Konzertbericht: Hämatom w/ Mundtot

16.04.2016 München, Technikum

10428597_955263584553577_7359033460795092502_nVier Himmelsrichtungen, vier Konzerte. Erst Bremen, dann Berlin und Bochum – zu guter Letzt schließlich München. Anlässlich der „Release Tour 2016“ checkten HÄMATOM bundesweit (und bei einem Abstecher in die Schweiz), ob ihr neues Album „Wir sind Gott“ dem vollmundigen Titel gerecht wird. Am Ende ist es die Symbiose aus den Musikern und ihren Anhängern, die das Gastspiel im Technikum zu einer göttlichen Abrissparty der Extraklasse eskalieren lässt.

Mundtot by Peter-Seidel-Metalspotter-09

Im Vorprogramm spielen die Lokalmatadoren MUNDTOT auf. Das Quartett tauchte in den letzten Jahren in regelmäßigen Abständen vor großen Namen wie ASP oder Staubkind auf. Richtig überzeugen konnten sie dabei kaum. Insofern überraschen die vier Süddeutschen bei ihrem Auftritt an diesem Abend zumindest durch wuchtigen, ausdifferenzierten Sound, der über die etwas dürftigen Texte hinwegsehen lässt. Einflüsse von Nine Inch Nails, Killing Joke oder auch Placebo sind offenkundig, für den großen Wurf reicht es bei den meisten Stücken jedoch (noch?) nicht. Einzig der Abschluss „Einsamkeit und Zweifel“ bleibt hängen. Besonders positiv sticht abseits der Songs hervor, dass MUNDTOT ihren Platz als Support erfüllen und die Menge immer wieder für Hämatom anheizen.

Haematom by Peter-Seidel-Metalspotter-01

Das wäre aber gar nicht notwendig gewesen: Eingeleitet von Schattenspielen aller vier Bandmitglieder vor einer weißen Leinwand ertönen die ersten Takte des Openers „Wir sind Gott“ und das Technikum explodiert förmlich. Alles, was die Seelenpiraten brauchen, scheint HÄMATOM zu sein. Epochal, laut, schnell – und intelligent, wie bereits zu Beginn „All U Need Is Love“ (mit kleiner Pyro beim Wort „Sprengstoff“) oder „Made in Germany“ wenig später verdeutlichen. Erwartungsgemäß prägt die neue Langrille den Abend, erwartungsgemäß funktioniert besonders das neueste Material live wie ein mittelschweres Erdbeben und stellt sogar ehemalige Vorzeigenummern wie „Schutt und Asche“ in den Schatten. Ein HÄMATOM-Konzert ohne das EAV-Cover „Neandertal“? Früher undenkbar, heute problemlos durchführbar. Zu „Säulen des Wahnsinns“ schwenkt Sänger Nord eine große Fahne, ehe er zum ersten Mal den Mittelfinger erhebt und sich mit seinem Gefolge solidarisiert: Fick das System! Nicht nur Gott wollen die vier Himmelsrichtungen sein – nein, aus aktuellem Anlass auch Böhmermann. Der Frontmann glänzt besonders durch den Mix aus stimmlicher Brillanz und allgegenwärtiger Präsenz, die bis in die hinteren Reihen wirkt. Förderlich dafür sind auch die vier LEDs wie in „Ahoi“ oder ein Thron, auf dem Nord zum akustischen „Zu wahr um schön zu sein“ Platz nimmt.

Haematom by Peter-Seidel-Metalspotter-13

Erst nach acht Nackenbrechern schlagen die Süddeutschen etwas ruhigere Töne an und gehen damit etwas vom Gaspedal, nur um wenig später mit „Mach kaputt“ wieder in die entgegensetzte Richtung zu marschieren. Das rockige „Ikarus Erben“ leitet zum zweiten Akustikeinschub ein – „Totgesagt doch neugeboren, Teil 3“. Anfangs eine willkommene Atempause für Süd, der ansonsten von seiner Schießbude aus sehr präsent im Sound des Technikums agiert. Anschließend verlegen HÄMATOM die Aufmerksamkeit zunehmend in Richtung Publikum, indem Nord vor „Offline“ seine Handkamera in Betrieb nimmt und die Menge mit ihren Wischfernsehern zu leuchten beginnt. Vor dem zwischenzeitlichen Abschied dreht das Quartett nochmals ordentlich auf: Mit Marterias „Kids“ ergänzen die vier Musiker ihr eigenes Material um eine ihrer stärksten Coverversionen der jüngeren Vergangenheit, ehe sie mit „Eva“ tief in die bandeigene Hitkiste greifen und bei „Halli Galli“ schließlich Konfetti, Mundtot, Alkohol und die bereits erwähnte Kamera ein fulminantes Ende und eine echte Drecksauparty bescheren.
Natürlich endet der Abend nicht, ohne dass HÄMATOM „Alte Liebe rostet nicht“ kredenzen und gemeinsam mit vermutlich allen Anwesenden noch einmal zu „Leck mich“ ihre jeweiligen Lieblingsarschlöcher passend bedenken.

Haematom by Peter-Seidel-Metalspotter-22

Mögen manche der Songtitel primitiv-eindimensional wirken und auch Teile des Publikums noch ein paar Vorurteile gegenüber NDH belegen, so leisten HÄMATOM als vierköpfiges Geschwader alles, um auch diejenigen zu erreichen, denen stumpfsinniges Schlagzeuggeballer mit Gesang und dröge Texte über Stolz, Ehre und Freundschaft nicht genug sind. In der jetzigen Verfassung steht der agile Vierer über vielem, wenn nicht sogar über allem, was diese Musikrichtung alternativ zu bieten hat.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Peter Seidel / http://www.metalspotter.de

 

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