Konzertbericht: Heidenfest Tour (Finntroll, Primordial & Support)

06.11.2008 Hamburg

Wie gut, dass hier oben am Elbstrome das Christentum bedeutend später und nie so fest Fuß fassen konnte wie im katholischen Bayern! Wie Kollege Grütz schon eingehend berichtete, gestaltete sich der dortige Tourstop des 2008er HEIDENFESTES sehr problematisch, uns Nordlichtern blieben solche terminlichen Differenzen allen Göttern sei dank erspart. Jedoch ist 18 Uhr für einen Donnerstag ein recht früher Beginn, klar, man muss sechs Bands über die Bühne bringen, doch so gelangten wir erst mit leichter Verspätung in die Markthalle.

Die war wie erwartet schon zum Bersten gefüllt, und dennoch schien man noch einige Tickets an der Abendkasse loszuwerden. 30 € für sechs Gruppen waren offenbar vielen, natürlich auch jüngeren Hamburgern nicht zu viel, und doch war ich zunächst überrascht, dass der Altersdurchschnitt wohl doch bei etwa 20 und nicht bei 15 Jahren zu liegen schien, wie ich zunächst erwartet hatte. Aber allein die schiere Menge an Menschen und Nebensächlichkeiten wie ein Tourshirt mit Hörnerhelm (!) war für mich ein deutliches Zeichen, dass es höchste Zeit ist, dass sich die Pagan Metal Szene gesundschrumpft.

Zur Musik: Bei unserem Eintreffen begrüßte uns gleich ein Freund mit der Hiobsbotschaft, dass es schon MÅNEGARM seien, die die Eröffnung übernommen hatten. Er rief mir noch hinterher, dass diese eh mies sein und ich’s gleich lassen könnte, aber da ich das nicht wahr haben wollte, rannte ich noch in den Saal. Immerhin „Hemfärd“ konnte ich noch lauschen, und nun, anhand eines einzelnen Songs mag ich kein Konzert beurteilen, aber allein die Tatsache, dass nicht mehr vom Trommlersessel aus gesungen wird, nahm den Schweden einigen Reiz. Das, was ich noch sah, war aber keineswegs schlecht. Vor allem natürlich der Geigenbeserker Liljeqvist war wieder eine Augenweide, und der Sound war für Markthallen-Verhältnisse solide. Einen echten Treffer konnten die Mondwölfe leider aber nicht mehr erzielen.

Gut, Zeit für ein Bierchen, denn CATAMENIA waren mir von vor eineinhalb Jahren noch in so schlechter Erinnerung, dass ich gut und gerne auf die Truppe verzichten konnte. Schließlich gab es auch an diesem Abend an die zwanzig Hände zu schütteln, die Zahl der bekannten Gesichter wird von Konzert zu Konzert nicht kleiner. Ein Gesicht jedoch hätte ich hier kaum erwartet: Alestorm-Sänger Christopher Bowes stratzte im Hawaii-Hemd durch die Halle! Als die Liebste mich darauf aufmerksam machte, wollte ich gleich ihr Fieber fühlen, doch tatsächlich, der Schotte hatte sich hierher verirrt. Seine Band ist gerade zu Aufnahmen in Lübeck, weswegen der Abstecher durchaus verständlich war.

Der Blick ging aber wieder auf die Bühne, wo sich EQUILIBRIUM bereit machten. Erstaunlich, dass eine Gruppe mit gerade einmal zwei Alben erst an dieser Stelle auf die Bretter geschickt wurde, aber das war bei Weitem nicht das einzig Erstaunliche an diesem Auftritt.
Im Grunde lief alles nach Erwartung: Proppevoll war es, und hier war der Altersschnitt gefühlt am niedrigsten. Mit dem „Prolog auf Erden“ wurde der Reigen eingeleitet, und der Opener vom neuen Album sollte folgen. Haare flogen, Hände wurden gereckt, gegröhlt und natürlich auch gehüpft in den vorderen Reihen. Die Sicht war schlecht, und so offenbarte erst Helges Ansage die Unfassbarkeit: „Wir sind vier Leute von Equilibrium.“ Der Drummer lag im Krankenhaus, doch einen Ersatzdrummer gab es nicht, so dass nur eine Bayernfahne über dem Schlagzeug hing. Die kompletten Drumspuren liefen diesen Abend vom Band! Von den massiven Keyboardpassagen kennt man dies bei der Band ja bereits, da die Gruppe kein Glück mit der Besetzung zu haben scheint, aber dass nun ein komplettes Drittel des Klangs aus der Konserve kam, war ein glatter Schlag ins Gesicht jeder ehrlichen Band und jedes Freundes handgemachter Musik. Wer diesen Skandal zu verantworten hat, ob EQUILIBRIUM dies selbst entschied oder durch Verträge zu einer solchen Maßnahme gezwungen wurde, war bisher nicht ersichtlich, die Nachfrage danach läuft noch. Recherchen ergaben, dass jedenfalls schon seit dem 3.11. in Graz ohne Schlagzeuger gespielt wurde und das bis einschließlich den 11.11. in Nürnberg so weiterlief, es kann sich also nicht um eine spontane Entscheidung gehandelt haben. Aufrechte Musiker sollten meiner Meinung nach jedoch unter solchen Bedingungen nicht spielen, bei einem Krankheitsfall müsste das auch jeder entschuldigen können.
Mit diesem äußert widerlichen Beigeschmack kann von Konzertgenuss nur noch sehr eingeschränkt die Rede sein. Offenbar störte das jedoch nur einen kleinen Teil des Publikums, denn der Rest feierte gewaltig. Der Rest der Band machte seine Sache auch nicht unbedingt schlecht, doch wer sagt mir denn, dass nicht das Ganze eine Mini-Playback-Show war? Unter diesen Umständen will ich EQUILIBRIUM jedenfalls kein weiteres (fünftes) Mal sehen. Ein echtes Eigentor.

Wo bei der einen Band ein solcher Mangel herrscht, kann bei ELUVEITIE jedoch keine Rede von zu geringer Besetzung sein. Acht Schweizer drängten sich als nächstes auf die Markthallenbretter, und hier war deutlich, dass wenigstens alles echt ist, was dort aus den Boxen scholl. Und das war nicht nur echt, sondern auch einfach rundum erfreulich. Wenn ich in diesem Jahr überhaupt einen Auftritt nennen soll, an dem es von vorne bis hinten nichts zu meckern gibt, dann war es der der Helvetier! Mit einem deutlichen Schwerpunkt auf das aktuelle „Slania“-Album feierten die Neo-Gallier ein rund dreiviertelstündiges Set, und super aufgelegt waren die Herren und Damen darüber hinaus auch. Sänger Chrigel kam mit seinem leichten Akzent sehr sympathisch daher, als er zum Beispiel zu einer kleinen altsprachlichen Unterrichtseinheit einlud, und vor allem die beiden synchron-bangenden Mädels waren eine Freude für die Augen. Allerorten war Bewegung: Trotz des geringen Raumes für acht Leute waren die Instrumentalisten mal hier, mal da, und auch dem Publikum gefiel’s. Krönender Abschluss dieses Auftritts war mein persönlicher Lieblingssong „Inis Mona“, der live noch einmal mehr unter die Haut ging. Einzig störend war, dass für die zahlreichen exotischen Instrumente der Ton der Markthalle eben nicht optimal ausgelegt ist, ich denke, ELUVEITIE werden mit diesem Problem aber öfter zu kämpfen haben. Jedenfalls war der Stand, um nochmal mit dem Kollegen Moritz zu sprechen, nach zwei ernsthaften Partien: Kelten 2 : 0 Germanen

PRIMORDIAL war nun so eine Sache für mich. Auf Platte war ich nie mit den Iren warm geworden, so oft ich es auch versucht hatte. Und dennoch besabbelten mit an diesem Abend mindestens drei Leute, die allein wegen PRIMORDIAL gekommen waren, ich solle der Band nochmal eine Chance geben und insbesondere auf die charismatische Show von Frontmann Nemtheanga achten. Und obwohl ich eigentlich vor hatte diesen Auftritt heute sausen zu lassen, irgendwas zog mich dann doch in den großen Saal, als bereits der Auftritt im vollen Gange war. Was Moritz in München feststellte, war hier nicht anders: Trotz sonst so übervoller Halle waren hier die Reihen sehr licht, viele hatten sich an den Rand gesetzt oder waren offenbar ins Foyer abgewandert, jedenfalls war es wohl der schlechtest besuchte Auftritt des Abends. Es schien mir, als sei aber das Durchschnittsalter gewaltig angestiegen, böse Zungen mögen behaupten, dass Trendpagankiddies eben nicht mit der anspruchsvollen Musik für Erwachsene klar kommen, und ganz verneinen würde ich das nicht. Vielmehr muss man aber sagen, dass zwischen Hüpf-Sauf-Humppa-Gröhlgruppen eine solche Truppe nun mal einen schwereren Stand hat, unabhängig von irgendwelchen Qualitätsurteilen. Zum Auftritt an sich: Genug Worte über meine Vorbehalte habe ich schon verloren, so will ich nun aber von einer bemerkenswerten Begebenheit berichten. So lässt sich dieser Auftritt zusammenfassen als der (lang erwartete?) Moment, wo mich die Iren endlich packten. Und mit „Packen“ meine ich, dass insbesondere der hochgelobte und hochzulobende Sänger förmlich mit beiden Händen in meine Brust griff und mein Herz kräftig schüttelte. Pathetisch gesprochen, aber die verdammte Wahrheit. Das erste Lied, was ich komplett an diesem Abend von PRIMORDIAL vernahm, war „The Coffin Ships“. Zusammen mit der sehr stimmungsvollen Ansage spielten die Herren von der Insel mit so viel Gefühl, dass man den Eindruck hatte, die Ereignisse von der irischen Hungersnot seien erst gestern gewesen und die gesamte Familie der Bandmitglieder seien von ihr dahingerafft worden. Man kann es nicht oft genug sagen, aber wo mir der Gesangsstil Nemtheangas bei den Aufnahmen nie gefiel, so war es dieses Klagende, tief an die Substanz gehende, was mich zusammen mit der unglaublich eindringlichen Instrumentalisierung gewaltig berührte.Fast nebensächlich zu sagen, dass auch der restliche Auftritt eine Glanzleistung war. Ungeachtet der geschwundenen Besucherzahlen gab die ganze Gruppe ihr Bestes und präsentierte sich stilsicher und konnte restlos sogar einen Skeptiker wie mich überzeugen. Auch die Widmung von „The Song Of The Tomb“ an Bathorys Quorthon fehlte nicht, wie sie offenbar jeden Abend geschieht. Letzten Endes kann sich sicher keiner beklagen, denn viele Nicht-Fans werden dankbar wegen der Atempause gewesen sein und die Fans kamen bei einem tollen Auftritt voll auf ihre Kosten. Zumindest habe ich keine Beschwerden gehört, mich selbst möchte ich hier nicht als Maßstab nehmen.

Nun aber zu der Band, die in München noch den schlechtesten „Supportslot“ hatte, heute aber Headliner war: FINNTROLL. Viereinhalb Jahre ist es in meinem Falle her, dass ich die Jungs live bestaunen könnte, weswegen auch ich mich sehr auf ein Wiedersehen freute. Nicht wenige taten dies mit mir, trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit (23 Uhr) fand sich noch eine beachtliche Menge ein, um auch die sechste Gruppe des Abends zu feiern.Mit „Avgrunden Öppnas“ erscholl ein Intro, was eigentlich ja als Outro auf der „Visor Om Slutet“-Akustik-CD steht, jedoch funktioniert es so noch besser. Kaum waren die ersten Töne von „Nedgång“ erklungen, ging noch einmal ein wahres Heidenfest los. Die Musik der Finn(landschwed)en eignet sich nun einmal hervorragend zum unkontrollierten Abspacken, und so ließen sich die Hamburger auch nicht lumpen noch einmal richtig Gas zu geben. Mit einer guten Mischung als jüngeren und älteren Songs bewiesen die Trolle ein gutes Händchen. So kamen Tanzwütige und Headbanger gleichermaßen auf ihre Kosten, ebenso die Freunde der epischen Nummern und der Mitgröhlgranaten, mit „Trollhammaren“ fehlte auch ein leidenschaftlich geforderter Gassenhauer nicht. Schade war nur, dass die optische Präsenz der Band nicht mehr mit den alten Zeiten mithalten kann: Ein dicker Wilska verkörpert den „Troll“ einfach besser als ein schmächtiger Vreth, der eher aussieht wie Johann Hegg nach einem Jahr Arbeitslager. Doch auch wenn der magere Sänger wenig natürliche Ausstrahlung besitzt, so ist er dennoch ein erfahrener Unterhalter, und mit energischem Propellerbangen ahmte er auch vom Benehmen seinen etwa doppelt so schweren Kollegen von Amon Amarth nach. Neben allem spielerischen Können und vorzüglicher Party bewiesen die Nordlichter auch noch ihren eigenartigsten Humor, als sie sich zum vermeintlichen Ende nach „En Mäktig Här“ verabschiedeten. Jeder wusste, dass dies noch nicht das letzte Stück gewesen sein würde, und so wurden die Zugabenrufe immer lauter. Doch Vreth wollte erst wieder auf die Bühne zurückkehren, wenn das Publikum laut und oft genug „Chicks with dicks“ riefe. Natürlich schlug man ihm die Bitte nicht aus, und so brachte man mit zwei zusätzlichen Songs den Auftritt zu Ende. Die jüngsten Gäste waren zu diesem Zeitpunkt offenbar schon auf dem Weg ins Bettchen, und so ließ es sich zu „Det Iskalla Trollblodet“ noch ganz entspannt schunkeln, bis dann um etwa 0:20 Uhr Sense war. Sechs Bands waren vorbei, und den (Nord-)Germanen gelang immerhin noch der Anschlusstreffer zum 1:3 gegen die überragenden Kelten, die in Unterzahl angetreten waren.

Fazit: Ein mächtig anstrengender Abend mit gewaltigen Tiefen und noch steileren Höhen. Letzten Endes war die Empörung über den EQUILIBRIUM’schen Schlagzeugskandal doch geringer als die Freude über hervorragende Konzerte von ELUVETIE, PRIMORDIAL und FINNTROLL. Allerdings sprechen eine solche Menschenmasse wie an diesem Abend und Dinge wie Hörnerhelme auf Fanartikeln Bände dafür, wie oberflächlich sich Ottonormalpseudoheide wohl mit der Thematik befasst. Es bleibt zu hoffen, dass der Boom allmählich ein Ende findet und nur noch diejenigen dem Pagan Metal die Stange halten, die es ernst damit meinen.

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