Review Napalm Death – Utilitarian

Worauf ist heute eigentlich noch Verlass? Die Deutsche Bahn hat mich in meiner idealistischen Erwartung, von A nach B gebracht zu werden, mal wieder enttäuscht, auch nach zwei Tassen Kaffee habe ich nach wie vor schwere Lider, der Winter brachte hier bisher satte zwei Schneetage, Dieter Bohlens Fresse ist weiterhin im Fernsehen zu sehen und, ja, es gibt tatsächlich noch Menschen, die die FDP wählen. Da ist es schön, wenn es wenigstens noch ein paar kleine Konstanten im Leben gibt. NAPALM DEATH zum Beispiel.

Drei Jahre sind vergangen, seit „Time Waits For No Slave“ von der Leine gelassen wurde, nun wird mit „Utilitarian“ das mittlerweile 14. Studioalbum nachgelegt. Aufgenommen wurde es mit Produzent Russ Russels in den Parlour Studios in Northamptonshire, wobei das Werk diesmal von Bands wie den Swans, My Bloody Valentine oder Birthday Party inspiriert ist und dadurch die düstere, atmosphärischere Seite von NAPALM DEATH in den Vordergrund tritt. Nichtsdestoweniger erhält man wieder die gewohnt rustikale Mischung aus Death Metal, Grind und Hardcore Punk, die den Hörern systematisch die Rüben abschraubt. Ein ebenfalls typisches Merkmal, das die Birminghamer auch diesmal nicht vermissen lassen, ist die Kombination von brutaler Musik und sozialkritischen, politisch engagierten Texten, die zum Nachdenken anregen – quasi Grindcore mit Köpfchen.

Bei aller Konstanz kann man jedoch nicht behaupten, dass das Quartett mit „Utilitarian“ auf Nummer sicher gegangen ist, es gibt auch allerlei Neues zu hören, das im NAPALM-DEATH-Universum so noch nicht vorhanden war. Das Intro „Circumspect“ gibt mit Synthie-Hintergrund, wuchtigen Downtempo-Drums und fetten Gitarren schon einen Vorgeschmack auf das, was gleich kommen wird, spannt die Hörer aber zunächst etwas auf die Folter. Erst mit „Errors In The Signals“ starten die Herren um Fronter Barney Greenway, dem wohl intellektuellsten Krümelmonster der Szene, voll durch, bieten in den Refrains aber schon wieder Verschnaufpausen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass NAPALM DEATH auf ihrem aktuellen Album in Sachen Tempo merklich variabler zu Werke gehen – ja, variabler, aber nicht langsamer. Auch die Songlängen sind im Vergleich zum Vorgänger wieder kürzer ausgefallen, lediglich „Protection Racket“ und „Fall On Their Swords“ kommen in die Nähe der Vierminutenmarke, ohne sie dabei zu erreichen.

Letzterer Song wartet übrigens ebenso wie „Blank Look About Face“ – hier wird der Titel skandiert wie ein Slogan auf einer Demonstration – und „Leper Colony“ mit choralartigen Passagen auf, während in einigen anderen Tracks wie etwa „The Wolf I Feed“ und „Orders Of Magnitude“ auch Gitarrist Mitch Harris zum Mikrofon greift – zu erkennen an den eher hohen Screams, die sich deutlich von Barneys tiefen Growls unterscheiden lassen. Das größte Kuriosum des Albums dürfte jedoch das anarchisch-chaotische Saxophonsolo des Avantgarde-Komponisten John Zorn in „Everyday Pox“ sein – mal ehrlich, wer hätte so was auf einer NAPALM-DEATH-Platte erwartet?

Auch nach über 30 Jahren ist bei den britischen Grindern keine Spur von Altersmilde oder -müdigkeit vorhanden. Im Gegenteil: Sie liefern nicht nur weiterhin großartige Qualität ab, sondern schaffen es auch, jedes Mal neue Elemente in ihre Musik einzufügen. Dadurch, und aufgrund des intelligenten, aufgeklärten Protestcharakters, der die Jungs hart und smart zugleich erscheinen lässt, haben NAPALM DEATH auch mit „Utilitarian“ im Death/Grind-Bereich weiterhin die Nase vorne und ihre Position im Szene-Thronsaal erneut bestätigt. Worauf wartet ihr noch?

Wertung: 9 / 10

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