Interview mit Jørn Øyhus von Nordein

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Mit NORDEIN hat Jørn Øyhus alias Nord, der manchen Black-Metal-Fans vielleicht von Bands wie Nordjevel und den Newcomern Varde bekannt ist, ein interessantes Folk-Soloprojekt gegründet und mit „Nordariket“ sogleich ein ausgesprochen hörenswertes Debüt vorgelegt. Genaueres über seine in jungen Jahren entdeckte Liebe zu traditionellen Volksliedern, was der Komponist Edvard Grieg damit zu tun hatte und weshalb es dieser Tage nicht leicht ist, die an Metal-Musiker gestellten Erwartungen zu erfüllen, erläutert der norwegische Einzelkünstler im folgenden Interview.

Man kennt dich ansonsten vor allem aus Black-Metal-Bands wie Varde und Nordjevel. Was hat dich dazu inspiriert, mit NORDEIN nun Folk zu spielen?
Ich habe schon lange vor meinen Metal-Jahren alle möglichen Arten von Musik gespielt und gehört, auch Folk. Die Folk-Seite der Dinge hat mich schon immer fasziniert, seit ich ein kleines Kind war. Ich bin mir nicht sicher, warum ich mich zu Folklore, Mythen und alten Zeiten hingezogen fühlte, aber hier bin ich nun wohl!

Wann hast du ursprünglich ein Interesse an Folk entwickelt?
Das habe ich meinem Musiklehrer in der Grundschule, Håvard, zu verdanken. Wir sangen traditionelle Volkslieder wie ‚Mellom Bakkar Og Berg‘, ‚Kråkevisa‘ und ‚Håvard Hedde‘. Diese traditionellen Melodien faszinierten mich, da sie im Vergleich zu der Musik, der ich tagtäglich ausgesetzt war, irgendwie stimmungsvoll waren. Ich konnte gewissermaßen die Verbindung zwischen den Melodien und meiner natürlichen Umgebung hier in Norwegen spüren. Das war sehr augenöffnend für ein junges Kind. Natürlich spielte Edvard Griegs „Peer-Gynt-Suite“ eine wichtige Rolle in meinem sich früh entwickelnden Interesse an dieser Art von Musik.

Wie leicht oder schwer ist es dir gefallen, als Musiker von Black Metal auf Folk umzusteigen?
Es war nicht so sehr ein Übergang von dem einen zu dem anderen, sondern eher eine natürliche Entwicklung. Ich habe mich nie als Musiker eines bestimmten Genres gesehen. Ich habe mich schon immer für Musik im Allgemeinen interessiert und ich spiele gerne alle Arten von Instrumenten. Extreme Metal ist ein Genre, das sich ständig weiterentwickelt, mit einem immer größeren Fokus auf Technik und chirurgischer Präzision. Ich habe nicht die Fähigkeiten und das Talent, die nötig sind, um im Jahr 2020 ein kompetenter Metal-Musiker zu sein.

Du hast kürzlich nicht nur NORDEINs Debütalbum „Nordariket“, sondern mit „Fedraminne“ auch das erste Album deiner Black-Metal-Band Varde veröffentlicht. Sind die beiden Alben parallel zueinander entstanden?
Ich habe an beiden Alben im gleichen Zeitraum gearbeitet, natürlich mit der entsprechenden Hingabe für beide. Ich genieße es, mehrere Projekte gleichzeitig am Laufen zu haben, und ich habe gelernt, wie man diese Dinge ausbalanciert. Woran ich von Tag zu Tag arbeite, hängt von meiner Stimmung ab und natürlich auch davon, ob irgendwelche Termine anstehen. Ich versuche aber, immer einen Schritt voraus zu sein, da ich meinen Stresspegel so niedrig wie möglich halten möchte.

Aktuell haben viele Bands mit der Situation wegen der Coronapandemie zu kämpfen, einige haben auch die Release-Termine ihrer Alben verschoben. Warum hast du dich dazu entschieden, gerade jetzt zwei Platten herauszubringen?
Wir haben nie wirklich darüber nachgedacht, eine der beiden Veröffentlichungen zu verschieben. Ich verstehe, dass bekannte Künstler ihre Veröffentlichungen nach Tourneen etc. planen müssen, aber das trifft nicht auf das zu, was wir im Moment machen. „Nordariket“ und „Fedraminne“ sind genau eine Woche auseinander erschienen, und ich hatte damit nichts zu tun. Die jeweiligen Labels haben die Veröffentlichungstermine völlig unabhängig voneinander festgelegt, und ich hielt das für eine gute Sache. Ich denke, zwei Alben in einer Woche zu veröffentlichen, könnte eine einmalige Erfahrung sein.

Die beiden Alben sind über zwei verschiedene Labels erschienen. Wäre es nicht einfacher gewesen, das einer einzigen Plattenfirma zu überlassen?
In mancher Hinsicht wäre es wahrscheinlich einfacher gewesen, aber wir waren nie an einem „Paket-Deal“ interessiert. Da die beiden Bands so unterschiedlich sind, ist es nur natürlich, dass sie bei verschiedenen Labels unter Vertrag sind. Die Beziehung zwischen Band und Label ist in gewisser Weise sehr persönlich. Ich denke, wenn man die Rollen zu sehr vermischt, würde das zu mehr Komplikationen als Vorteilen führen, so als ob man mit seiner Frau und seiner Geliebten gleichzeitig essen geht.

In der Beschreibung von „Nordariket“ steht, dass du Folk weniger kitschig spielen möchtest, als es viele Black-Metal-Musiker in der Frühzeit des Genres getan haben. Auf welche Bands oder Alben bezieht sich das?
Dieses Zitat stammt aus einem Statement von Dritten über NORDEIN und „Nordariket“. Ich hatte in dem Sinne nichts damit zu tun, und ich weiß nicht, welche Bands der Autor im Sinn hatte. Vielleicht habe ich genau diese Künstler und Alben in meinem Regal, wer weiß? Da ich älter geworden bin, versuche ich, nicht zu beurteilen oder zu verurteilen, was andere Künstler machen. Wenn ich etwas mag, nehme ich es voll und ganz an. Wenn ich etwas nicht mag, versuche ich, mich davon abzuwenden, ohne deswegen eine Szene zu machen.

Welche Folk-Black-Metal-Werke findest du hingegen gelungen?
Die erste Ära von Satyricon ist in dieser Hinsicht gut. Auch die frühen Werke von Andreas Hedlund aka Vintersorg gehören zu meinen Favoriten in diesem Genre. Isengard ist natürlich ein weiteres Juwel innerhalb dieses Stils.

Du hast deinen eigenen Stil auch „Mountain Music“ genannt. Worin liegt die Verbindung zwischen deiner Musik und den Bergen?
Ich selbst lebe im Flachland, mit einer relativ kurzen Fahrt hinauf in die Berge. Für mich hat „Mountain Music“ mehr mit den musikalischen Konnotationen zu tun als mit der physischen Landschaft selbst. NORDEIN wurde in den Bergen geboren und die Musik spiegelt meine innere Welt wider, wenn ich in totaler Ruhe bin. Ich liebe auch den Ozean und den Wald, aber die Seele und die schiere Kraft der Berge sprechen etwas in mir an. Die Berge sind unbarmherzig, unnachgiebig und gleichzeitig so herzzerreißend schön und zeitlos. Für mich sind sie die naheste natürliche Darstellung von Unsterblichkeit und Ewigkeit, die ich mir vorstellen kann. Das ist etwas, das ich mit meiner Musik einzufangen versuche, also habe ich im Grunde ein lebenslanges Sisyphos-Szenario für mich selbst eingerichtet.

Anders als auf manchen Folk-Alben, die vollkommen auf einer Akustikgitarre eingespielt sind, hört man auf „Nordariket“ eine vielseitige Instrumentierung. Welche Instrumente setzt du darauf ein?
Die Hauptelemente auf dem Album sind Gesang und Chorarrangements, Flöten, Nyckelharpa (Tastengeige), Schlagzeug/Perkussion und eine breite Palette von Saiteninstrumenten. Ich habe es auch geschafft, etwas Fagott und Sopransaxophon einzubauen. In Tracks wie „Máni“ und „Norner“ wird man auch einige Keyboards hören. Ein anderer Grund ist, dass ich gerne mit Instrumenten experimentiere, um sie wie andere Instrumente klingen zu lassen. Man muss mit dem arbeiten, was man hat!

Hast du alle Instrumente selbst eingespielt oder waren auch andere Musiker an der Entstehung des Albums beteiligt?
Mein Bruder hat mir bei dem Fagott geholfen, da ich nicht sehr geschickt mit Rohrblattinstrumenten bin. Außerdem spielt mein guter Freund Mathias Gyllengahm Nyckelharpa, und meine Lebensgefährtin hat die weiblichen Gesangsstimmen in „Alvedans“ beigesteuert. Den Rest der musikalischen Teile habe ich selbst zusammengetüftelt.

Worum geht es inhaltlich auf „Nordariket“? Vertonst du darauf Volkssagen oder von dir selbst erdachte Geschichten und Themen?
Ich habe meine eigenen Texte geschrieben, mit Ausnahme von „Klok Og Tagal“, dessen Text aus „Håvamål“ stammt. Der lyrische Inhalt dreht sich um die Beziehung zwischen dem Menschen und dem Göttlichen. Die Kontraste mögen groß erscheinen, aber gleichzeitig gibt es eine sehr offensichtliche Symbiose zwischen allen Dingen. Die göttliche Verbindung ist immer da, von hochästhetischen und symbolischen Ritualen bis hin zur rohen Realität des menschlichen Überlebens.

Als Bonustrack findet sich auf der Platte auch ein Cover des Nordjevel-Songs „Norges Sorte Himmel“. Warum wolltest du gerade dieses Stück in ein Folk-Lied verwandeln?
Das ist etwas, was ich schon im Hinterkopf hatte, seit ich den Song 2015 geschrieben habe. Für einen „Black-Metal“-Song hat er einen sehr musikalischen und melodischen Charakter. Die meisten Leute würden ihn wahrscheinlich nicht einmal als Black Metal bezeichnen. Ich hatte nicht wirklich in Betracht gezogen, ihn unter dem NORDEIN-Banner aufzunehmen, bis Mathias Gyllengahm es vorschlug. Ich hielt es für eine brillante Idee und bin froh, dass wir es gemacht haben.

Was ist dir bei einem Songcover das Wichtigste? Bevorzugst du Neuversionen, die nah am Original liegen, oder solche, die etwas experimenteller sind?
Das kommt auf den einzelnen Song an. Einige alte Klassiker machen Spaß, wenn man sie in ihrer ursprünglichen Form mit einer verbesserten Produktion hört. Ein anderes Mal ist es interessant, völlig neue und originelle Interpretationen zu hören. Wenn ich mich für eines entscheiden müsste, würde ich sagen, dass ich gerne Covers höre, die nah am Original sind, aber mit der deutlichen Handschrift des neuen Künstlers.

Hast du vor, mit NORDEIN auch live aufzutreten, sobald es wieder möglich sein wird?
Im Moment gibt es keine konkreten Pläne, aber ich habe die Idee mit dem Label besprochen. Ich muss herausfinden, wie viele Musiker nötig sind, um die Musik live richtig darzubieten. Musiker, die zwischen den Songs Instrumente wechseln können, wären wegen der abwechslungsreichen Orchestrierung wünschenswert. Das gilt natürlich auch für mich, denn ich sehe mich auf der Bühne nicht nur in einer Funktion. Mit der richtigen Crew an Bord bin ich zuversichtlich, dass wir das live richtig präsentieren können.

Was hast du noch für NORDEIN geplant? Hast du vor, das Projekt längerfristig weiterzuführen?
Ich kann verraten, dass das zweite Album bereits geschrieben ist, und ich arbeite gerade daran, es aufzunehmen. Die Inspiration traf mich letzten Sommer, als wir plötzlich ein paar Wochen richtig kaltes und trübes Wetter hatten. Das schlechte Wetter war nicht die Inspiration, aber von der Beschäftigung draußen in der Sonne nach drinnen zu gehen, ließ meine Gedanken an einen sehr seltsamen Ort wandern. NORDEIN ist keine kurzfristige Idee, und mein Plan ist es, in den kommenden Jahren viele Alben zu veröffentlichen. Mein Kopf ist immer voll von musikalischen Ideen und Konzepten, die ich irgendwann umsetzen muss.

Gehen wir zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming durch. Was kommt dir bei den folgenden Begriffen in den Sinn?
Myrkurs „Folkesange“: Das habe ich wohl verpasst, aber ich weiß, dass die Band sehr erfolgreich ist.
Alltag: Schaffe dir ein Leben, vor dem du nicht ständig weglaufen musst. Der Alltag ist wunderbar, wenn man seinem wahren Weg folgt.
Elektronische Musik: Es ist einfach eine andere Art, Musik zu machen. Wenn es gut klingt, ist es meiner Meinung nach gute Musik. Ich weiß, dass es dabei keine Probleme mit dem Stimmen gibt, was Studiosessions himmlisch machen muss!
Spiritualität: Die Seele braucht Nahrung und regelmäßige Bewegung, um in Form zu bleiben, genau wie der Geist und der Körper. Ich mag mich irren, aber ich habe das Gefühl, dass bestimmte Teile der modernen Gesellschaft in einer Leere feststecken. Spiritualität ist auf vielen Ebenen durch die Verehrung von materiellem Besitz, Ego und Prominenz ersetzt worden. Ist es das, was als Fortschritt und Entwicklung bezeichnet wird?
Neofolk: Ich habe dieses Konzept in den letzten Jahren in der Populärkultur aufblühen sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich nur auf die Musik bezieht oder auf die gesamte Renaissance bestimmter historischer Epochen. Wie auch immer, wenn etwas Gutes dabei herauskommt, bin ich voll dafür.
Einsamkeit: Die Einsamkeit ist ein guter Freund von mir, aber sie verlangt Respekt. Die Einsamkeit zu kennen und sich mit ihr wohlzufühlen, kann eine sehr gute Sache sein, aber zu viel davon frisst den Verstand auf. Ich war schon auf beiden Seiten davon und die richtige Balance zu finden, braucht Zeit und Arbeit.

Dann sind wir auch schon am Ende unseres Interviews angelangt. Möchtest du noch ein paar letzte Worte an die Leser richten?
Ich bin sehr dankbar für das Interesse, das die Leute an meiner Musik haben. NORDEIN ist eine sehr persönliche und in gewisser Weise auch schmerzhafte Reise für mich. Jede einzelne Person, die mich begleiten will, macht mich ein bisschen demütiger. Zum Schluss: Wenn ihr euch Sorgen wegen der dramatischen Veränderungen in der Gesellschaft macht, erinnert euch daran, dass sich die reale Welt nie verändert hat.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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