Review ASP – Fremd

Der schwarze Schmetterling ist tot, es lebe der schwarze Schmetterling! So könnte die Kurzzusammenfassung des neuen ASP-Werks „Fremd“ lauten. Zwar wurde mit der Veröffentlichung ein neuer Zyklus eingeleitet (passend zur neuen Besetzung), doch wer nun eine musikalische Revolution bei den Frankfurtern erwartet, wird enttäuscht sein. Bereits ein Blick auf das Cover offenbart, dass der Schmetterling in ASPs Welten immer noch eine tragende Rolle spielt und so ist „Fremd“ als Gesamtpaket mehr vertraut als neu.

Dies fängt musikalisch beim sphärischen Intro „A Prayer For Sanctuary“ an und setzt sich textlich sofort beim elektronisch-rockigen „Wechselbalg“ fort: Geschickt baut ASP Brücken zwischen neuem und altem Material. Im konkreten Fall zum „Horror Vacui“-Bonus „So viel tiefer“: Dessen einleitende Worte werden zum Refrain von „Wechselbalg“. Das Motiv des Kindes aus einer anderen, fremden Welt bleibt im Anschluss die maßgebliche Thematik von „Fremd“. Dazu kommt eine gehörige Prise Wehmut wie in „The Mysterious Vanishing Of The Foremar Family“. ASP-Fans werden begierig nach den versteckten Details sowohl in der Musik als auch im 28-seitigen Booklet suchen, für alle anderen ist das neueste Werk der Hessen eine anspruchsvolle Mischung aus rockigen Goth-Hymnen und depressiven Balladen.

„Eisige Wirklichkeit“ schlägt in dieselbe Schiene wie „Wechselbalg“. Getragen von ASPs Stimme rocken Schlagzeug und Gitarren bis zum Refrain, der instrumental ausgefeilter wirkt. Kein Novum, wenn man einen Blick auf die Bandgeschichte wirft. Mit dem bereits angesprochenen „The Mysterious Vanishing Of The Foremar Family“, „Angstkathedrale“ und „Unverwandt“ finden sich hingegen gleich drei Stücke mit knapp bzw. weit über zehn Minuten Länge auf dem Longplayer. Diese trennen sich stilistisch klar von den Rockkompositionen.
Kann man die Geschichte des rätselhaften Verschwindens einer Familie noch als semi-autobiografisch im Hinblick auf den Ausstieg von Gründungsmitglied Mathias Ambré deuten, bieten besonders die 17 Minuten der „Angstkathedrale“ Raum und Möglichkeiten für seitenlange Interpretationsversuche und Deutungsansätze. Wer sich mit der in diesen Fällen notwendigen Hingabe den Kompositionen widmet, kann in einzelnen Momenten auf manche Perle stoßen. Echte Highlights in der ASP-Vita stellt allerdings keines der drei Stücke dar. Der nachdenklich-düstere Aspekt gerät oft zu depressiv und die Ausgestaltung zu wenig fesselnd als dass man über die volle Länge aller Stücke gespannt lauschen möchte, besonders als Laie. Einzelne Keyboardakzente wie z.B. bei „Angstkathedrale“ sind im von Schwermut geprägtem Gesamtkontext zu wenig. Selbst für Anhänger von Opeth und Konsorten sind diese Songs eher ungeeignet, da ASP mehr Wert auf seine Erzählerqualitäten legt und seine Fantasiegeschichten als entscheidende Basis für die teils minimalistische musikalische Ausgestaltung verwendet.

Auch auf dem Rocksektor offenbaren ASP im neuen Zyklus kleinere Durchhänger. Ist die textliche Botschaft von „Rücken an Rücken“ einfach nachvollziehbar, geraten Komposition und Instrumenteneinsatz ebenso simpel, wenngleich zu wenig fesselnd für eine tragende Goth-Rock-Hymne im gemäßigten Tempo. „Schön, schön, schön“ treibt deutlich mehr, hinterlässt allerdings lyrische Fragezeichen wie z.B. „Du bist das G, Punkt! Und ich bin Sp, Komma A.“. Die Melodie und der Refrain bleiben aber trotzdem (oder gerade deswegen?) hängen. Doch wie bei den epischen Liedern auch, erreicht keine Rockkomposition z.B. ein „Werben“ vergangener Tage. An alte Zeiten und deren Hochphasen erinnert am ehesten noch „FremdkörPerson, erstens“.

Das große Plus der insgesamt neun Songs ist gleichzeitig auch das größte Minus. ASP decken mit „Fremd“ eine große emotionale Bandbreite ab, gleichzeitig ist der düstere Anteil mit oftmals depressiven Klängen merklich gewachsen und nimmt besonders auf die Gesamtlänge gesehen einen erheblichen Anteil an. Doch egal, ob rockend oder reflektierend, die Texte von ASP sind nach der längeren Pause meist ähnlich gehaltvoll wie früher, wenngleich mit weniger offenkundigen Botschaften versehen. Nur einem deutlichen Statement im Speziellen möchte man sich anschließen: „Oh bitte, gibt mir doch das alte Feuer!“. Oder auch: Lass uns wieder mehr brennen und weniger Leid teilen.

Wertung: 7 / 10

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