Festivalbericht: Festival-Mediaval XIII – Tag 1

09.09.2022 - 11.09.2022 Selb, Goldberg

Aller guten Dinge sind drei: Nach zwei pandemiegeplagten Jahren und verschiedenen Benefizveranstaltungen darf das FESTIVAL-MEDIAVAL in Selb 2022 wieder wie gewohnt stattfinden. Wie bei vielen etablierten Szenefestivals ist die Vorfreude besonders unter den langjährigen Besuchern groß – und sie werden nicht enttäuscht.

Foto @ konzertreport.de

Den ersten Festivaltag eröffnet wie gewohnt Veranstalter Bläcky zusammen mit dem Selber Bürgermeister. Bläcky hebt besonders die neuen Umweltinitiativen des Festivals hervor: So gibt es nun eine spezielle Abstellfläche für Fahrräder und das Holz des ehemaligen VIP-Zelts wurde für Bodenplatten in den neuen Backstagezelten verwendet. Insgesamt sehr lobenswert und passend. Anschließend geben die Helfer und Organisatoren des Mediavals zusammen mit einigen Musikern an Gitarre, Harfe und Flöte ihre selbstgetextete Hymne „Wir sind das Mediaval“ zum Besten. Die Performance lebt vom Teamgeist und Spirit, weniger von der gesanglichen und musikalischen Darbietung. Im bunten Treiben kommt es zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen gefühlt allen Beteiligten, doch davon lassen sich diese nicht beirren und bringen den Song anders als geplant ins Ziel. Der Auftakt gerät etwas sinnbildlich für das gesamte Festival, welches sich über viele Jahre hinweg auch immer wieder von Rückschlägen erholen musste und bis heute existiert.

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Musikalisch eröffnen die Ungarn FIRKIN das Mediaval 2022. Nach „The Islander“ dominieren bei den östlichsten Iren der Welt zunächst ihre Eigenkompositionen, ehe im Mittelteil das Publikum zu „We Will Rock You“ animiniert wird und am Ende auch „Whiskey In The Jar“ nicht fehlt. Immer wieder getragen von verschiedenen Instrumenten wie Flöte oder Geige legen FIRKIN eine dynamische Show hin, die trotz widrigen Wetters für ordentlich Stimmung sorgt. Neu-Sänger Andor Kovács-Nemes ist zum ersten Mal in Selb und beweist mehrfach, dass er stimmlich einzelne Parts tragen kann und wunderbar zum ungarischen Folk-Punk passt. Einzig die Scooter-Allüren mit „Döp döp döp“ am Schluss wirken etwas deplatziert und vor allem unnötig, da FIRKIN mit ihrem eigenen Stil zu überzeugen wissen.

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Mit HARPYIE wird es deutlich metallischer und härter am Goldberg. Die Combo rund um Frontstimme Aello hat sich im Laufe der letzten Jahre in der Folk-Szene etabliert und tritt jetzt zum ersten Mal beim Festival-Mediaval auf, passend zur rockig-metallischen Motto. Mit Songs wie „Blutadler“, „Fauler Zauber“ und „Freakshow“ erhält das Publikum einen repräsentativen Eindruck der Ostwestfalen, die sogar einen kurzen Applaus für einen Bielefeld-Gag abstauben. „Seemann Ahoi“ und „Schneeblind“ zählen zu den stärksten Stücken des Sets, während „Berzerker“ allein durch den arg simpel gestrickten Refrain mit „Ber-ber-Berzerker“ abfällt. Mittendrin streuen HARPYIE noch eine Cover-Version von Luna Lunas „Wenn ich tot bin“ ihres letzten Albums „Minnewar“ ein und am Ende folgt mit „Blue“ von Eiffel 65 ein witziger Rausschmeißer. Wer mit dem hektischen Bühnentreiben und einigen Elementen vom Band wie Geige oder Klavier leben kann, der findet bei HARPYIE eine gelungene Alternative zu Szenegrößen mit ähnlicher Ausrichtung, die weniger später ebenfalls aufspielen. Im Vergleich zu den Anfängen hat sich besonders Sänger Aello massiv weiterentwickelt.

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Ein erstes Highlight des Festivals ist schließlich die Jam-Session von LUCY VAN ORG und TOMMY KRAPPWEIS. Beide sind schon lange kein Geheimtipp mehr und so kann sich das Literaturzelt über viele Besucher freuen. Diesmal haben sie sich für die improvisierte Session den Schlagzeuger Rob van Barschot mit ins Boot geholt, den man unter anderem noch als Percussionist von OMNIA kennt. Die drei starten launig mit Songs wie „I Owe My Soul To The Company Store“, das Tommy um eine bairische Strophe ergänzt, sowie „Stop Children What’s That Sound“, mit dem das Trio sich bei den Fridays For Future Kids für deren Aktivismus bedankt. Erfolgreich warmgelaufen hört man das aufmerksame Publikum ganz ohne Animation mitsingen bei Hits wie „Amadeus“ und „Ring of Fire“, bei dem es einen Sonderapplaus für Tommys gekonntes Mundtrompetensolo gibt. Tommy und Lucy harmonieren fantastisch zusammen, nicht nur mit ihren Stimmfarben und ihrer Art, dem anderen im Song Raum zu geben, sondern auch in ihrem Humor. Nach einigen weiteren bekannten Hits aus verschiedenen Jahrzehnten und Genres stößt schließlich noch Tini von PurPur hinzu, die für die letzten Lieder mit ihrer hellen Stimmfarbe noch eine neue Facette hinzufügt. Zusammen singen die Musiker noch „Stand By Me“ und „Runaround Sue“, bevor sie mit dem Anti-Kriegs-Song „Sag mir wo die Blumen sind“ nicht nur für Gänsehaut, sondern auch für die eine oder andere vergossene Träne sorgen. Die Session im Literaturzelt ist dieses Jahr somit sogar noch besser gelaufen als beim ersten Mal und hätte sich längst für die großen Bühnen qualifiziert – wenn sie nicht so perfekt in die intime Atmosphäre unter dem Zeltdach passen würde.

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Die TANZWUT kehrt zurück – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit dem letzten Longplayer und der besten Chartplatzierung der Bandgeschichte im Rücken ist Teufel mit seinen Männern erneut die Reise von Berlin nach Nordbayern angetreten. Wer einen etwas genaueren Blick auf eben jene Männer wirft, stellt fest, dass nicht alle festen Bandmitglieder am Start sind – so fehlt unter anderem Der Zwilling an der Gitarre. Groß ins Gewicht fällt dies nicht, denn TANZWUT präsentieren sich wie ein gut geölte Maschine, die derzeit mit einem ausbalancierten Set aus Folk, Rock, Elektro und Dudelsack unterwegs ist. Neueres Material wie „Bis zum Meer“ oder das polka-artige „Die Geister, die wir riefen“ setzen im Klangbild auch live neue Akzente, während „Galgenvögel“, „Schreib es mit Blut“ und „Reiter ohne Kopf“ in bekannten Gefilden wildern. Pluspunkte sammeln TANZWUT für ihre Kostüme und den charmanten Hinweis auf ihr Puppentheater, welches am Samstag und Sonntag beim Festival zu sehen ist. „Der Puppenspieler“ bot sich dafür zwar an, doch mit einer wenig gelungenen Ansage über schlechte Selfies zeigt Teufel, dass er am Mikro nicht immer den richtigen Ton trifft. Gesanglich schlägt sich der Zweihörnige tapfer, wenngleich man ihm das zunehmende Alter anhört und er es wie im starken „Francois Villon“ nicht immer verheimlichen kann. Neben viel Neuem von „Die Tanzwut kehrt zurück“ dürfen einige Klassiker wie die Merseburger Zaubersprüche in ihrer elektronischsten Version nicht fehlen und unter dem Strich beweisen TANZWUT, dass sie in jetziger Form mit Newcomern wie HARPYIE immer noch mithalten und auch nebeneinander bestehen können.

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Immer noch mithalten können auch ASP als Headliner – überraschend gut sogar. Zwar war die Enttäuschung in der Festivalgemeinde groß, als Wardruna für 2022 nicht mehr gebucht werden konnten, doch die Frankfurter haben sich für ihre Abschlussshow auf der Mainstage einiges einfallen lassen und kompensieren aus eigener Kraft so gut es geht den Wechsel beim Headliner. Das Kollektiv ist inzwischen gut aufeinander eingegroovt, auch mit Neu-Bassist Tobias, der 2021 zur Band gestoßen ist. Die Darbietung bei ASP wirkt unglaublich aufgeräumt, mit sattem Sound und klar verteilten Rollen innerhalb der Live-Besetzung – als besonderen Gast begrüßen die Gothic-Rocker Shir-Ran Yinon an der Geige, die unter anderem „Duett (das Minnelied der Incubi)“ und „Werben“ veredelt. Stilistisch unterscheidet sie sich dabei hörbar von Ally Storch, die auch schon häufiger mit ASP auf der Bühne stand. Das zusätzliche Element tut der Band gut und ASP beschränken sich auch nicht auf die Geige als weiteres Instrument, sondern gehen darüber hinaus. „Ich, der Teufel und du“ feiert in Selb ein Live-Debüt, „Sing Child“ erhält einen imposanten neuen Live-Anstrich und ASP zeigt sich – sichtlich erschlankt – energiegeladen bei guter Stimme. Zudem ist er bestens gelaunt: Als ihm ein Bühnentechniker bei einem technischen Problem schnell zur Hilfe eilt, bedankt sich der Frontmann ausführlich. Im Set finden sich mit „Letzte Zuflucht“, „Angstkathedrale“, „Seerosenblüten von einst“, „Wechselbalg“ und „Raise Some Hell Now“ verschiedenste Teile aus den mitunter arg komplexen Zyklen der Kapelle. Live überzeugen besonders die Musiker, das daraus resultierende Klangbild und das Zusammenspiel der Kompositionen, wenngleich nicht jeder Song allein für sich stehend. Der größte Bonus entsteht dadurch, dass sich ASP für ihren Slot eine wirklich besondere Show ausgedacht haben und nicht nur ihr Set vom Mera Luna kopiert haben. Damit entsprechen die dem Geist des MEDIAVAL auf eine ganz besondere Art und Weise.

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Am ersten Tag liefern alle Bands ab, für manche vielleicht sogar über den Erwartungen. Während HARPYIE und TANZWUT grob in den gleichen Fahrwässern fischen, setzen FIRKIN und ASP viele eigene Akzente. Für alle, die es trotz Fokus auf Rock und Metal gerne etwas ruhiger haben, bietet das Literaturzelt auch fernab der Lesungen beste (musikalische) Unterhaltung. Gleiches gilt für die weiteren Bühnen mit Gauklern, Tänzern und anderen Kleinkünstlern, die allesamt gleichermaßen wertvoll für den Goldberg-Mediaval-Flair sind.

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