Konzertbericht: Coppelius w/ Liliath

29.11.2019 München, Backstage (Halle)

Was folgt auf die Bühnenabstinenzankündigungskonzertreise? Richtig, die Bühnenabstinenzverweigerungskonzertreise. Zumindest bei COPPELIUS. Kurz gesagt melden sich die Berliner mit ihrem neuen Album „Kammerarchiv“ nach rund zwei Jahren Pause auf den Bühnen der Republik zurück. Mag sich bis auf einen neuen Mann am Schlagzeug auf den ersten Blick nicht viel geändert haben, so offenbart gerade die aktuelle Tour, dass die Kammercore-Musikanten an einigen Ecken und Enden gefeilt haben. 

Den Abend eröffnet zunächst LILIATH, das Orchester in seltsamer Besetzung. In viktorianischen Kostümen gekleidet vertonen die Musiker ihr Liedgut irgendwo zwischen Filmmusik, Steampunk, Gothic und Jazz. Kurzum: Sowohl optisch wie auch akustisch ist eine gewisse Avantgarde-Attitüde allgegenwärtig. Tim Burton lässt grüßen! Ausgestaltet wird die Art-Performance mit Songs voller skurriler Figuren, Formen und Farben. Dazwischen wendet sich Sängerin und Namensgeberin LILIATH immer wieder charmant an die Zuschauer, spricht über ihr seelisches Labyrinth oder den Ort, an dem einst das Licht geboren wurde. Mit einem Blick nach innen und außen lädt der Fünfer zur vertonten Suche nach dem eigenen Selbst ein. Für einige mag dies – zusammen mit dem ab und an arg esoterischen Anstrich des surrealen Musik-Kabaretts – zu viel des Guten sein, als Gesamtkonzept machen LILIATH ihre Sache aber ordentlich, ohne groß mit einzelnen Lieder zu brillieren.

Nach kurzer Pause melden sich COPPELIUS zurück bzw. sie werden zurückgemeldet: Ganz wie gewohnt betritt zunächst Diener Bastille die Bühne, bereitet alles für die Herren vor und stellt diese anschließend mit humoristischer Note einzeln vor. Neu im Line-Up ist Schlagzeuger Linus von Donnerschlag, der Nobusama an der Schießbude ersetzt und sich allein optisch stimmig einfügt. Auch musikalisch hat sich bei den Berlinern etwas getan: Metallischer wirkt die Gangart, weniger in der Breite verspielt und auch nicht mehr so wie ein kunterbunter Ritt durch den Gemüsegarten, sondern in sich geschlossener und vielleicht auch stimmiger. Das hat sich bereits auf der letzten Veröffentlichung „Kammerarchiv“ abgezeichnet, dort bekam unter anderem der Klassiker „I Get Used To It“ eine Generalüberholung spendiert. Symbolisch dient eben jener Song in seiner aktuellen Version auch als Opener des heutigen Abends. Das Backstage ist zu diesem Punkt gut gefüllt, wenngleich nicht ausverkauft, und einigen Gästen merkt man bereits zu Beginn an, dass sie sehnsüchtig auf das Comeback der Kammercore-Musiker gewartet haben. Was live auffällt: Ältere Stücke wie „Operation“, „Moor“, „Gumbagubanga“ und „Reichtum“ – allesamt von Le Comte Caspar gesungen – gehen nun mehr in Richtung Sprechgesang und erhalten dadurch einen völlig neuen Anstrich. Bei Ersterem schiebt der Klarinettist auf den finalen Publikumspart „…der schafft das schon“ noch ein überdeutliches „Nein“ hinterher. Später greift er dann bei „Luftmaschinenharpunist“ zum Megafon als Verstärker und abseits des Mikros zum zur Gitarre umgebauten Stoppschild bei „Bitten Danken Petitieren“ sowie weiteren instrumentale Eigenkonstruktionen.

Neben diesen Gimmicks ist das gesamte Set auch mit Einflüssen der Oper „Klein Zaches, genannt Zinnober“ gespickt, die Coppelius vor einigen Jahren in Gelsenkirchen auf die Bühne gebracht haben. 2020 folgt mit ihrer coppelianischen Interpretation von „Krabat“ die Fortsetzung. Ihren Höhepunkt erreichen die orchestralen Kompositionen beim instrumentalen „Dark Ice“ im Zugabenblock, das so atmosphärisch dicht wie musikalisch variabel gerät. Davor gibt es viel zu entdecken: Im Mittelteil krönen COPPELIUS ihre Darbietung mit der Kombi aus „Wrathchild“ und „Zeit und Raum“, die live ungemein gut zusammen funktionieren. Beim Iron-Maiden-Cover schrauben die sechs Musiker ihren Härtegrad mit teils growl-artigen Parts von Bastille auf bis dato ungeahnte Höhen und zeigen, dass ihre Zukunft auch im Metal liegen kann. Vielleicht auch in einer Metal Oper? In einigen Teilen erinnert die Inszenierung daran, beispielsweise wenn sich Bastille bei „Urinstinkt“ kurzzeitig als Dirigent verdingt. In anderen Momenten, wie beim System-Of-A-Down-Remake von „Radio Video“, und „Risiko“ dominiert der Ohrwurmfaktor. Die Songauswahl ist exzellent und die Reihenfolge perfekt gewählt, so dass COPPELIUS nach ihrer Pause einen wiedererstärkten Eindruck vermitteln. Die Publikumsinteraktion kommt ebenfalls nicht zu kurz: Konzertgast Niko darf sich bei „To My Kreator“ am Schellenkranz probieren und Bastille schenkt regelmäßig Sekt an die ersten Reihen aus, bis die Flasche leer ist. Die Energie der Musiker scheint indes nicht enden zu wollen, so dass auch im Zugabenblock bei „Schöne Augen“ und dem bereits erwähnten schmissigen „Risiko“ noch einiges geboten ist.

Letztendlich stellt sich aber auch mit einer etwas klareren musikalischen Ausrichtung die Frage, wo COPPELIUS hingehören und hinwollen. In ihrer eigenen Welt sind sie so einzigartig und überzeugend, dass es immer noch schwerfällt, sich diese Form von Musik zusammen mit anderen Metal-, Folk-, Gothic- oder Rock-Acts vorzustellen. Das Spezielle ist (und bleibt vermutlich) das größte Plus der Combo; gleichzeitig ist es aber auch fernab der Oper als eigener Ableger ihr größtes Risiko mit Blick auf größere Hallen, Festivals und eine gewisse Form von Zugehörigkeit, die es besonders allen Unwissenden leichter machen würde, mit dieser extravaganten Form von Darbietung und Vertonung in Berührung zu kommen. Einen Platz in der Musikwelt haben COPPELIUS in jedem Fall verdient, und wenn es nur ihr ganz eigener ist.

Publiziert am von

Fotos von: Janina Stein (Gastfotografin)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert