Interview mit Ivan Adami und Riccardo Toni von Stranger Vision

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STRANGER VISION haben sich erst 2019 gegründet, haben mit „Wasteland“ aber schon ihr zweites Album parat. Außerdem konnten die Italiener den „Imagination Song Contest“ von Blind Guardian gewinnen. Mit Sänger Ivan Adami und Gitarrist/Keyboarder Riccardo Toni sprechen wir über den Kontakt zu Blind Guardian, den eigenständigen Stil und das „Wasteland“-Konzept.

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Hallo und danke, dass ihr euch Zeit für das Interview nehmt. Wie geht es euch dieser Tage?
Riccardo: Im Moment läuft es super! Letzten Freitag kam unsere Single „Wasteland“ mit Hansi Kürsch heraus, wir sind glücklich über diese Zusammenarbeit und den ersten öffentlichen Empfang des Videos. Und generell wurden alle neuen Singles sehr gut aufgenommen, darüber freuen wir uns sehr.

Euer Debütalbum „Poetica“ kam erst vor eineinhalb Jahren heraus. Wie kam es dazu, dass ihr jetzt schon euer zweites Album fertig habt?
Ivan: Während des ersten Lockdowns wegen Covid mussten wir die „Poetica“-Aufnahmen von März nach September 2020 verschieben. Wir wollten keine Zeit verschwenden, also haben wir angefangen, an neuem Material zu arbeiten. Bevor wir für „Poetica“ in die Domination Studios gehen konnten, hatten wir bereits mehrere Tracks fertig komponiert und das Konzept für „Wasteland“ gewählt.

Stranger Vision Wasteland CoverartworkWie habt ihr euch als Musiker und Band seit „Poetica“ weiterentwickelt, was macht ihr auf „Wasteland“ besser?
Riccardo: Ich finde, „Wasteland“ ist in vielen Aspekten ein besseres Album als „Poetica“. Zuallerst mal aus kompositorischer Sicht: Wir hatten von Anfang an eine klare Vorstellung davon, welchen Sound wir erschaffen wollten. Wir haben beim Schreiben der Musik alles eliminiert, was überflüssig sein könnte, um diesen Sound zu erreichen. Zweitens wurde unser Line-up mit nun vier Mitgliedern gefestigt – Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Der ganze kreative Prozess war einfacher und jeder hat sich darauf konzentriert, das Beste aus seinem Instrument herauszuholen. Drittens, da es sich um ein Konzeptalbum handelt, hatten wir eine Richtlinie, die uns beim Schreiben der Musik und der Texte geführt hat. Ich glaube, der gesamte kreative und produktionstechnische Prozess war besser und das wird man auf dem Album hören.

Euer Sound ist sehr melodisch und etwas proggy, vor allem aber voller Leidenschaft. Mir gefällt vor allem der Gitarrensound, der sich von anderen Power-Metal-Bands abhebt. Wir erzeugt ihr euren Sound, welche Ziele setzt ihr euch selbst, um in einem Genre mit einer großen Menge anderer Bands eigenständig zu klingen?
Riccardo: Vielen Dank! Einen eigenständigen Sound zu kreieren, ist heutzutage nicht einfach. Der Sound der Gitarren entstand als Ergebnis der gemeinsamen Überlegungen mit unserem Produzenten der Domination Studios. Ich wollte einen kraftvollen Sound in Richtung Thrash Metal, der gleichzeitig aber gut mit Keyboards und Orchestrierungen kombiniert werden könnte. Es ist schön zu hören, dass wir es geschafft haben – sogar innerhalb des Power Metal – etwas Neues zu erschaffen.

Orchestrierungen sind in eurem Sound immer präsent, auch wenn sie nicht die Hauptrolle spielen. Was macht sie dennoch so wichtig und wertvoll für euren Sound?
Riccardo: Die Keyboards, Synths und Orchesrierungen unterscheiden uns vom klassischen Heavy Metal und tragen uns mehr in Richtung Power-Prog-Metal. Wir haben diese Sounds in unseren Referenzbands Blind Guardian, Angra und Stratovarius immer geliebt. Deswegen wollten wir das auf diese Weise auch bei uns einbauen und damit unseren eigenen Sound erschaffen. Natürlich sind sie nie die Hauptdarsteller in unserer Musik, aber sie helfen uns, Atmosphäre zu erzeugen und ein Gegenstück zum Gitarrensound zu schaffen.

Welche Bands würdet ihr als größte Einflüsse bezeichnen? Orientiert ihr euch beim Songwriting oder neuen Ideen an bestimmten Vorbildern?
Ivan: Der Ursprung unserer Musik ist inspiriert durch Power-Metal-Bands wie Helloween, Blind Guardian, Symphony X und Savatage. Dem versuchen wir, mit kraftovollen Riffs einen zusätzlichen Boost zu verleihen, basierend auf Thrash-Metal-Bands wie Metallica, Megadeth, Pantera und Testament.

Stranger Vision Poetica CoverartworkNeben dem „Wasteland“-Konzept deutet auch der Albumtitel von „Poetica“ darauf hin, dass ihr generell an Poesie interessiert seid. Ist das so und woher kommt was? Was fasziniert euch an poetischen Werken?
Ivan: Wir sind sehr an den Geisteswissenschaften interessiert, insbesondere an Literatur, Poesie und Philosophie. Wir versuchen, unsere Songs mit anspruchsvollen Texten anzureichern, die frei interpretierbar sind. Wir denken, dass der universelle Wert der Themen, die wir behandeln, die Hörer begeistern wird.

Das Konzept des Albums basiert auf Thomas Stearns Elliots Gedicht „Das wüste Land“ („The Waste Land“). Was begeistert euch daran und warum habt ihr es als Konzept gewählt?
Riccardo: Das Buch „Das wüste Land“ habe ich schon immer geliebt, sowohl aufgrund der Themen, die es behandelt wie auch wegen der schreiberischen Brillanz. Es ist ein Gedicht voller Bilder, Visionen, Voerhersagen und Referenzen auf andere Gedichte … es hat eine große, ganz eigene Pracht. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, auf diesem Buch aufzubauen. Wir wollten die poetische Ausrichtung des ersten Albums fortsetzen; nicht mit vereinzelten Gedichten, sondern mit einem roten Faden, der uns beim Schreibprozess führt. Außerdem war dieses Jahr auch der hundertste Jahrestag der Erstveröffentlichung. Deswegen haben wir uns entschieden, dass es die richtige Wahl war.

Grundlegende Themen von “ Das wüste Land“ sind Desillusionierung und Einsamkeit in einer modernen Welt. Inwiefern macht dies das Gedicht für die heutige Welt relevant und modern?
Riccardo: Du hast es auf den Punkt gebracht. Obwohl „Das wüste Land“ schon 100 Jahre alt ist, denke ich, dass es auch heute noch viel zu sagen hat. Die Situation hat sich überhaupt nicht verändert, denn Eliot spricht im Wesentlichen über den modernen Menschen. Sicherlich sind Desillusionierung und Einsamkeit Themen, die er behandelt, zusammen mit der Unfähigkeit zu kommunizieren, der Unfähigkeit, tiefe Beziehungen aufzubauen … alles Dinge, die wir auch in unserer Zeit erleben. Und nur mit einer inneren Suche wie der des Lesers von „Das wüste Land“ kann man sich damit auseinandersetzen.

Könnt ihr die Geschichte, die ihr auf dem Album erzählt, zusammenfassen? Mit welchen Kernthemen beschäftigt ihr euch und welche Charaktere verkörpern Kürsch und Englund?
Ivan: Die Szene beginnt mit einem verlassenen, ertragslosen, verwüsteten, verdorbenen Land. Dieses Land ist ein Sinnbild für die Winterzeit, in der sich der Kreislauf des Lebens schließt und unterbrochen wird, um eine Wiedergeburt, ein erneutes Aufblühen zu verhindern. Die moderne Gesellschaft wird als eine Hölle der Entfremdung und der Sünde beschrieben. Der Mensch ist nichts weiter als ein Haufen Knochen, der sich vor dem Tod fürchtet, es sei denn, es findet eine persönliche Suche nach einem Sinn und einer Botschaft statt, die zur Wiedergeburt führt. „Wasteland“ ist der Opener, in dem Hansi Kürsch Tiresias verkörpert, der den Hörer, vertreten durch unsere Schauspielerin, in den verschiedenen Kapiteln des Konzeptalbums und in den verschiedenen Emotionen des Menschen begleitet, ein bisschen wie Virgil in Dantes Hölle. Tom S. Englund singt im Song des 4. Kapitels, „The Deep“, in dem es um den Tod durch Wasser geht. Wasser wird nicht als Instrument der Reinigung, sondern als Strafe gesehen. Tom spielt in diesem Lied Phlebas den Phönizier, das Symbol des antiken Seefahrers Odysseus und aller Seefahrer, die in der Tiefe starben.

Stranger Vision Bandfoto

Mit eurer „Bright Eyes“-Version habt ihr den „Imagionations Song Contest“ von Blind Guardian gewonnen. Wie war diese Erfahrung für euch, mit welchem Ziel habt ihr teilgenommen und was hat sich durch den Sieg für euch verändert?
Ivan: Wir haben erst eine Woche vor der Deadline von dem Contest erfahren. Wir waren gerade erst mit den Aufnahmen zu „Poetica“ fertig und haben uns dazu entschlossen, die Herausforderung anzunehmen und den Track in ein paar Tagen zu arrangieren und aufzunehmen. Wir sind große Blind-Guardian-Fans und wollten die Natur von „Bright Eyes“ nicht verändern, wir wollten mit moderneren Sounds unsere eigene Version davon machen. Das Ergebnis war für uns phänomenal. Wir haben die ganze Auswahl mit großer Spannung und dann schließlich mit befreiender Begeisterung für den Sieg erlebt, den wir nicht erwartet hatten. Die Guardians waren uns gegenüber wirklich wohlwollend, wir haben fast zwei Stunden lang telefoniert und miteinander gesprochen. Ein Jahr später haben sie uns backstage zu einem großartigen Konzert in Italien eingeladen, zum Rock The Castle 2022. Hansi, André, Marks und Frederik haben uns ein großartiges Geschenk gemacht.

Neben Hansi Kürsch ist auch Evergrey-Sänger Tom S. Englund auf dem Album dabei. Wie kamen die Gastbeiträge zustande und wie war es, mit den beiden zu arbeiten?
Ivan: Während des Telefonats mit Blind Guardian nach dem Gewinn des „Imagination Song Contest“ haben wir Hansi gefragt, ob er mit uns zusammenarbeiten würde. Er hat uns nach einer genauen Beschreibung unseres Konzeptalbums gefragt. Er kannte und liebte das Gedicht und deshalb war er mit Begeisterung dabei. Hansi ist nicht nur ein großartiger Sänger und Frontmann, sondern auch ein guter Mensch. Tom haben wir über einen gemeinsamen Freund kontaktiert. Er war zu der Zeit sehr beschäftigt, hat aber versucht, sich Zeit für unser Projekt zu nehmen. Er hat an „The Deep“ gearbeitet und einige Veränderungen für den Refrain vorgeschlagen, die uns sofort gefallen haben. Beide haben uns geholfen, unsere Story mit ihren Stimmfarben zu bereicheren.

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Abgesehen von „Bright Eyes“ habt ihr mit anderen Coversongs angefangen. Was gefällt euch am Covern und wollt ihr das in Zukunft wieder machen?
Ivan: Anfangs haben wir gar nicht geplant, Coversongs aufzunehmen. Wir haben es dann gemacht, weil wir während des ersten Covid-19-Lockdowns komplett eingesperrt waren. Wir haben dieses Projekt auf der Grundlage von Gurdjieffs Theorie begonnen. Wir haben drei Songs ausgewählt, um die Verbindungen zwischen Seele, Musik und Universum zu erklären: “Mad World” von Tears for Fears, „Moonshield“ von In Flames und „Space Oddity“ von David Bowie. Wir mögen Coversongs und wollen nicht ausschließen, in Zukunft wieder etwas zu covern, wenn es gute Ideen gibt, wir ziehen es aber vor, unsere eigene Musik zu schreiben.

Kommen wir zum Abschluss zu unserem traditionellen Brainstorming. Was fällt dir zu folgenden Begriffen zuerst ein…
Aktuelles Lieblingsalbum:

Riccardo: “IV” Led Zeppelin als älteres Album … für 2022 würde ich “Survive” von  Stratovarius nennen.
Ivan: Blind Guardian – Imaginations From The Other Side.

Bestes Buch-/Film-/Serien-Universum:
Riccardo: “Der Herr der Ringe” / “Dark” / “The Waste Land”.
Ivan: “The Dark Knight” / “The Boys” / “Moby Dick”.

Etwas, das einen schlechten Tag besser macht:
Riccardo: Musik und Familie.
Ivan: Bier trinken.

STRANGER VISION in zehn Jahren:
Riccardo: Wir hoffen, dass wir auf einem der großen Sommerfestivals spielen können, von denen alle reden, und dass wir Pride & Joy zu einem Major-Label machen.
Ivan: Mehr Studioalben, mehr Liveshows, mehr Erfahrung und hoffentlich mehr Fans.

Danke nochmal für eure Zeit! Die letzten Worte gehören euch.
Ivan: Danke dir für diese tolle Möglichkeit. Danke an alle, die „Wasteland“ kaufen werden, zu unseren Shows kommen und unsere Arbeit unterstützen. Wir sind euch sehr dankbar. Folgt STRANGER VISION, wir haben noch so viel mehr zu sagen.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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