Interview mit Shane Embury von Napalm Death

Auch nach mittlerweile über drei Dekaden im Geschäft wissen NAPALM DEATH immer noch mit hochwertigen Outputs zu überzeugen: Drei Jahre hat es gedauert, bis uns die Grind-Veteranen mit „Utilitarian“ eine neue, erstklassige Abrissbirne lieferten. Bassist Shane Embury stand uns kurz vor der Tour Rede und Antwort, um das Albumkonzept zu erläutern und den Blick neben der Zukunft auch mal in die Vergangenheit zu richten.

Hi, Shane! Danke erst mal, dass du dir Zeit für das Interview nimmst! Wie läuft’s denn so? Bist du sehr beschäftigt mit Promo-Arbeit für’s neue Album und Tourvorbereitungen?
Hi! Was die Pressearbeit angeht, erledigt Barney den Großteil, für die anstehenden Shows haben wir neue Songs und einiges an älterem Material geprobt, aber ich bin auch so immer beschäftigt!

Was habt ihr bisher an Feedback von der Presse und den Fans bekommen?
So wie ich es sehe, ist es durchweg positiv ausgefallen, was natürlich großartig ist. Es sind einige sehr löbliche Worte dabei, alles in allem hätten wir uns keine besseren Reaktionen wünschen können, wir sind also sehr glücklich!

Seit dem letzten Studioalbum „Time Waits For No Slave“ sind drei Jahre vergangen. Warum hat es so relativ lange gedauert, ein neues Album herauszubringen, und was habt ihr in der Zwischenzeit so getrieben?
Wir haben viele, viele Länder bereist, um das „Time Waits For No Slave“-Album vorzustellen, aber wir haben für das aktuelle Album tatsächlich schon vor genau einem Jahr angefangen, zu proben. Im Juli letzten Jahres war es schon fertig und abgemischt. Der Hauptgrund, warum es so lange gedauert hat, waren Neuverhandlungen mit dem Label. Es wurde darüber gesprochen, es im November letzten Jahres zu veröffentlichen, aber wir entschieden uns letztendlich für Februar, und da habt ihr’s. Wir saßen echt eine ganze Weile an dem Album.

„Utilitarian“ hat seine Ähnlichkeiten mit „Time Waits For No Slave“, wartet aber auch mit einigen Innovationen auf. Wo siehst du die Unterschiede zum Vorgänger?
Ich weiß nicht so recht, weil ich das Gefühl habe, unsere Alben anders als andere zu betrachten. Ich finde, die Produktion hat sich verbessert, und ich habe versucht, Songs zu schreiben, die chaotisch sind und eine Menge dissonante Riffs enthalten. Allerdings habe ich zum Beispiel die ersten zwei Riffs von „Fall On Their Swords“ schon 1992 geschrieben, kann also nicht sagen, wie innovativ das jetzt alles ist. Wir schreiben, wonach uns ist, und irgendwie verwandelt sich dann alles zusammen in etwas Interessantes.

Innovativ fand ich zum Beispiel das Saxofonsolo in „Everyday Pox“, sowas hätte ich auf einer NAPALM-DEATH-Scheibe nicht erwartet. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit John Zorn?
John Zorn (Avantgarde-Komponist und Multiinstrumentalist – Anm. d. Red.) ist schon seit langer Zeit Fan von NAPALM DEATH und er schien uns perfekt für den Track. Er hat sich dann auch netterweise dazu verpflichtet, was für den Song fantastisch war. Es hatte einfach Hand und Fuß.
Was ist denn dein persönlicher Höhepunkt auf dem neuen Album?
Das ist echt schwierig. „The Wolf I Feed“, „Fall On Their Swords“ und „Leper Colony“ haben zum Beispiel tolle Momente.

Der Utilitarismus als ethische Theorie ist ja ein sehr umfangreiches Gebiet. Was bedeutet dir der Begriff, insbesondere im Kontext des Albums, und warum habt ihr ihn als Motiv gewählt?
Meiner Meinung nach geht es im Wesentlichen darum, die richtigen Entscheidungen im Leben zu treffen oder es zu versuchen. Er kann ja auch auf viele Arten interpretiert werden, und darin spiegelt sich die Komplexität von allem wider, wenn man es in Angriff nimmt. Während das Leben weiterwirbelt, befragen wir uns selbst immer mehr: Treffen wir immer die richtige Wahl? Haben wir stets die richtige Wahl getroffen? Könnten wir uns ändern oder haben wir die Kraft dazu? Auf was kommt es im Leben eigentlich an? Bewirken wir überhaupt etwas? Die Unsicherheit von allem, was in unserer Welt vor sich geht, kann so eine schwere Bürde sein!
Dieses Motiv ist etwas, das wir, die Leute in der Band, durchmachen, während wir älter werden, schätze ich. Da schien es natürlich, es über das Konzept des Albums auszuleben.

Okay, und welche Schlüsse ziehst du aus diesen selbstreflektierenden Fragen? Oder auf die Band bezogen: Wenn du dich in den Achtzigern nicht dazu entschieden hättest, bei NAPALM DEATH einzusteigen, wo glaubst du, wärst du stattdessen gelandet?
Wahrscheinlich hätte ich eine lange Reihe von ganz normalen Jobs gehabt. Ich wäre in dem Dorf Browsley geblieben, in dem ich geboren wurde, wäre wahrscheinlich schon eine längere Zeit verheiratet und hätte bereits Kinder. Das ist wirklich auch ein gutes Leben. Kinder zu haben, ist eine großartige Errungenschaft – großartiger, als Alben zu machen. Im Endeffekt bin ich also ein schlichter Mann!

Aus welchem Blickwinkel siehst du die Band heute, im Vergleich zum Zeitpunkt deines Einstiegs? Was hat sich für dich persönlich geändert?
Tut mir leid, das zu sagen, aber auf diese Weise denke ich nicht darüber nach. Sie war immer für mich da und es gab Höhen und Tiefen. Wenn ich darüber nachdenke, stelle ich fest, dass es schon immer Turbulenzen gegeben hat, aber wenn man sich so leidenschaftlich für etwas interessiert wie wir alle in der Band, dann frisst man sich da durch. Es muss also so eine Art führende Kraft geben, die uns in Schwung hält und die vielleicht einfach in unsere Welt hineinpassen muss, weil wir ohne sie nicht weiter wissen. Ich mache mir heute mehr Gedanken über die Zukunft als damals, als ich in die Band eingestiegen bin, aber man findet Ermutigung in den Erfahrungen, die man hinzugewonnen hat.
Im Rückblick auf die lange Bandlaufbahn, bist du insgesamt zufrieden mit dem Erreichten oder bereust du auch etwas?
Ich bin ziemlich zufrieden.

Ich finde, am aktuellen Punkt eurer Karriere klingt ihr besser denn je. Wie kann man sich diese treibende Kraft vorstellen, durch die ihr immer noch hochklassige Songs schreiben und performen könnt? Was trägt zur Langlebigkeit von NAPALM DEATH bei?
Ich weiß nicht… Ich denke, Fragen wie diese können am besten von Leuten außerhalb der Band beantwortet werden. Wir existieren im Leben wie jeder andere auch, außer dass in dieser Band zu sein ein großer Teil unserer Leben ist. Wir haben uns alle dieser Sache hingegeben, wenn man so will, und es gibt eine stillschweigende Loyalität oder sowas…
Man kann es wirklich nicht genau ausmachen, wenn man Teil von so etwas wie diesem ist. Wir wollen einfach, dass jedes Album etwas Besonderes ist.

Wo du von Leuten außerhalb der Band sprichst: NAPALM DEATH ist ja nicht nur zur Unterhaltung da, ihr habt auch eine Botschaft und ermutigt eure Fans, selbstständig zu denken. Denkst du, dass die Leute darauf eingehen oder euch nur der Musik wegen hören?
Manche verstehen die Botschaft und sind interessiert, aber nicht jeder, und damit habe ich auch kein Problem.
Ärgert es dich also nicht, dass einige Leute euch lediglich als lautstarke Grindcore-Band sehen und die anderen Aspekte eures Schaffens nicht schätzen?
Nein, das stört mich überhaupt nicht.

Gut, dann lass uns kurz über die erste Platte „Scum“ reden, da sie dieses Jahr ihr 25-jähriges Release-Jubiläum hat und folglich als Special Edition wiederveröffentlicht wird. Ganz allgemein, was hältst du von solchen Jubiläen? Könntest du dir z. B. vorstellen, es mit einer kompletten Live-Aufführung von „Scum“ zu feiern, wie das andere Bands auch schon mit Meilensteinen aus ihrer Diskografie gemacht haben?
Nun, keiner von der aktuellen Besetzung hat auf dieser Scheibe gespielt, auch wenn ich der Band zwischen den Aufnahmen zur A- und B-Seite hätte beitreten können, aber was soll’s, genug des Gemotzes meinerseits über dieses Thema. Ich habe kein Problem mit Jubiläumsveröffentlichungen, das ist eine ganz normale Sache, hat aber zugleich auch etwas von übersteigertem Konsumverhalten. Allerdings haben wir keinen Grund, „Scum“ live komplett zu spielen.

Neben NAPALM DEATH bist du außerdem in eine Vielzahl von Bands und Projekten involviert. Kannst du uns auf den neuesten Stand bringen, an was du zur Zeit noch so arbeitest?
Ich arbeite an ein paar Projekten mit Russ, unserem Produzenten, von denen ich wirklich begeistert bin. Des Weiteren haben wir mit NAPALM DEATH gerade die Aufnahmen für einige Splits abgeschlossen, deren Release in Planung ist. Außerdem habe ich mit einigen Freunden in Birmingham eine kleine DIY-Grindband namens War Of The Second Dragon gegründet, besucht uns doch mal auf unserer Seite.

Kannst du uns ein wenig über deine und eure Herangehensweise beim Schreiben von Songs und Texten verraten? Was inspiriert und beeinflusst euch, woher stammen neue Ideen?
Ich höre viel Musik und bin ständig von ihr umgeben, also vermute ich, dass ich davon auf Ideen komme. Ich höre eigentlich nie auf, Riffs zu schreiben, ich stelle sie mir irgendwie zusammen oder nehme sie auf Band auf, damit ich sie nicht vergesse, und sie entwickeln sich einfach weiter. Du musst dich darauf besinnen, dass, obwohl „Utilitarian“ gerade erst rausgekommen ist, wir als Band über die vergangenen 18 Monate Ideen für das Album entwickelt haben. Ich denke also in gewisser Weise schon an das nächste Album, wenn wir mit den Vorbereitungen für das aktuelle beginnen. Was Texte angeht, konstruiert Barney seine Ideen auf eine ähnliche Art, nämlich mithilfe dessen, was um ihn herum passiert und was er liest. Er ist ein Info-Junkie, nimmt also viel über die Medien und Bücher auf.

Wie entscheidest du, welche Ideen mit welcher Band umgesetzt werden?
Bestimmte Stile geben vor, wohin der Song gehen sollte. Bei den Texten kommen die politischeren zu NAPALM DEATH, da meine restlichen Bands in keiner Weise politisch sind.

Zusätzlich zu deinen Bands bist du auch Eigentümer des Plattenlabels FETO Records. Wie schaffst du das mit deinem vermutlich vollgestopften Zeitplan?
FETO ist ein kleines Label und mittlerweile hauptsächlich digital, von daher ist das nicht so heftig. Ich habe schon lange nichts mehr herausgebracht, aber mein Partner Mick Kenney von Anaal Nathrakh hat einige Platten veröffentlicht. Es ist eine schöne Beschäftigung, aber auch sehr zeitaufwändig.

Wenn du mal Freizeit hast, wie entspannst du dich dann und wie lange dauert es, bist du wieder im „normalen Leben“ angekommen bist, z. B. nach einer langen Tour?
Nach sieben bis zehn Tagen fühle ich mich wieder normal, dann schaue ich mir Filme an, verbringe Zeit mit meiner Frau und meinen vier Katzen, besuche meine Eltern und mache von Zeit zu Zeit auch Musik.

Ab März geht es für euch wieder auf eine längere Tour. Bereitet dir das Touren immer noch Spaß? Hast du manchmal Heimweh oder fühlst du dich auch on the road zuhause? Immerhin bist du ja auch verheiratet.
Das ist echt eine Zwickmühle. Je länger ich zuhause bin, desto weniger habe ich Lust auf eine Tour und umgekehrt. Ich ertappe mich in der Tat dabei, des Wegseins ein bisschen überdrüssig zu sein, aber würdest du mir diese Frage in zwei Wochen stellen, würde ich wahrscheinlich sagen, dass ich mich blendend amüsiere. Es ist eine Dualität, wirklich komplex.

Was ziehst du vor: Kleine Clubbühne oder große Festivalbühne?
Ich bevorzuge kleine Clubs, aber ein gutes, fettes Festival kann ab und zu auch einen Mordspaß bereiten.

In Ordnung, wir sind fast durch! An dieser Stelle vielen Dank für deine Antworten, Shane! Den Abschluss macht unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming – ich nenne dir ein paar Begriffe und du sagst uns, was dir zuerst dazu einfällt!
Occupy: keine Meinung
Black Sabbath-Reunion: kein Interesse
Katzen: Liebe ich!
Aston Villa: Ich hasse Fußball!
Deutschland: großartiges Essen & Bier
Metal1.info: scheint eine tolle Website zu sein

Nochmals danke für deine Zeit und viel Spaß auf der Tour!

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