Konzertbericht: Coppelius w/ Tales of Nebelheym

10.02.2023 Backstage, München

Nach 220 Jahren geht es bei COPPELIUS nun „Abwärts“ – zum Glück nur im übertragenen Sinne. Am Tag der Veröffentlichung ihres neuen Tonträgers beweisen die Kammercore-Musikanten aus Berlin im ordentlich gefüllten Münchner Backstage, dass ihr „Abwärts“ ein neues Aufwärts sein kann.

Den Abend eröffnen zunächst TALES OF NEBELHEYM mit einer handwerklich soliden und primär ruhigeren Mischung aus Steampunk, Folk und Piraten-Attitüde. Mit Geige und Akkordeon sowie der entsprechenden Optik präsentiert sich das Kollektiv als würdiger Support mit einem erkennbaren Konzept, der zudem seine Rolle als Anheizer versteht. Mehr Wiedererkennungswert täte den einzelnen Stücken gut, ebenso wie thematisch abwechslungsreichere Ansagen abseits von Geschichten aus und Menschen in Nebelheym.

Nach der etablierten Hinführung mittels des instrumentalen „Tanz der Zuckerfee“ aus Tschaikowskys „Nussknacker“ eröffnen COPPELIUS ihr Konzert mit „Rainmaker“, analog zum aktuellen Album. Es dauert ein wenig, bis der (zugegebenermaßen komplexe) Sound mit mehreren Stimmen, Klarinetten, Kontrabass, Cello und Schlagzeug in der Backstage Halle ordentlich ausbalanciert über die Lautsprecher dröhnt, so dass „Der Luftschiffharpunist“ als zweiter Song lyrisch verpufft. Glücklicherweise bessert sich dieser Umstand fix und die Berliner vermengen ihre Release-Show mit einer Werksschau aus nicht ganz 220 Jahren, dafür inklusive der beiden Opern „Kleines Zaches, genannt Zinnober“ und „Krabat“. Früh zieht es Le Comte Caspar zu „The Rightful King“ mit seiner Klarinette in die Menge und er gibt einige Takte auf der Bar zum Besten. Von den neuen, unveröffentlichten Songs von „Abwärts“ überzeugt besonders „Mein Grab“, das von COPPELIUS anfangs etwas im Stile der kammerorchestralen Blue Men Group inszeniert wird. Am Ende fliegen passend zum morbiden Text noch Blumenblätter in die Menge.

Da sich die Musiker nach eigenem Bekunden nicht bei jedem Album auf repräsentative Stücke einigen konnten, darf eine Besucherin einen von drei möglichen „Tumult“-Vertretern aus einem Hut ziehen. München bekommt das umjubelte „Gedicht“ zu hören, welches bis dato selten bis nie auf den Konzertreisen des Sechsers zu hören gewesen ist und von Bastille mit etwas Einstiegspoesie versehen wird. „Diener 5er Herren“ und besonders „Moor“ sind wiederum die etablierten Live-Kracher, bei denen das Publikum ordentlich mitgeht, ehe COPPELIUS mit „Kein Land so schön“ zu einer kleinen Replik ihres operesken Schaffens überleiten, die mehr zum Zuhören einlädt. Im späteren Teil des Konzerts steht bis kurz vor Schluss „Abwärts“ im Vordergrund: Neben vieler starker, einprägsamer Nummern wie „Alles nur für dich“ oder „Kryptoxenoarchäologie“ erweist sich jedoch nicht jede Idee auf dem Longplayer als zwingend notwendig. Das Slayer-Cover von „Bloodline“ lässt Besonderheiten vermissen und ist in der Form auch musikalisch schlichter aufgestellten Combos zuzutrauen. Im Vergleich zu „Sternenstaub“, „Ade mein Lieb“ oder „Maria“ fällt das von Bastille allein gesungene und mit viel zu viel Hall überzogene „Si Dolce“ ebenfalls merklich ab, besonders nachdem wenig später zu „Contenance“ kurzzeitig alle vier Sangesstimmen a cappella gemeinsam erklingen.

Gegen Ende rückt Cellist Graf Lindorf, der COPPELIUS nach dieser Tour verlassen wird, unter anderem mit seinem Lead-Gesang bei „Risiko“ und in den Zugaben als kongenialer Partner von Bastille in „Bitten, danken, petitieren“ in den Mittelpunkt. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Band diesen Verlust verkraften kann – und es bleibt zu hoffen, dass es ihnen ähnlich gut gelingt wie mit Linus von Doppelschlag an den Drums, der bei seinem Solo beweist, dass er dem Metal nicht abgeneigt ist. Neben einem Schlagzeugsolo darf sich auch Sissy Voss an seinem Kontrabass ganz alleine austoben. So gelingt den Musikern auch im instrumentalen Teil die Symbiose aus Altbekanntem und ihrer ganz besonderen, eigenen Note.

Abseits kleinerer Schönheitsfehler spielen COPPELIUS eine starke Show unterlegt mit viel Situationskomik, in deren Verlauf immer wieder deutlich wird, dass sich die Mitglieder auch als Künstler verstehen. Gegen Ende ergreift Bastille nochmals das Wort und richtet eindringliche Worte an die Besucher: Sie mögen bitte auch andere Konzerte und kulturelle Institutionen wie Kinos oder Theater besuchen. All diese Einrichtungen müssten sich ihr Publikum wieder hart erspielen. COPPELIUS haben dies erkannt und in München den ersten Schritt dafür gemacht.

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