Review Dødheimsgard – Black Medium Current

Wir müssen uns das Maschinendeck des interstellaren Forschungsschiffes DØDHEIMSGARD (schlanker und futuristischer seit längerem auch DHG genannt) als fensterlosen Raum vorstellen, dessen lichtlose Farbgebung sich durch eine graduelle Abstufung verschiedener Formen von Schwarz auszeichnet. Irgendwo im brütenden, glümmelnden Dunkel, nur durch das Brummen der Photonentriebwerke beschallt, sitzen die Maschinisten bei ihrer einsamen Aufgabe, den Weiterflug zu garantieren. Manchmal hört man durch die Wände den Lärm von den anderen Decks und imaginiert absonderliche Partys auf Deck 4, bei denen unaussprechliche Substanzen konsumiert werden; ein andermal hört man Geräusche vom Holodeck, wo irgendwer sich ein Saxophon, einen Synthesizer oder gleich eine ganze Jazzband importieren lässt. Meist sitzen die Maschinisten aber bei einer Zigarette (oder einem Joint) beisammen, und denken an die alten Zeiten; wie es wohl war, so vor 400 Jahren bei ihren Vorfahren, einsam an einem norwegischen See, nur wir, die Nacht und die ersten Ulver-Platten, die auf Kassetten mitgenommen wurden.

Und genau deshalb, weil die Maschinisten nostalgisch sind in diesen unendlich kalten Weiten des Weltalls, klingt der Anfang von „Black Medium Current“, dem neuesten Forschungsbericht des Raumschiffes DØDHEIMSGARD, wie eine tieftraurige 90-er Black Metal Reminiszenz, die die Hörer viele Lichtjahre entfernt verstört sich fragen lässt, wo denn all der Fortschritt geblieben ist, den das Raumschiff da draußen eigentlich suchen sollte. Oder jedenfalls so lange, bis im letzten Drittel des eröffnenden „Et Smelter“ urplötzlich und ohne Vorwarnung sich ein spaciges Keyboardstück an den virtuellen, norwegischen Waldsee teleportiert, das klingt, als wäre es der Bonustrack von Arcturus legendärem Spacetrip „The Sham Mirrors“.

Es ist mittlerweile unmöglich, die Besatzung dieser Unternehmung aufzuzählen, die alle in wechselnden Konstellationen und unter wechselnden Pseudonymen den Raumgleiter auf Kurs halten. Aldrahn ist nicht mehr dabei, den Gesang übernimmt Mastermind Vicotnik persönlich, was viel dazu beiträgt, dass diesmal das Überdrehte, Clowneske und Surreale in den Hintergrund, bzw. besser in den Untergrund rückt. DØDHEIMSGARD sind eigentlich nur die USS Enterprise der norwegischen Avantgardeszene, die mit so unterschiedlichen Schiffen wie Fleurety, Arcturus oder Ved Buen’s Ende Bereiche des Alls erforscht haben, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat. Nicht alle kamen zurück. Vor allen andere die zuletzt erwähnten Forscher schauen immer wieder auf der Brücke der DHG vorbei und hinterlassen ihre musikalischen Spuren.

DØDHEIMSGARD sind noch immer die Meister des Unvorhergesehen, der verstandesfressenden musikalischen Grenzlandreise und der absoluten Verweigerung klassischer Kompositionslehre oder geordneter Übergänge. Doch ist dieses Chaos, das den Acid-Trip „An Umbra Omega“ oder das Stroboskop-Gewitter „666 International“ so auszeichnete, in die tiefen Unterströmungen einer alles verschlingenden Schwärze abgetaucht. Immer bereit, den Hörer von hinten anzufallen, sollte er sich allzu sicher sein, jetzt seinen Platz in den Kompositionen gefunden zu haben. Da wandelt sich der Retro-Black Metal urplötzlich in eine zynische Synthi-Pop-Disko („Interstellar Nexus“), die immer wieder von Freejazz unterbrochen wird, da besuchen wir gemeinsam eine hippe Space-Bar, wo wir bei coolem Smooth-Rock der Spät-80er Rolling Stones einen bunten Drink zu uns nehmen („It Does Not Follow“) und besuchen die trauernden Vulkane des Planeten Melancholia, wo Muse-Arpeggios, alte Sólstafir-Choräle und ein guter Schuss Ecstasy sich gemeinsam ins Bett legen (“Halow“), bevor das abschließende „Requiem Aeternam“ auch den strahlendsten Sommertag in ein unnachgiebiges Sepia tönt.

„Black Medium Current“, mit einem faszinierend treffenden Titel sowie mit einem ebenso simplen wie wunderschönen Cover ausgestattet, ist das vielleicht zugänglichste Werk der jüngeren DØDHEIMSGARD-Geschichte und gleichzeitig wieder nicht. Es ist ein langsamer, doch unvorhersehbarer Ritt auf einem schwarzen, stellaren Treibsand; komponiert irgendwo hinter dem Ereignishorizont des nächsten schwarzen Lochs, das nun den Hörer unbarmherzig dorthin zieht, wo kein Licht mehr herrscht.

Die Maschinisten auf dem fensterlosen Deck haben ihre melancholische Mittagspause von Anfang des Albums abgelegt und starten nun den Selbstzerstörungsmodus. Und solange nicht doch noch irgendwann das galaktische Kreuzfahrtschiff Arcturus aus seinem Wurmloch auftauchen sollte und einen Reisebericht vorlegt, bleibt „Black Medium Current“ die aktuell überzeugendste Erzählung von Reisen in ferne Galaxien, die bisher allenfalls „Written In Waters“ einmal gesehen hatte.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

 

Wertung: 8.5 / 10

Redaktion Metal1.info

Publiziert am von

Ein Kommentar zu “Dødheimsgard – Black Medium Current

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert