Review Myrkur – Folkesange

Nach dem aufsehenerregenden Debüt „M“ und dem leicht ungeschliffenen, jedoch vielfach noch begeisterter aufgenommenen Nachfolgewerk „Mareridt“ ihres Folk-Black-Metal-Projekts MYRKUR veröffentlichte Amalie Bruun Ende 2018 die Zwei-Track-EP „Juniper“. Zwar stellte sich das zahme Titellied als kleine Enttäuschung heraus, doch die mit ihrer simplen Schönheit bezaubernde B-Seite „Bonden Og Kragen“ wies bereits in die vielversprechende stilistische Richtung, die MYRKUR in weiterer Folge einschlagen sollte. Angeregt von der Geburt ihres Kindes und ihren daraus hervorgehenden Überlegungen zu Ursprünglichkeit und ihrer eigenen Vergangenheit legt die Dänin ihre Black-Metal-Einflüsse auf ihrem dritten Album „Folkesange“ vollends nieder und besinnt sich auf die skandinavischen Volkslieder, die sie in ihrer Kindheit geprägt haben.

Mag es auch ein wenig schade sein, dass sich mit MYRKUR eine der wenigen Frauen, die sich bislang im Black Metal behaupten konnten, aus ebenjenem Genre zurückzieht, so ließen etwa die Piano-Ballade „Nordlys“ oder das die Lebensgeister weckende „De Tre Piker“ doch zuvor bereits keinen Zweifel daran, dass die Multi-Instrumentalistin im Folk ebenso zuhause ist. Tatsächlich fühlt sich „Folkesange“ nach den beiden albtraumhaften Vorgängeralben wie das erleichterte Aufatmen nach einer beschwerlichen Heimkehr an. Dem heimeligen Charakter des Liedguts entsprechend gibt sich MYRKUR auf der gut dreiviertelstündigen Platte auffallend bescheiden – und bringt damit doch zugleich ihre bis dato ausgefeiltesten Kompositionen zu Tage.

So steht Amalies facettenreicher, atemberaubend schöner Gesang, der mal fidel trällernd („Gammelkäring“), mal energisch tänzelnd („Fager Som En Ros“) und nicht selten vor unbändiger Kraft strotzend („Ella“) den Ton angibt, hier mehr denn je im Mittelpunkt, wohingegen die urtümliche, bewusst simpel gehaltene Instrumentierung aus Nyckelharpa, Lyra, Mandola, Klavier und verschiedenen Perkussionen eine begleitende Rolle einnimmt. Dabei gelingt es MYRKUR auf derart selbstverständliche Weise, Gesang und Musik ineinanderfließen zu lassen, dass man gar nicht auf die Idee kommt, die einzelnen Komponenten im Geiste zu zerlegen und ihnen dadurch ihren Zauber zu nehmen.

Dass auf geradezu unverschämt einfachen Tonfolgen und Akkorden aufgebaute Songs wie das so grazile wie geheimnisvolle „Tor I Helheim“, das fragil-wehmütige, mehrstimmig gesungene „Harpens Kraft“ und das schwungvolle und zugleich schmachtende „House Carpenter“ nicht nur auf Anhieb ins Ohr gehen, sondern selbst nach mehrmaligem Hören nichts von ihrer packenden Wirkung verlieren, zeugt von dem bemerkenswerten Songwriting-Talent der dänischen Solokünstlerin. Mit dem behaglichen Piano und den wundersamen Vocals im abschließenden, an Enya zu Zeiten von „Shepherd Moons“ erinnernden „Vinter“ sollte Myrkur schlussendlich sogar die nüchternsten Hörer in wohliger Nostalgie schwelgen lassen.

So widersprüchlich es auch klingen mag, durch die Vereinfachung ihres Instrumentariums hat MYRKUR mit „Folkesange“ ihr bislang ausgereiftestes Werk kreiert, welches darüber hinaus die verschiedensten Gefühle vertont und dennoch von Anfang bis Ende schlüssig ist. Erdig-scharrende Streich-, anmutige Zupf- und sanfte Tasteninstrumente sowie urige Perkussionen kommen hier in regelrecht zeitloser Art und Weise zusammen und werden durch die von Christopher Juul (Heilung) makellos aufpolierte, jedoch keineswegs gekünstelte Produktion untrennbar miteinander verflochten. Letztlich ist es jedoch schlicht Amalies ausdrucksstarke Stimme, durch die die Platte auf einer tiefen, archaischen Ebene zum Hörer spricht. In gewisser Weise hat MYRKUR mit „Folkesange“ folglich ein kleines, modernes Folk-Meisterwerk geschaffen.

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Wertung: 9 / 10

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