks finden sich übrigens Elemente aus allen anderen Songs des Albums, die aber musikalisch (nicht technisch) so verändert wurden, dass es nicht gleich erkennbar ist, z.B. in anderen Tonarten oder mit anderem Takt und Tempo gespielt usw.

Zu „Eines Tages“ habt ihr bereits vorab ein Musikvideo veröffentlicht. Wieso verlangte gerade dieser Song nach einer visuellen Umsetzung?
Der Song ist mit 8:45 Minuten der kürzeste und somit unsere Hitsingle… (lacht)
Nee, war einfach eine Bauch-Entscheidung und fertig. Deutlich mehr Zeit als die Entscheidung hat dann die Vorbereitung auf den Video-Dreh sowie die eigentliche Produktion in Anspruch genommen.
BITTERFELDT sind eine besondere Band, daher war von Anfang an klar, dass wir auch im audiovisuellen Bereich etwas Besonderes machen wollten. Zudem finde ich persönlich die üblichen Videoclips, die meist aus einer Mischung von mehr oder weniger gelungenen Storyparts und Pseudo-Live-Acting zu Playback bestehen, langweilig. Solche Videos haben wir früher mit EverEve auch gemacht, und im Nachhinein bin ich darüber nicht glücklich. Auch gilt hier natürlich Toleranz – und jeder soll machen und anschauen, was er möchte – aber mir fehlt da meist die Inspiration dahinter. Im Gegensatz dazu mag ich besondere Videos wie sie u.a. Massive Attack, Rammstein oder Behemoth machen. Das sind aus meiner Sicht meist eigenständige Kunstwerke, die dem Song nochmals eine neue Dimension geben und dem Zuschauer eine neue Ebene bieten, die über das bloße Anhören hinausgeht. Schließlich sind wir Menschen auch Augentiere. Bei uns bot sich das Produzieren eines richtigen Films natürlich auch deswegen an, weil wir auch auf dem Album immer wieder soundtrackartige Passagen zwischen den Songs haben, die auch schon innere Bilder entstehen lassen.
Mit der Idee, einen besonderen Film zu produzieren, der die Stimmung und Aussage des Songs visuell unterstützt, sind wir dann bei unseren Verbündeten – insbesondere bei Regisseur Markus Richter – auf offene Ohren gestoßen. Aber auch die anderen Mitglieder im Team, Schauspieler, Kamera- und Lichtmann, Make-Up-Artistin usw. haben hier sehr viel Herzblut und Engagement investiert.
Als Inspiration für die filmische Umsetzung des Songs dienten neben Musik und Text des Songs insbesondere unsere gemeinsame Vorliebe für den Film Noir, dessen Merkmale perfekt zu BITTERFELDT passen, sowie die Verehrung von Regie-Genies wie u.a. Hitchcock, Lynch, Kubrick oder Lang. Dementsprechend finden sich im Video jede Menge kleiner Anspielungen als Hommage an unsere Helden aus der Filmwelt, z.B. Anklänge an Bergmans „Das siebente Siegel“ oder an Murnaus „Nosferatu“. Da sind wir natürlich nicht die erste Band, die auf solche Ideen kam. Dennoch bin ich ein wenig stolz auf das Werk, denn wir haben das nochmals auf eine interessante Art und Weise mit unserer Story verknüpft.

Wie kam die Zusammenarbeit mit Massacre Records zustande?
Nach Fertigstellung der Produktion mussten wir zunächst die Entscheidung treffen, ob wir überhaupt über ein Label veröffentlichen. Die Bedeutung von Labels ist ja mittlerweile im Vergleich zu früher nicht mehr so hoch, da man andere Vertriebsstrukturen hat, die man selbst bedienen kann. Da wir aber „old-school“ sind, kam dann doch der Entschluss, den „normalen“ Weg über eine Plattenfirma zu gehen. Hier kamen uns dann natürlich unsere alten Kontakte zugute, denn die klassische Vorgehensweise der Kalt-Akquise (also mit dem Produkt shoppen zu gehen) ist wenig zielführend. Wir haben uns eine kleine, aber feine Auswahl von Labels zusammengestellt, wo wir das Produkt gut aufgehoben sahen. Und die haben wir dann entsprechend kontaktiert und über unsere Kanäle bemustert. Natürlich gab es auch einige Firmen, die aus verschiedenen Gründen abgewunken haben – aber wir hatten am Ende auch eine Liste mit Labels unterschiedlicher Größe, die Interesse an einer Zusammenarbeit hatten. Daraus haben wir nach Eingang der ersten Offers dann auch wieder ausgesiebt und uns schlussendlich mit drei bis vier Interessenten aus der engeren Auswahl genauer ausgetauscht und nachgehakt. Mit Massacre haben wir ja in der Vergangenheit bereits drei EverEve-Alben veröffentlicht, daher kannte ich die Arbeitsweise und die Verantwortlichen gut und wusste, dass das eine gute Adresse für BITTERFELDT sein könnte. Am Ende war dann auch die Schlussauswahl zwischen Massacre und einem kleineren Label, das uns auch sehr positiv aufgefallen war. Verschiedene Gesichtspunkte sprachen dann aber relativ schnell für Massacre – und bisher läuft die Zusammenarbeit ebenso wie schon früher sehr angenehm.

Wie wird es jetzt mit BITTERFELDT weitergehen?
Weltherrschaft oder kollektiver Suizid.

Langsam nähern wir uns dem Ende unseres Interviews. Zum Schluss würde ich gerne noch mit dir unser traditionelles Metal1.Info-Brainstorming durchgehen:
Moral: Im Sinne eines persönlichen Wertekodex unverzichtbar, aber durchaus hinterfragenswert und dem autonomen Gewissen untergeordnet; im Sinne gesellschaftlicher, religiöser und sexueller Normen permanent diskussionswürdig und gegebenenfalls durch Aufklärung und Argumentation zu bekämpfen.
Horror: Zahnarztbesuch; abgesehen davon habe ich neben den Horror-Film-Klassikern eine gewisse Schwäche für Monster-Creature-Horror-Movies – für alte wie „Tarantula“ ebenso wie für neue („Piranhas“), gerne auch trashig mit Kreuzungen zwischen Kellerasseln und Dinosauriern… (lacht)
Bestes Dark-Metal-Album: Keine Ahnung, ob das Dark Metal ist, aber die letzte Triptykon fand ich ziemlich cool, ebenso mag ich einige Scheiben von My Dying Bride sehr, vor allem die „Songs Of Darkness, Words Of Light“.
Politik: Ein Staat ist bereits auf Mikro-Ebene zu komplex, um alle Mechanismen systemisch zu erfassen; auf multi-nationaler Ebene wird es noch komplexer; daher stellt sich bei mir immer wieder die Frage, ob wir nicht mittlerweile ein Gesamt-System haben, was durch „Politik“ im Sinne von Führung und Gestaltung dieses Systems – trotz vielleicht zumindest zum Teil vorhandener guter Absichten von „Politikern“ – nicht mehr verstehbar, geschweige denn beherrschbar ist.
The Vision Bleak vs. Ewigheim: Ooops…. jetzt kommt der peinliche Moment dieses Interviews. Kenne ich beides ehrlich gesagt nur vom Namen her. Aber ich wünsche den beiden Bands alles Gute und freue mich, wenn wir uns vielleicht mal kennenlernen. Und den ersten Song auf der neuen Sepultura finde ich ganz cool (ablenk…). (lacht)
BITTERFELDT in fünf Jahren: Wir kommen im Rollator auf die Bühne und eines der beiden Szenarien aus der Antwort auf die Frage „Wie wird es jetzt mit BITTERFELDT weitergehen?“ wird sich abspielen.

Gut, dann abermals vielen Dank für deine Antworten. Die letzten Worte gehören dir:
Danke an alle Menschen, die wir mit unserer Musik berühren. Eure Unterstützung bedeutet uns viel.

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