Interview mit V. Santura von Dark Fortress (Teil 1/2)

Im Mai 2023 beendete mit DARK FORTRESS eine der wichtigsten Bands im deutschen Black Metal ihre Karriere. Gemeinsam mit Hauptsongwriter V. Santura blicken wir zurück auf 29 Jahre Bandgeschichte – vom ersten Demo bis zur allerletzten Show im Backstage München.

Teil 1 des Gesprächs dreht sich um die Anfänge der Band, die Alben „Tales From Eternal Dusk“, „Profane Genocidal Creations“, „Stab Wounds“ und „Séance“ sowie den Ausstieg von Sänger Azathoth.

The Rebirth of the Dark Age (1996) /
Towards Immortality (1997)

Euer erster „richtiger“ Release nach einem Demotape war eine Split mit Barad Dûr. Du bist erst deutlich später in die Band gekommen – weißt du trotzdem, wie es zu dieser Zusammenarbeit kam?
Soweit ich weiß, wurden DARK FORTRESS von dem Labelbetreiber, Lord Asgaqlun, gefragt, ob sie Lust auf eine Split-EP hätten. Und wie das halt so ist, wenn man 16, 17 Jahre alt ist, gerade anfängt und die Möglichkeit bekommt, einen Label-Release zu machen, sagt man natürlich „Ja“ und hinterfragt das nicht groß. Im weiteren Verlauf hat der Labeltyp gemeint, dass die andere Band wohl sehr extreme Texte hat – da haben die anderen erwartet, dass das irgendwas super krass Satanistisches ist. Aber als der Release dann fertig war und sie den Text, der dann da abgedruckt war, gelesen haben, sind die Kinnladen schon ziemlich runtergefallen … weil dass Barad Dûr eine extreme Naziband war, war DARK FORTRESS definitiv nicht bewusst. Sonst hätte die Band diese Split ganz bestimmt nicht gemacht. In den Auflagen, die DARK FORTRESS verkauft haben, wurde der Text dann auch weggeschnitten oder zensiert.

Ein pikanter erster Release. Das hätte ja durchaus auch das Ende der Band bedeuten können
Ja, natürlich. Es ist dann auch nochmal auf uns zurückgefallen, als wir bei Century Media unterschrieben haben. Da kamen dann in den Interviews tatsächlich nochmal relativ viele Fragen zu dieser Split. Wir haben da aber immer sehr klar Stellung bezogen und uns davon distanziert: Wir sind einfach keine Naziband, Punkt. Nicht im geringsten. Das war halt, na ja … es war naiv, war nicht geil. Schön, dass das Interview gleich damit beginnt. (lacht) Aber du gehst ja chronologisch vor, also sei dir das verziehen. (lacht)

Tales From Eternal Dusk (2001)

2001 kam dann euer Debüt raus. Auf diesem Album war zudem erstmalig euer tatsächlich bis zuletzt verwendetes Bandlogo zu sehen. Ist dir die Ähnlichkeit zum Disney-Schloss mal aufgefallen?
Ist dir schon aufgefallen, dass das Disney-Schloss ein bisschen aussieht wie Neuschwanstein? (lacht)  Das ist ja tatsächlich von Neuschwanstein inspiriert. Und da haben wir ja quasi fast schon regionalen Bezug. Nein, also das Logo wurde halt von Christophe Szpajdel designt und ich weiß nicht für wie viele 100 andere Bands er Logos designt hat, wahrscheinlich geht das eher ins Vierstellige. Und mei, dem wurde halt der Bandname mitgeteilt, wahrscheinlich kurz um was geht und das war sein Entwurf. Und an dem wurde nie etwas geändert. Da gibt es ja auch keinen Grund für, ich finde das Logo nach wie vor sehr geil. Klar, dass es vielleicht ganz leicht an das Disneyschloss erinnert, kann sein, aber es ist halt einfach eine „Dark Fortress“ … und ob das jetzt ein Schloss oder eine Burg ist, das liegt im Auge des Betrachters.

„Für mich klingt die ‚Tales‘
eher schwedisch als norwegisch“

Der Titel-Schriftzug unten auf dem Cover erinnert mich an Emperors „In The Nightside Eclipse“. War das Absicht?
Das weiß ich nicht. Es kann sein, dass es Absicht war, aber es kann auch sein, dass es Zufall war. Das ist mir tatsächlich noch nie aufgefallen. Tatsächlich sehe ich bei dem Album auch nicht Emperor als großen Einfluss. Also für mich persönlich war Emperor immer ein wirklich großer Einfluss und ich würde später auch Emperor-Einflüsse nicht von der Hand weisen – es gibt schlechtere Bands, um sich beeinflussen zu lassen. (lacht) Aber für mich klingt die „Tales“ blöd gesagt eher schwedisch als norwegisch. Da liegen die Einflüsse eher bei Bands wie Unanimated und natürlich generell dem 1990er-Jahre-Black-Metal.

Produziert wurde das Album damals mit Markus Stock – kanntet ihr euch vorher schon, oder wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, die Band hat Markus Stock beim Recording erst kennengelernt und Markus war damals wahrscheinlich eine relativ naheliegende Wahl und gute Wahl, weil das jemand war, der aus Deutschland kommend diese Art von Musik produzieren konnte, und auch nicht extrem weit weg war und den man sich auch leisten konnte.

DARK FORTRESS (Promofoto „Tales From Eternal Dusk“, © unbekannt)

Du bist dann irgendwann 2001 in die Band gekommen – hattest du noch Einfluss auf das Album?
Ich war bei den Aufnahmen im Sommer 2000 noch nicht in der Band. Damals war mit Charon ja noch der alte Drummer dabei, und Walter “Crom” Grosse als mein Vorgänger an der Gitarre, der auch den Bass eingespielt hat. Aber als das Album 2001 rausgekommen ist, war ich dann schon Teil der Band – genauso wie Seraph und Draugh. Wir sind ja damals zu dritt neu dazugekommen.

Profane Genocidal Creations (2003)

Du hast gerade schon über euren Dreier-Einstieg gesprochen. Das dürfte für die Band ein enormer Turning Point gewesen sein. Wie kam es zu diesem Umbruch – und war es damals von der Band auch so beabsichtigt, einen neuen Hauptsongwriter an Bord zu holen? Oder hast du DARK FORTRESS gekapert? (lacht)
Weder noch! Also es ist natürlich ein großer Turning Point, wenn drei Leute in eine Band einsteigen – es wurde ja quasi das halbe Lineup ausgewechselt. Es ist ganz klar, dass sich das brutal niederschlägt. Aber eben nicht nur, weil ich dazugekommen bin, sondern auch wegen des neuen Schlagzeugers und des neuen Bassisten. Eigentlich bin ich damals auch in die Band eingestiegen, weil ich von „Tales“ ziemlich beeindruckt war: Das war aus meiner Sicht in unserer Gegend definitiv die Band, die die größten Ambitionen hatte und am professionellsten klang. Es war auch die erste Band in unserer Region, die ein wirklich so fett professionell produziertes Album hatte. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich dachte, ich steige in eine fertige Band ein und respektiere auch das Songwriting – habe dann aber festgestellt, dass ich mich doch einbringen muss. Dass ich zum Haupt-Songwriter wurde, das war allerdings eher ein gradueller Prozess.

„Das war halt irgendwie Puzzle bauen,
aber nicht wirklich Songs schreiben“

Ein guter Song basiert auf einer guten Idee und alle anderen Ideen sollten eigentlich auf dieser ersten Grundidee fußen und davon ausgehen. Dann klingen die Songs viel kohärenter und stimmiger. Aber bei „Profane“ war ich noch nicht Haupt-Songwriter, da haben wir eigentlich alles zusammen im Proberaum geschrieben. Da hat dann einer eine Idee, dann sagt der andere, dass er auch eine super Idee hat, und ob man die nicht zusammen schmeißen kann … das war halt irgendwie Puzzle bauen, aber nicht wirklich Songs schreiben. Das war das Problem. Als das Album fertig war, haben wir das alle irgendwie so empfunden: Niemand in der Band war mit dem Album wirklich zufrieden.

Nach “Tales” und vor allem, wenn man noch „Stabwounds” als Nachfolger in die Rechnung einbezieht, kann man bei „Profane“ tatsächlich von einem deutlichen Einbruch vor einer krassen Steigerung sprechen. Hat der Lineup-Wechsel die Band erst einmal zurückgeworfen?
Ich glaube, wir mussten uns als Band erstmal zusammenfinden und einen Ansatz finden, wie wir zusammen richtig gute Songs schreiben. Ich muss aber fairerweise sagen, dass wir teilweise schon sehr enthusiastisch und begeistert waren, während wir „Prophane“ geschrieben haben. Ich finde auch nach wie vor, dass sehr viele gute Ideen und gute Parts darauf sind. Aber wir haben es nicht geschafft, unsere überbordende Kreativität in bestmögliche Bahnen zu lenken: Es waren wahnsinnig viele Ideen da, und wir wollten teilweise einfach zu viel und haben zu viele Ideen in einen Song gepackt. Deshalb verliert eigentlich jeder Song ab einem gewissen Punkt den roten Faden. Was erschwerend hinzu kam, war der Sound der Platte. Wir hatten selbst eine Vorproduktion gemacht, und eigentlich klang die besser als das fertige Album. Aber die war mit E-Schlagzeug entstanden und das wollten wir so auf keinen Fall veröffentlichen.

„Mit dem richtigen Sound hätte das
schon ganz anders gewirkt“

DARK FORTRESS (Promofoto „Profane Genocidal Creations“, © unbekannt)

Wir sind ins Grieghallen Studio gegangen, weil das Studio an sich einen gewissen Signature-Sound hatte, den man jetzt eher so mit kalt, klirrend, frostig und riesigem Hall und so umschreiben würde und letzten Endes war dann der Mix, den wir bekommen haben, eher dunkel, fast dumpf, muffig und furztrocken. Das hat den Songs halt überhaupt nicht geholfen. Mit dem richtigen Sound hätte das schon ganz anders gewirkt. Dann hätte man es wahrscheinlich auch nicht als Einbruch nach „Tales“ wahrgenommen. Dass die „Profane“ eindeutig unsere schwächste Platte ist, ist eine Mischung aus den ganz klar eklatanten Schwächen im Songwriting, allerdings auch in der Produktion, die den Songs nicht gerecht wird: Der Sound hat das Potenzial, das in der Musik gesteckt hat, nicht wirklich rübergebracht.

Du hast es gerade angesprochen: Ihr habt im renommierten Grieghallen Studio in Norwegen aufgenommen. Für eine so junge Band aus Deutschland ein großer Schritt. Was war das damals für ein Erlebnis?
Das Erlebnis war fantastisch, phänomenal. Das würde ich nicht missen wollen. Auch mit Pytten zusammenzuarbeiten war großartig – das ist ein genialer Typ und eine Person, die mich nachhaltig beeindruckt und inspiriert hat wie kaum jemand anderes. Er hatte sehr gute Softskills, oder psychologische Skills, um das Beste aus Musikern herauszuholen. Er hat auch viele witzige Anekdoten von anderen Produktionen erzählt, aber er hat niemals gesagt, um welchen Musiker oder welche Band es geht – also er hat nie über irgendwen schlecht geredet. Das waren so Sachen, die ich mir gemerkt habe und die ich mir auch in meinem weiteren Leben als Produzent selbst angeeignet habe.

Wir hatten damals ja keine Ahnung, wie der so ist. Man hat halt so eine Vorstellung, wie der Dude drauf sein wird, der Mayhem und all diese krassen Sachen produziert hat. Und dann war das eigentlich eher so ein cooler, positiver, offener Hippie. Ich hätte den auf Ende 30 geschätzt – er hatte zwar schon ein paar graue Haare, aber er hat so eine unglaublich jugendliche Art gehabt, sehr offen und aufgeschlossen. Irgendwann im Laufe der Produktion haben wir dann rausgefunden, dass er damals 51 war. Wir konnten das überhaupt nicht fassen: Ich bin während der Produktion gerade 21 geworden – der Typ hätte mein Vater sein können! (lacht) Das hat uns alle überrascht und auf positive Art und Weise schockiert.

„Natürlich sind zehn Tage für rund
70 Minuten Musik zu wenig“

Und wie konnte euer Plan, mit so einer Koryphäe zu arbeiten, im Resultat so schief gehen?
Dass die Produktion nicht so klingt, wie wir das gerne gehabt hätten, würde ich nicht nur Pytten ankreiden – überhaupt nicht. Das wäre sehr unfair. Es war sicherlich auch unsere Unerfahrenheit. Wir hatten einfach zu wenig Zeit gebucht: Wir haben zehn Tage gebucht und dachten, da könnte man auch noch den Mix machen. Und natürlich sind zehn Tage für rund 70 Minuten Musik zu wenig – da konnten wir schon froh sein, dass wir die Platte in dieser Zeit aufgenommen bekommen haben. Da noch den Mix machen zu wollen, war völlig naiv. Das heißt, Pytten musste den Mix dann ohne uns machen, es ist auch keiner von uns nochmal hingeflogen. Als er damit angefangen hat, hat er uns den Vorschlag gemacht, dass er uns die Protools-Sessions schickt und wir es vielleicht doch besser in Deutschland mischen sollten. Wir hatten ihm Vorgaben gemacht und als Guideline dafür, wie laut welche Keyboards wo sein sollten, die Vorproduktion gegeben. Ich glaube, das hat ihm nicht so gefallen. Dann meinten wir: Misch es halt so, wie du es mischen würdest … und dann hat er es eben so gemischt. Er meinte dann auch noch, dass er seinen Mixing-Stil geändert hat seit den 1990ern und jetzt ganz anders mischt. Das war dann auch die Erklärung, warum er viel trockener gemischt hat. Wir hätten vielleicht einfach auf seinen Vorschlag, uns die Files zu schicken und es in Deutschland mischen zu lassen, eingehen sollen – das war wahrscheinlich der Fehler. Weil er uns durch die Blume ja gesagt hatte, dass er mit dem Albummix nicht so gut zurecht kommt.

Also wie gesagt, die Aufnahmen waren magisch und es war eine super Zeit in Bergen, aber das erklärt vielleicht, warum der Mix nicht so geworden ist, wie wir das wollten. Zudem hat uns damals natürlich die Fähigkeit gefehlt, entsprechend zu kommunizieren, wie wir es gern hätten. Diese Fähigkeit hätte ich jetzt als professioneller Engineer natürlich: Ich kann jetzt genau analytisch sagen, wie was anders gemacht werden sollte. Aber so weit war ich 2002 eben noch nicht. Ein, zwei Jahre später wäre das gegangen. Aber das ist wohl die Erklärung, warum wir mit „Profane“ im Nachhinein nicht zufrieden waren.

„Für ‚Profane‘ hatte er die Idee, die Texte
jemand anderen schreiben zu lassen“

Und dann kommt noch ein weiteres Element dazu – das sind die Texte. Die Texte auf „Tales“, wie auch später auf „Stabwounds“ und „Séance“, hat unser damaliger Sänger Azathoth geschrieben. Für „Profane“ hatte er die Idee, die Texte jemand anderen schreiben zu lassen. Dann wurde eben ein eine durchgehende Geschichte für ein Konzeptalbum geschrieben. Als wir zu dritt in die Band eingestiegen sind, wurden uns diese Texte vorgelegt, und wir haben die dann minutiös auch genau so vertont. Ich fand die nicht grottenschlecht, aber wirklich überzeugt haben mich die Texte damals nicht. Aber als neues Mitglied, das in eine fertige Band einsteigt, sagst du nicht in der ersten Bandprobe: „Übrigens, das ganze Textkonzept für das Album, das wir zusammen schreiben wollen, ist scheiße!“ Das macht man einfach nicht. Darum habe ich nichts gesagt. Aber letzten Endes kam dann am Ende der Recording-Sessions im Studio raus, dass eigentlich niemand von den Texten wirklich überzeugt war. Wir haben also quasi ein Konzept vertont, um am Ende rauszufinden, dass keiner mit dem Textwerk zufrieden ist. Wir haben die Lyrics dann ja auch nicht abgedruckt.

Bei dieser Produktion haben wir einfach noch viele Anfängerfehler gemacht, die wir dann später vermieden haben – das erklärt dann glaube ich auch den radikalen Qualitätssprung zum nächsten Album: Wir haben einfach die Fehler, die wir davor gemacht haben, nicht mehr gemacht.

Das ist immer ein guter Ansatz. Aber hierzu nochmal nachgefragt: Ihr habt also die Texte extern schreiben lassen, und dann die Songs zu den fertigen Texten geschrieben?
Ganz genau. Das ist vermutlich eine weitere Erklärung, warum die Songaufbauten so überbordend sind, wie sie sind. Weil dann eben noch eine bestimmte Passage im Text kommt oder eine bestimmte Rolle, die zu dir spricht, und dann muss man eben nach dem D-Part noch einen E-Part schreiben, damit das entsprechend in dem Song vertreten ist. Das hat die Sache natürlich unnötig verkompliziert. Wie du siehst: Wir haben ein recht zwiespältiges Verhältnis zur „Profane“!

Stabwounds (2004)

Was habt ihr bei „Stabwounds“ dann konkret anders gemacht?
Als wir dann angefangen haben, “Stabwounds” zu schreiben, hatte ich das Bauchgefühl, dass das Songwriting ein stringenteres Konzept braucht und dass ich dafür das Heft etwas mehr in die Hand nehmen muss. Auch auf “Stabwounds” habe ich aber längst nicht alle Songs geschrieben: An “Selfmutilation” hatte ich quasi gar keinen Anteil: Der entstand als erstes – bei einer Bandprobe, bei der ich nicht konnte. Bei der nächsten Probe kam ich in den Proberaum und da war der eigentlich schon fertig; wir haben dann nur noch ein paar kleine Arrangement-Sachen angepasst. Aber im Laufe der „Stabwounds“-Produktion hat es sich dann ergeben, dass am Ende etwa zwei Drittel des Albums von mir waren.

Du hast das Album zudem auch selbst produziert. Hast du das gelernt, damit du die eigene Musik produzieren kannst oder hast du die eigene Musik produziert, weil du es gelernt hast?
Sowohl als auch. Ich habe meine Ausbildung an der SAE, der Sound Engineering School in München, im September 2001 angefangen und im März 2003 abgeschlossen. Die „Profane“-Produktion ist genau in diese Phase gefallen, in der ich schon auf der Schule war, aber noch nicht genug wusste. „Stabwounds“ haben wir dann ab Februar 2004 aufgenommen, da war ich dann ja schon in Anführungszeichen ein „ausgebildeter Audioengineer“. Den Entschluss, das zu machen, hatte ich aber bereits getroffen, bevor ich bei DARK FORTRESS eingestiegen bin. Das war mein Plan A: Mein Lebensziel oder Karrierewunsch war eben, dass ich irgendwann in einer coolen Band spiele und andere Bands produziere und mische …

„Damals, mit 19, 20, direkt nach dem Abitur,
hatte ich auch keinen Plan B“

Gratulation an dieser Stelle, das hat ja ohne Einschränkungen geklappt!
(lacht) Ja, das hat tatsächlich funktioniert … das ist eigentlich Wahnsinn. Darüber kann ich sehr glücklich und dankbar sein, dass mein Plan A funktioniert hat. Damals, mit 19, 20, direkt nach dem Abitur, hatte ich auch keinen Plan B. Heute würden mir durchaus auch andere Sachen einfallen, die ich interessant fände. Aber das war mein Ziel und das habe ich dann glücklicherweise auch erreichen können.

DARK FORTRESS (Promofoto „StabWounds“, © unbekannt)

Wie hat die Band auf deinen Vorschlag reagiert, „Stabwounds“ selbst zu produzieren? Mit Pytten hattet ihr zuvor ja eine echte Koryphäe beauftragt – gab es da Vorbehalte gegenüber dir als Novize?
Auch bei „Stabwounds“ haben wir zu jedem Song eine Vorproduktion gemacht – alle wussten also, was sie erwartet. Mit den Vorproduktionen war die Band sehr happy, also war nach den ersten zwei, drei Vorproduktionen klar, dass wir es diesmal selbst machen – einfach, weil wir damit schon viel zufriedener waren als damit, wie „Profane“ klang. Und natürlich hatten wir auch kein riesiges Budget. Wenn du dann abwägen musst, ob du für zehn Tage in irgendein Studio gehst oder es selbst produzierst und dir alle Zeit der Welt nehmen kannst, macht das natürlich auch einen riesigen Unterschied. Und: Wenn du es selbst machst, musst du niemandem Externen deine Vision erklären, wie du gerne klingen würdest.

Auch „Stabwounds“ klingt für mich nicht genau so, wie ich wollte, dass es klingt – weil mir damals noch die Erfahrung und bestimmte Skills gefehlt haben. Aber die Emotionen der Musik sind – anders als bei „Profane“ – in dieser Produktion rübergekommen. Der Re-Master von „Stabwounds“, der vor ein paar Jahren rauskam, ist dafür eine der Master- oder Re-Master-Arbeiten, auf die ich am stolzesten bin. Allein durch das Re-Mastering ist das Album jetzt so nah an dem Sound, den ich mir damals eigentlich gewünscht hätte, dass ich mit dieser Version jetzt wirklich sehr, sehr zufrieden bin.

Auf dem Album habt ihr dafür an anderer Stelle prominente Unterstützung bekommen: Jens Rydén von Naglfar ist als Gastsänger dabei, zudem Herr Morbid von Forgotten Tomb. Wie kam es dazu?
Wir haben mit DARK FORTRESS 2003 auf dem Party.San Open Air gespielt. Das war ein sehr, sehr, sehr wichtiger Gig für uns – es war der erste fette Festival-Gig und wir kamen da extrem gut an. Da haben uns dann auch Naglfar gesehen und fanden uns geil. Darüber kam man dann in Kontakt und daraus hat sich das dann entwickelt. Wir waren alle große Naglfar-Fans – das war schon ziemlich geil, dass Rydén dann Guest-Vocals beigesteuert hat. Aber das lief dann alles über Azathoth. Den Herr Morbid kannte er auch irgendwie.

„Guest-Vocals sollte man machen,
wenn es dafür einen musikalischen Grund gibt“

Hast du das Gefühl, dass euch das weitergeholfen hat, in Sinne eines Aufmerksamkeits-Pushs, oder war das einfach nur ein nettes Gimmick?
Eher Zweiteres. Guest-Vocals sollte man machen, wenn es dafür einen musikalischen Grund gibt. Wenn man sagt: Hey, hier höre ich die Stimme von diesem oder jenem Typen – es wäre so geil, wenn der das singen würde. Oder ein Solo von diesem Gitarristen würde hier gut passen. Das ist für mich der beste Grund, jemanden zu fragen, ob er was beisteuern will – anstatt irgendwie auf einen PR-Effekt zu schielen. Wenn auf dem neuen DARK-FORTRESS-Album steht „Guestvocals by James Hetfield“ – OK. Das interessiert dann Leute und dann verkauft sich das Album vermutlich besser. Aber ansonsten macht das glaube ich nicht wirklich viel aus. Bei uns waren es wirklich musikalische Gründe. Es ging ja um den Song „Rest In Oblivion“, den ich geschrieben hatte und wo ich auch eine relativ klare Idee für eine Gesangslinie hatte. Aber das war der eine Song, mit dem unser Sänger nicht so ganz warm geworden ist, das ging gegen seine Intuition. Dann hat er eben vorgeschlagen, dass wir bei dem Song mit Guestvocals arbeiten. Wobei sich Jens Rydén den Gesang dann mit einem anderen Schweden geteilt hat, Adimiron. Den sollte man nicht unterschlagen. Den hat aber Jens noch mit ins Boot geholt.

Azathoth live mit DARK FORTRESS (Summer Breeze 2004; © Twilightheart/Sheol-Magazine)

Das Album war dann auch sowas wie euer Durchbruch, ihr seid bei Black Attakk untergekommen und habt die Band damit auf eine neue Stufe gehoben. Damals war das Label ja noch ein Name in der Szene …
Man sagt ja auch immer, dass das dritte Album das „make it or break it“-Album ist – und „Stabwounds“ war definitiv unser Durchbruch, ja. Das hat uns die Türen geöffnet für alles, was später kam. Für mich ist „Stabwounds“ auch das Album, mit dem sich die zweite Inkarnation von DARK FORTRESS gefunden hat und mit dem wir unseren Stil definiert haben. Es ist auch nach wie vor ein Album, auf das ich auch jetzt, 20 Jahre später, noch sehr stolz bin und mit dem ich sehr zufrieden bin. Natürlich würde ich Sachen anders machen, aber ich würde – bis auf das Re-Mastering – keine Geschichtsrevision vornehmen wollen. Es ist, was es ist, und es waren die besten Songs, die wir zu diesem Zeitpunkt schreiben konnten. Das Gefühl hatte ich bei „Profane“ nicht. Aber bei „Stabwounds“ haben wir unser Bestes gegeben.

Aber dass wir bei Black Attakk unterschrieben haben, war eigentlich bloß eine Notlösung. Black Attakk war halt, wie man heute weiß – Pardon my French – ein Scheißlabel. Das darf man glaube ich in aller Offenheit so sagen. Und das war uns auch damals schon klar. Aber die Wahrheit ist: Nach „Profane“ wollte uns niemand. Wir hatten einfach keine weiteren Angebote. Wir waren restlos überzeugt von „Stabwounds“, dass die Platte zehnmal so gut ist wie die davor. Aber es wollte uns nach „Profane“ kein Label eine Chance geben. Der einzige vernünftige Deal wurde uns von Black Attakk angeboten. Wir wussten, dass da eine gewisse Gefahr besteht … das Label war ja aus Last Episode Records hervorgegangen, die aus gutem Grund insolvent gegangen waren. Wir wussten: OK, das ist derselbe Typ, der das Label betreibt, da müssen wir unbedingt vorsichtig sein und aufpassen, dass wir nicht beschissen werden. Aber wir hatten die Wahl, nichts zu machen oder zu Black Attakk zu gehen. Insofern war das unsere einzige Chance.

„Letzten Endes hat uns die Inkompetenz
der Plattenfirma gerettet“

V. Santura live mit DARK FORTRESS (Up From The Ground 2005; © Twilightheart/Sheol-Magazine)

Es lief dann glücklicherweise gut, und wir haben dank Black Attakk die Chance bekommen, uns zu beweisen, was uns die Tür zu Century Media geöffnet hat. Aber wir hätten fast schon die Produktion abbrechen müssen: Wir waren im Studio – die Drums haben wir ja trotzdem im Studio aufgenommen – und es kam einfach keine Kohle von der Plattenfirma. Die haben uns immer hingehalten und haben fast alle Bands irgendwie beschissen. Irgendwann haben wir dann gesagt: Wenn bis morgen das Geld nicht da ist, brechen wir die Produktion ab. Man konnte mit Black Attakk immer nur mit massiven Drohungen arbeiten – das ist natürlich überhaupt kein Kommunikationsklima. Das ist eine Katastrophe, wenn du so miteinander umgehen musst. Letzten Endes haben wir tatsächlich die Produktionskosten bezahlt bekommen und hatten auch wahnsinniges Glück, dass wir aus dem Vertrag mit Black Attakk wieder rausgekommen sind – weil die uns natürlich keinen Vertrag über ein Album angeboten hatten, sondern für mehrere. Aber die Plattenfirma war so dumm, die Option auf Verlängerung eine Woche nach Ablauf der Frist zu ziehen. Somit konnten wir rechtlich aus dem Vertrag raus. Also letzten Endes hat uns dann auch die Inkompetenz der Plattenfirma gerettet. Ansonsten wären wir wahrscheinlich bei Black Attakk verrottet. Irgendwann, nach zwei, drei Alben wäre wahrscheinlich die Luft raus gewesen und die Frustration so groß … das gibt es ja auch ab und zu, dass Bands an ihren Plattenfirmen zugrunde gehen. Das hätte uns auch passieren können. Also wir hatten damals eigentlich massives Glück.

Eine Detailfrage noch: Ihr habt ein Sample aus „The Sixt Sense“ verwendet – und zwar aus der deutschen Fassung, obwohl eure Texte englisch sind. Warum habt ihr nicht den O-Ton genommen?
Warum wir das deutsche Sample genommen haben, frage ich im Nachhinein eigentlich auch. Wahrscheinlich, weil Azathoth den Film auf Deutsch gesehen hatte und das halt dann auch so assoziiert hat. Auf dieses Sample fiel die Wahl einfach aufgrund des Inhalts, weil das, was da gesagt wird, wie perfekt zu dem passt, was in den Text ausgedrückt wird. Aber die Sache mit der Sprache ist ein berechtigter Einwand. Ich weiß auch nicht, warum ich diesen Einwand damals nicht auch gebracht habe oder was eigentlich die Idee dahinter war …

Séance (2006)

Du hast euren Wechsel zu Century Media schon thematisiert, also lass uns doch direkt da weitermachen. Wie kam es schlussendlich dazu, also in welchem Stadium der Produktion von „Seance“ seid ihr an Century Media herangetreten und was hat euch da die Türen geöffnet?
Die Türen hat uns in erster Linie Philipp Schulte geöffnet, der damals noch ein junger Mitarbeiter von Century Media war – mittlerweile ist er CEO. Und tatsächlich auch Götz Kühnemund, der zu der Zeit glaub ich echt Fan von uns war. Wir wollten immer zu Century Media, das war eigentlich von Anfang an unser Traum-Label. Als wir 2003 dann auf dem Party.San gespielt haben, hat uns Philipp Schulte gesehen und fand uns supergeil. Philipp hat dann versucht, seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, hat da sehr gute Lobbyarbeit für uns gemacht und dann kam anscheinend in diesen Tagen auch noch Götz Kühnemund ins Century-Media-Office und hat gesagt: Hey, signt DARK FORTRESS! Dann war Wacken und da haben wohl sogar die Katatonia- und die Naglfar-Leute auf Century Media eingeredet, sie sollen DARK FORTRESS signen. Ich glaube, Leif Jensen musste überredet werden, und irgendwann meinte der wohl: „Ich kann es nicht mehr hören. OK!“ Es kam also wirklich von mehreren Seiten, wir hatten einige prominente Fürsprecher. Und eben auch Philipp, dem wir viel zu verdanken haben. Dadurch, dass wir alles selbst produziert haben, lag das benötigte Budget natürlich in einem recht moderaten Rahmen. Das waren sicher auch ein Argument, dass wir halt blöd gesagt billig zu haben und kein extremes Risiko für Century Media waren.

„Damals hatten Labels noch den Ethos,
die Produktionskosten zu zahlen“

Das waren noch Zeiten, als dieses Risiko bei den Labels lag, weil die tatsächlich die Produktionskosten übernommen haben …
Ja, damals hatten Labels noch den Ethos, die Produktionskosten zu zahlen. Heute zahlen das die meisten Bands ja selbst. Das ist eigentlich sowieso völlig beschissen. Es ist eigentlich unfassbar, wie sich das entwickelt hat. Eine Plattenfirma signt ja eine Band, um mit ihr Geld zu verdienen. Und dann muss die Band die Produktion zahlen, damit das Label das Produkt dann für sie vermarktet. Das ist ein völliges Unding. Aber das ist die Realität. Aber das ist ein anderes Thema …

DARK FORTRESS (Promofoto „Seánce“, © Anna Tluczykont/Norudosart)

Ja, zurück zu “Séance”: Das Album ist ja doch nochmal ausgefeilter als sein Vorgänger. War das einfach eine logische Weiterentwicklung oder seid ihr das gezielt angegangen?
„Séance“ war das Album, das sich am allernatürlichsten entwickelt hat. Das ist einfach so passiert. Wir waren zu der Zeit sehr kreativ und inspiriert. Was mich persönlich angeht, das war einfach eine Phase in meinem Leben, wo es in mir einfach gebrannt hat. Ich hatte ein extrem starkes Bedürfnis, diese Energie und diese Emotionen in der Musik zu kanalisieren und auszudrücken – weswegen ich dieses Album auch nach wie vor für eines der besten Alben von DARK FORTRESS halte. Wir haben emotional gebrannt – und das hört man der Platte an. Wir haben etwas Profundes zu sagen gehabt. Dazu kommt: Wir waren noch sehr jung, aber zum ersten Mal auch so erfahren und kompetent, dass wir alles auf professioneller Ebene so umsetzen konnten, wie wir wollten – aber hatten auch noch die Frische und die Unverbrauchtheit, die du einfach nicht mehr hast, wenn du schon hundert Alben produziert hast. Damals hatte ich vielleicht eine Handvoll Alben produziert. “Séance” war für mich dann auch das erste Album, bei dem ich mit dem Sound wirklich sehr zufrieden war. Das klingt genauso, wie wir das wollten und es kommt die ganze Energie genau so rüber, wie wir das wollten.

„Wir haben emotional gebrannt –
und das hört man der Platte an“

Außerdem finde ich – das muss man einmal sagen – war das Album nicht nur musikalisch sondern auch textlich ein riesen Sprung. Ich finde Azathoths Texte für „Séance” nach wie vor wirklich brillant, das war eine enorme Weiterentwicklung verglichen mit dem, was er davor geschrieben hat – und sie sind auch extrem gut gealtert. Dieses Gespräch hatte ich zum Beispiel auch mit Morean auf der Tour jetzt. Da hat er ganz ehrlich gesagt, dass es ihm überhaupt keinen Spaß macht, “Selfmutilation” zu singen, weil er den Text furchtbar und grausam findet und damit überhaupt nichts anfangen kann. Und er findet es völlig faszinierend, was da bei der Lyrik für ein unglaublicher Qualitätssprung stattgefunden hat. Weil thematisch ist es ja nicht so anders, aber es ist einfach viel, viel besser formuliert. Es ist viel smarter, intelligenter. Das macht auch viel aus … weil ich die Texte teilweise wirklich sehr inspirierend fand. Ich kann mich noch erinnern, als ich die Musik für “Insomnia” geschrieben habe, war der Text komplett fertig und ich habe mich hingesetzt, den Text gelesen und den Song exakt auf den Text geschrieben. Das ist der Grund, warum die zweite Strophe nur drei Viertel so lang ist wie die erste und so weiter … aber mit dem Text ergibt alles Sinn. Ich habe den gelesen und hatte sofort ein bestimmtes Gefühl, das ich dann in Musik zu packen versucht habe. Bei „Séance“ waren Texte und Musik zum ersten Mal so eng miteinander verwoben. Das macht auch noch einmal eine Stärke des Albums aus.

Azathoth live mit DARK FORTRESS (Up From The Ground 2005; © Wiebke/Sheol-Magazine)

Das alles erklärt sehr gut das Gefühl, das ich habe, wenn ich das Album höre … dass wirklich alles extrem organisch zusammenwirkt, Texte, Gesang und Musik, die Songs in sich wie auch untereinander. Es wirkt wirklich, als wäre einfach alles an seinen Platz gefallen …
Was natürlich auch dazu beiträgt, ist, dass wir das Album wirklich als Ganzes geschrieben und konzipiert haben. Natürlich haben wir erst mal ein paar einzelne Songs geschrieben, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt haben wir uns wirklich schon viele Gedanken über die Übergänge gemacht, oder darüber, wie welcher Song im Kontext oder in der Reihenfolge nach einem bestimmten anderen wirkt. Teilweise haben wir dann noch einen “Missing Link” geschrieben – es war also wirklich quasi cineastisch konzipiert, wie ein großer Spielfilm. Wir haben so lang dran gearbeitet, bis sich alles gefügt hat, alle Übergänge gepasst haben und alles rund klang für uns. Im weitesten Sinne ist es also auch ein Konzeptalbum, auch wenn es keine durchgehende Geschichte hat, die beim ersten Song anfängt und beim letzten aufhört. Jeder Song ist für sich abgeschlossen, aber es dreht sich einfach um einen bestimmten Themenkreis und der wird mit dem Wort “Séance” perfekt umschrieben.

„Den ‚Poltergeist‘ haben wir
eher als Drecksau interpretiert“

War der Rülpser in “Poltergeist” [bei Min. 1:15] eigentlich spontan im Studio entstanden, oder war das eine geplante Aktion?
Nein, der war spontan. (lacht) Wir haben die Vocals in unserem Proberaum aufgenommen, über gemietetes Equipment. Aber zum Abhören haben wir dann trotzdem unsere fette PA genommen und irgendwann hat unsere Sänger zum Spaß bei voll aufgerissener PA mit 110 dB in das Mikro gerülpst … das klang wie ein verdammter Kanonenschlag. (lacht) Wenn du einen Rülpser so brutal hochpegelst, ist das ziemlich brutal! (lacht) Wir fanden es absolut geil und haben daraufhin überlegt: Wir müssen so einen Rülpser irgendwo einbauen wo gäbe es denn eine Stelle, an der das passen würde? Wir haben überlegt und überlegt, und ja, wenn überhaupt – ich meine, das war sehr sehr düsteres und ernsthaftes Album! – wenn es irgendwo eine Stelle gibt, dann in “Poltergeist”. Das ist der eine Song, der eine dreckige, punkige „Fuck-you!“-Rock-’n’-Roll-Attitüde hat. Den “Poltergeist” haben wir in jedem Fall eher als Drecksau interpretiert und uns gedacht: OK, zu dem Song passt das. In “Chastly Indoctrination” oder “Insomnia” hätte es den Song zerstört. Oder zumindest die Ernsthaftigkeit. Aber zu „Poltergeist“ hat es perfekt gepasst. Die Stelle, wo es schlussendlich zu hören ist, war vorher noch minimal anders – die haben wir tatsächlich noch ganz leicht umgeschnitten: Die Pause war eigentlich nur eine Achtel und danach eben eine Viertel. Aber das war ein spontaner Geistesblitz. Das Problem ist, dass ganz, ganz viele Leute irgendwie denken, das sei ein Death-Grunt. Das heißt, da ist der Gag irgendwie gar nicht durchgekommen …

V. Santura live mit DARK FORTRESS (Landshut 2007; © Claudia/Sheol-Magazine)

Das Stück “Incide” wurde von einem gewissen Morian geschrieben, der nur wenig später als Morean euer Sänger wurde. Wie kam es dazu?
Ich kenne den Morean seit ich neun Jahre alt bin – also länger als irgendjemand sonst bei DARK FORTRESS. Er war mal der Freund von meiner Schwester. Meine Schwester ist einige Jahre älter als ich und meine anderen Geschwister. Damals haben wir mal einen Ausflug gemacht, meine Schwester, er und der Drummer seiner damaligen Band Messanger. Wir sind zum Bergsteigen gegangen und da habe ich ihn kennengelernt. Ich war damals neun und er 16 – er war eher so wie der große Bruder quasi. Aber ich fand ihn total faszinierend, er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. Wir haben uns trotz des Altersunterschieds damals schon verstanden. Die Idee für “Incide” kam aber tatsächlich von Azathoth. Wir kannten Morean sehr gut und wussten, dass er ein echter, klassischer Komponist ist … und wir wollten einfach ein Stück von ihm. Irgendwie ein abgefahrenes, experimentelles Stück zeitgenössische Klassik. So kam die Zusammenarbeit zustande. Zu dem Zeitpunkt hat keiner geahnt, dass der ein Album später unser Sänger sein würde.

Der Split mit Azathoth

Aber 2007 kam es dann zum Split mit Azathoth – wie eigentlich jeder Sängerwechsel ein extremer Bruch in der Bandhistorie. Wieso ging es damals auseinander?
Schwierig zu erklären. Da gibt es sicher auch zwei Versionen. Ich würde sagen, dass die Chemie innerhalb der Band damals sehr schwierig war. Wir haben uns oft gestritten und sind nicht gut miteinander klargekommen, sind oft aneinandergeraten und es war keine gute Stimmung in der Band … ohne jetzt ein “Blame Game” spielen zu wollen. Da gehören immer zwei Seiten dazu. Dann kam noch dieses kleine Skandälchen, dieser bescheuerte “Haarmodelskandal”, der ihn, glaube ich, schon mitgenommen hat. Das war aber auch interessant: Da gab online ein Shitstorm und danach hatten wir eine Show in Essen. Als wir auf die Bühne gingen, gab es haufenweise höhnische Sprechchöre, “Du hast die Haare schön, du hast die Haare schön” und so weiter … Die haben nach zwei Songs alle aufgehört und am Ende von der Show sind ein paar von den Leuten, die diesen Sprechchor initiiert hatten, zu uns gekommen, haben sich bei unserem Sänger entschuldigt und gesagt, dass sie so beeindruckt hat, wie er damit umgegangen ist und wie er abgeliefert hat und wie geil er auf der Bühne war … dass er damit quasi das beste Argument geliefert hat, um die Kritiker verstummen zu lassen. Das hat er schon verdammt stark gemacht, muss man sagen.

Azathoth live mit DARK FORTRESS (Landshut 2007; © Claudia/Sheol-Magazine)

Aber ja, da kam vieles zusammen: Konflikte innerhalb der Band, er war angepisst von der Black-Metal-Szene und frustriert. Dann war ich für neun Wochen mit Celtic Frost auf Tour und sehe eines Morgens eine E-Mail in meinem Postfach, in der er uns mitgeteilt hat, dass er aus der Band aussteigt. Er wollte während der “Séance”-Aufnahmen schon mal aussteigen, glaube ich, und da haben wir dann auf ihn eingeredet – nein, bitte, bitte, bleib in der Band, wir brauchen dich und so weiter. Als es dann das zweite Mal passiert ist, haben wir ihn einfach nicht mehr überredet, zu bleiben, weil wir gesehen haben, dass es einfach sehr schwierig ist und vielleicht besser so. Ich glaube, er hat es damals aber schon eher so gesehen, dass wir ihn rausgeschmissen haben. Man könnte wohl sagen: Wir haben ihn aus der Band geschmissen, weil er ausgestiegen ist.

„Trotz der Spannungen, die es gab, bin ich sehr stolz
auf das, was wir zusammen erschaffen haben“

Fairerweise muss ich sagen: Das ist meine Sicht der Dinge – er würde manches sicherlich anders formulieren. Aber ich rechne es ihm hoch an, dass danach nie irgendwie öffentlich schmutzige Wäsche gewaschen wurde. Das finde ich immer ganz furchtbar, wenn Bands das machen, wie beispielsweise bei Gorgoroth damals: Das schadet einer Band nachhaltig und beschmutzt alles, was man zusammen kreiert hat. Denn trotz der Spannungen, die es gab, bin ich sehr stolz auf das, was wir mit “Séance” zusammen erschaffen haben und ich würde nichts daran ändern wollen. Wenn man dann irgendwie sagt, ja, das war alles Scheiße und das war ein Arschloch, dann macht man das, was man zusammen kreiert hat, kaputt. Das haben wir glücklicherweise immer vermieden.

Aber ihr seid nicht im Guten auseinandergegangen?
Wir hatten tatsächlich jahrelang überhaupt keinen Kontakt, da war völlige Funkstille. Vor ein paar Jahren hat er mich nochmal kontaktiert und wir haben uns einigermaßen ausgesprochen. Das fand ich wirklich sehr stark von ihm. Wir sind jetzt nicht super eng befreundet oder so, aber wenn wir uns sehen, können wir wieder normal miteinander umgehen und sprechen. Das finde ich auch gut.

Auf euer Abschiedsshow war er aber als einer von ganz wenigen Ex-Mitgliedern nicht da, wenn ich das richtig gesehen habe?
Nein, er war nicht da … was ich auch ein bisschen schade fand. Wir hatten ihn sogar gefragt, ob er ein oder zwei Songs singen wollen würde, aber das wollte er nicht, weil er die Songs seit 15 Jahren nicht gesungen hat. Er wohnt ja auch nicht ganz nah an München dran und musste am nächsten Tag früh raus, und das war ihm dann alles irgendwie zu stressig. Wir konnten ihn ja auch nicht zwingen – aber ich hätte es symbolisch sehr geil gefunden, wenn er zum Beispiel “Selfmutilation” gesungen hätte, und ich glaube, das hätte auch diversen Leuten im Publikum echt etwas bedeutet. Aber es war seine Entscheidung, da bin ich ihm jetzt auch nicht böse. Dass er nicht auf dem Abschiedsfoto drauf ist, ist aber schon schade … da fehlen einfach zwei Leute.

„Wenn man zwei Kinder zu Hause hat,
sind die Prioritäten einfach andere“

Also theoretisch natürlich noch ein paar mehr, der erste Drummer und der erste Bassist fehlen auch, aber vor allem fehlt Azathoth und unser eigentlicher Keyboarder, Phenex. Er war über zehn Jahre in der Band und auch wichtig für die Entstehung des letzten Albums. Er ist auch ein wirklich guter Freund von mir, ich bin sogar sein Trauzeuge. Wenn der dann auf der letzten Tour nicht dabei ist, ist das schon sehr schade. Aber es war seine Entscheidung. Er hatte als Lichttechniker ein Angebot, mit zwei Bands gleichzeitig auf Tour zu sein, wo er einfach sau viel Geld verdient hat … und wenn man zwei kleine Kinder zu Hause hat, sind die Prioritäten einfach andere. Für ihn ist Linus Klausenitzer eingesprungen, weil er ein guter Kumpel ist und mit The Spirit eh auf der Tour dabei war. Darum ist er jetzt auf dem Abschiedsfoto, aber unser eigentlicher Keyboarder ist leider nicht drauf – und wie gesagt, der andere, der essenziell war für die Band und auf dem Foto fehlt, ist eben unser alter Sänger.

Es gab damals von Azathoth bereits ein Textwerk mit dem Titel “Scum”, das er für den “Séance”-Nachfolger geschrieben hatte. Wenn ich nicht irre, wurde das später von Sonic Reign auf “Monument in Black” verwendet – allerdings nicht von ihm selbst eingesungen.
Ja, das stimmt.

Gab es von euch schon Musik zu diesen Texten?
Die komplette “Eidolon”!

Also ging es mit Azathoth auseinander und ihr standet auf einmal mit einem Album, aber ohne Texte und ohne Sänger da?
Ganz genau so war es. Wir hatten Anfang Februar 2007 angefangen, “Eidolon” – beziehungsweise eben damals noch “Scum” – einzuspielen. Da hatten wir schon das Schlagzeug aufgenommen gehabt. Dann hat sich genau in dieser Zeit für mich die Möglichkeit aufgetan, Session-Gitarrist für Celtic Frost zu werden. Das ist eine Chance, die wird dir einmal im Leben geboten und wenn du zu sowas nein sagst, dann kann dir keiner helfen – da bist du dann selbst schuld. Ich habe das aber natürlich mit der Band und auch mit Century Media besprechen müssen, weil wir deswegen unseren Produktionsplan für das DARK-FORTRESS-Album verschieben mussten. Dann haben wir eben noch die Drums aufgenommen, dann ging es mit Celtic Frost los und ich war neun Wochen lang auf Tour erst einmal viereinhalb Wochen in Europa und dann viereinhalb Wochen in den USA. Während ich auf Tour war, ist dann eben Azathoth ausgestiegen. Das heißt: Die Platte war eigentlich fertig und auch fertig betextet – dann kam ich von der Tour heim und wir hatten erst einmal keinen Sänger. Das war eine schwierige Situationen und auch demotivierend.

„Das ist eine Chance, die wird dir
einmal im Leben geboten“

Eine neunwöchige Tour befördert dich wirklich in ein anderes Universum – danach dann in den normalen Alltag und in eine Arbeitsroutine mit acht Stunden Arbeit am Tag zurückzufinden, war nicht einfach. Das ging am Anfang einfach nicht. Ich war dann ein, zwei Wochen zu Hause, dann war Ende Mai das Abschiedskonzert von Azathoth, und dann saß ich da und habe versucht, die Gitarren für „Eidolon” einzuspielen. Das war echt schwer … vor allem war ich, was den Speed in der rechten Hand betrifft, nach neun Wochen Celtic Frost echt außer Form! (lacht) Ich hab zwar jeden Tag Gitarre gespielt, aber eben nicht Sechzehntel-Tremolo-Picking auf 235 bpm. Das war dann halt echt erst einmal weg. Ich hätte vor den Aufnahmen eigentlich zwei Wochen ins Bootcamp gehen müssen, um den Speed in der rechten Hand wieder hochzutreiben. (lacht) Was es dann letzten Endes auch war … deswegen haben die Aufnahmen echt lange dauert, weil ich mich nach dem doomigen Set von Celtic Frost erst „on the fly“ wieder auf diesen Speed hochtrainieren musste.

V. Santura und Celtic Frost

V. Santura live mit CELTIC FROST (Ort unbekannt 2007; © Claudia/Sheol-Magazine)

Es scheint die Zeit für einen kurze Side-Story gekommen: Wie kam es eigentlich dazu, dass du Session-Gitarrist bei Celtic Frost wurdest?
„Monotheist” kam bloß ein paar Wochen nach „Séance” raus und beide Bands waren bei Century Media Records. Ich glaube, es war dann so, dass Century Media den Celtic-Frost-Leuten einen Stapel CDs in die Hand gedrückt haben, quasi, was gerade auf dem Label sonst so passiert. Die haben in alles mal reingehört und fanden die “Séance” supergeil. Das war irgendwie das eine Album, das sie gut fanden … darum wurden wir dann auch schon auf die aller-aller-allerersten Comeback-Shows als Support eingeladen. Also es gab eine Comeback-Show von Celtic Frost in der Schweiz, da waren wir nicht dabei, aber die nächsten beiden waren dann in Belgien und in den Niederlanden, und da waren DARK FORTRESS jeweils die einzige Support-Band. Wir haben Celtic Frost also im ersten Moment kennengelernt, als sie wieder in der Öffentlichkeit waren und Shows gespielt haben. Wir haben uns da auch irgendwann gut mit ihnen unterhalten und da hat Azathoth Tom gefragt, ob er Lust hätte, Guest-Vocals zu machen, wozu er durchaus bereit war. Als wir dann an der damals noch “Scum” betitelten Platte gearbeitet haben, haben wir eben Tom wieder kontaktiert. Da kam dann erst keine Antwort und dann kam eine Antwort: Er wäre grade super busy, würde das aber schon gerne machen, aber er hätte jetzt gerade eine komplett andere Frage. Sie bräuchten nämlich einen neuen Gitarristen … ob sich einer von den DARK-FORTRESS-Gitarristen vorstellen könnte, bei Celtic Frost als Live-Gitarrist einzusteigen. Und das war so … wow, OK, what the fuck … was geht ab? Das war die Chance … aber im Prinzip bestand die Chance ja sowohl für mich als auch für Asvargr.

… aber du hast die E-Mail dann einfach nicht weitergeleitet? (lacht)
(lacht) Die kam nicht an mich, die kam an unseren Sänger und er hat sie an uns beide weitergegeben. Aber die Sache war dann doch irgendwie klar: Asvargr wäre das zu krass gewesen. Er hatte einen sicheren Job in Festanstellung – den hätte er, wie ich ihn kenne, niemals aufgeben wollen. Und dann wären neun Wochen Touren gar nicht möglich gewesen. Für mich war das möglich … ja, und der Rest ist Geschichte. Und deswegen bin ich immer noch immer noch in einer Band mit Tom. (lacht) Gerade letzte Woche haben wir ein Live-Album für Triumph Of Death gemischt!

Tom Warrior und V. Santura live mit TRIPTYKON (Vienna Metal Meeting 2017, © Afra Gethöffer-Grütz / Metal1.info)

 

Teil 2 – in Kürze auf Metal1.info!

In Teil 2 des Interviews widmen wir uns den „Morean-Jahren“ 2007 bis 2023 mit den Alben „Eidolon“, „Ylem“, „Venereal Dawn“ und „Spectres From The Old World“, sowie der Abschiedstour. Zudem spricht V. Santura über seine musikalische Zukunft.

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

4 Kommentare zu “Dark Fortress (Teil 1/2)

  1. Vielen Dank für das interessante Interview!
    Ich denke im Einleitungstext müsste es aber 29 Jahre Bandgeschichte heißen.
    Von mir kommt demnächst auch nochmal ne komplette DF Retrospektive auf YouTube.
    Grüße!

  2. Sehr schönes, ehrliches Interview, das von der Zurückgenommenheit des Interviewers und der Offenheit von Santura lebt. Ich freue mich sehr auf den zweiten Teil.

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