Review Coppelius – Zinnober

Ein Coppelius-Album in kurzen, knappen Worten zu beschreiben oder gar auf den Punkt zu bringen gleicht der Quadratur des Kreises: So viele unterschiedliche Ansatzpunkte gibt es, sich dem Kammercore zu nähern: die inhaltliche Schiene rund um die von E.T.A. Hoffmann inspirierten Texte, die Musik (größtenteils bestimmt durch Schlagzeug, Klarinette und Streicher) oder das exzentrische Sextett an sich. Zusammengefasst beschreibt die Kapelle ein ausnahmsweise durch und durch positiv gemeintes Wort: Wahnwitz!

Oder wo sonst gibt es 5 Musiker, die in Frack, Zylinder und Vatermörder gekleidet die instrumentale Basis für einen singenden Diener liefern? So sehr wie Coppelius live mit ihrer Show jede Vorstellungskraft zu sprengen pflegen, so sehr reißen sie mit „Zinnober“ wieder einmal die musikalischen Grenzen ein – dieses Mal jedoch ohne über das Ziel hinaus zu schießen.
Die Zinnober’sche Bandbreite reicht von instrumentalen Iron Maiden-Coverversionen („Genghis Khan“) über mehrstimmigen Choralgesang („Vergessen“) bis hin zur fröhlichen Beschreibung des Dienstalltags eines Butlers („Diener 5er Herren“). Eine durch und durch bunte Mischung, die auf der aktuellen Veröffentlichung durch ihre nie erzwungen wirkende Vielseitigkeit sofort ihren eigenen Charme offenbart.

Im Vergleich zu den Vorgängern „Time – Zeit“ und „Tumult“ ist „Zinnober“ unter dem Strich sogar etwas weniger chaotisch arrangiert, sondern wirkt statt dessen klarer strukturiert und dadurch zugänglicher. Durch hervorragend ausdefinierte Instrumentalparts, die gewohnt ungewohnten Breaks in den einzelnen Songs und eingängige Texte schufen Coppelius mit dem bereits angesprochenen „Diener 5er Herren“ sowie den schnellen „Der Handschuh“ und „Risiko“ echte Ohrwürmer. Die leicht hypnotische Wirkung der Geschichte des Zauberers mit dem eigenwilligen Namen „Gumbagubanga“ hinterlässt ebenfalls direkt beim ersten Hördurchgang einen bleibenden Eindruck – und allen voran gute Laune, so dass „Zinnober“ bereits auf Anhieb und fernab von möglichen (und teilweise interessanten) Textinterpretationen gut unterhält.

Im Gegensatz zu den eingängigen flotten Feiersongs am Anfang des Albums brauchen die Balladen wie „Stetig Fromm“ und das alles überragende „Ade mein Lieb“ mehrere Anläufe, um ihre volle Klasse zu entfalten. Letzteres ist die Coverversion eines alten Volksliedes, an dem sich bereits unzählige Bands versucht haben, doch keiner gelang es den Text so gekonnt zu vertonen wie Bastille und Co.
Auffällig für diese Stück und den ganzen „Zinnober“: Des Dieners Gesang ist omnipräsenter als bei den ersten beiden Longplayern und er überzeugt gleichermaßen bei den schnelleren als auch bei den langsameren Parts. Dabei wirkt das Verhältnis zwischen seiner Stimme und den Instrumenten beinahe perfekt austariert und man stolpert bei jedem einzelnen Song über eingängige Streicher- oder Klarinettenpassagen.

Wirklich schade ist lediglich die Tatsache, dass mit „Der Feuerwehrmann“ das längste Stück auch gleichzeitig das qualitativ schlechteste ist. Hier ergibt sich kein stimmiges Gesamtbild wie in beinahe allen anderen Songs. Auch „Genghis Khan“ und „Vergessen“ haben zwar ihre musikalische Daseinsberechtigung, aber sind mehr schmuckes Beiwerk und/oder Ergänzung.

Es bleibt dennoch zu sagen: Coppelius hilft – und zwar immer mehr Menschen. Denn „Zinnober“ ist sicherlich besser geeignet für ein breiteres Auditorium als seine Vorgänger, die manchmal durch ein allgegenwärtiges „zu viel, zu schnell“ das zarte Nervenkostüm etwas zu strapazieren pflegten. Zum Glück ist der Coppeliussound dennoch weiterhin unverkennbar.
Mein Gefühl sagt mir allerdings, dass noch mehr möglich ist und die Kapelle noch lange nicht allen geholfen hat. Im Balladenbereich ergeben sich beispielsweise durch den Querschnitt der aktuellen Stücke, gesungen von Bastille, und etwas älteren Werken wie „Das Amulett“ von Le Comte Caspar unglaubliche Möglichkeiten für weitere Ausflüge in die ruhigeren Gefilde des Kammercore.
Im Hinblick auf schnelle, livetaugliche Arrangements haben Coppelius bereits den Punkt erreicht, an dem es kaum noch besser geht, auch wenn sich auf „Zinnober“ kein Stück vom Kaliber eines „Operation“ findet und eher das Gesamtwerk an sich hervorsticht. Aber ich gehe davon, dass die Gruppe ihr geschätztes Publikum eines Besseren belehren wird – notfalls auch durch die Quadratur des Kreises. Wie schon nach Veldenstein 2010 bleibt also nur zu sagen: Da capo, meine Herren, da capo!

Wertung: 8.5 / 10

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