Review Coppelius – Extrablatt

Auf „lustige“ Wortspiele und Allegorien sei an dieser Stelle ausnahmsweise verzichtet: Wer mit COPPELIUS und deren illustrer Mischung aus klassischen Instrumenten in neumodischem Gewand noch nicht vertraut ist, dem wird auch das groß ausgerufene „Extrablatt“ nicht zusagen, bietet es doch im Vergleich zum Vorgänger „Zinnober“ wenig Neues . Stattdessen verbreiten die Berliner auf ihrem vierten Studioalbum für Kenner wieder einmal neue Nachrichten in hoher Qualität. Der Anspruch besteht dabei weiterhin im Zu- und Hinhören.

COPPELIUS schwanken auf ihrem neuesten Werk erneut zwischen genialem Wahnsinn und wahnsinniger Genialität: Einerseits überzeugen massentaugliche Kompositionen wie „Reichtum“, welches stilistisch dem früheren „Operation“ ähnelt, und das hervorragend gesungene und gleichzeitig minimalistisch gehaltene Subway to Sally-Cover „Maria“ als legitimer Nachfolger für den vorherigen Albenschluss „Ade Mein Lieb“.
Im krassen Gegensatz dazu stehen hektische Stücke mit exzessivem Streicher- und Klarinetteneinsatz wie „Bitten Danken Petitieren“ und das obligatorische Iron Maiden-Cover „Running Free“, die ohne den Live-Effekt für viele zu anstrengend geraten dürften. Doch egal ob massentauglich kompatibel oder COPPELIUS-speziell: Hinter allen Stücken steckt bei genauerer Betrachtung eine Idee. Das beginnt bereits beim Spieldosen-Intro zum gleichnamigen Opener oder dem immer schneller und hektischer werdenden Refrain des sonst eher ruhigen „Locked Out“. Durch das Zusammenspiel von Klarinette, Cello und Gesang erschaffen COPPELIUS auf „Extrablatt“ wieder einmal den ihnen eigenen Sound, der wiederum auf die einzelnen Stücke und deren Grundstimmung zugeschnitten wird. So wie wie beispielsweise in „Butterblume“, welches nicht zwangsläufig als bittersüße Hommage an jenes Gewächs gesehen werden muss. Das ist intelligent und individuell zugleich, erfordert aber eine gewisse (Hör-)Intelligenz. Ebenso wie das beinahe psychadelische „Geschwind“.

So könnte man „Welt im Wahn“ und die Umsetzung davon als das coppelikanische Weltbild betrachten. Kopernikus und alle anderen wären damit aber schätzungsweise überfordert. Doch der Wahnsinn hat bei COPPELIUS wie immer Methode, würden die Musiker doch gerne wirklich alles verändern wie sie in „I’d Change Everything“ andeuten. Und so springen das Sextett auf „Extrablatt“ zwischen Deutsch und Englisch, Schnell und Langsam und so ziemlich allem anderen, was musikalisch anhand dieses Instrumentariums und den vier Sangesstimmen denkbar ist.

Das funktioniert auf „Extrablatt“ vor allem anfangs und bei den Refrains von „Mitten ins Herz“ und „Glanz und Eleganz“ so gut, dass man kleinere Schwächen wie die insgesamt eher zu vernachlässigenden „Keine Kamera“ und „Glaubtet Ihr?“ gerne verzeiht. Ein totaler Ausrutscher nach unten wie „Feuerwehrmann“ auf „Zinnober“ fehlt dieses Mal glücklicherweise vollends. Und so begegnen sich die beiden Alben letztlich auf Augenhöhe. Wer musikalische Massenware sucht, ist hier allerdings falsch. Für banale Tätigkeiten wie Autofahren oder „nebenbei Hören“ eignen sich einige Teile des „Extrablatts“. Das ist pure Absicht und ein klarer Fortschritt zu den vielleicht zu speziellen Erstlingswerken.
Ansonsten verhält es sich bei COPPELIUS wie mit der Süddeutschen Zeitung: Nur die Hartgesottenen werde sie komplett auslesen – und an diese Menschen richten sich die Kammercore-Künstler musikalisch und in ihrer gesamten Vermarktung. Insofern gilt immer noch: Coppelius hilft! (denen, die es hören und vor allem erleben wollen…)

Wertung: 8.5 / 10

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