Review Dream Theater – Black Clouds & Silver Linings

„Stellt Euch ein Dream Theater-Album mit ‚A Change Of Seasons‘, ‚Octavarium‘, ‚Learning To Live‘, ‚Pull Me Under‘ und ‚The Glass Prison‘ vor!“ Mit dieser Ansage machte Dream Theater-Chef und Schlagzeuger Mike Portnoy die Marschrichtung für das zehnte Album der Band bereits im Vorfeld der Veröffentlichung deutlich klar. Folglich sind an „Black Clouds & Silver Linings“ große Erwartungen geknüpft, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der direkte Vorgänger „Systematic Chaos“ neben den beiden Hits „Forsaken“ und „Constant Motion“ nur wenig Ertragreiches und Erfreuliches bereithielt (auch wenn einer unserer Gastredakteure die Platte in den siebten Himmel und über den grünen Klee lobte).

Nun ist das neue Mammutwerk also da: Wieder einmal haben die fünf Herren 75 Minuten Musik gesammelt, die sich dieses Mal auf nur sechs Songs verteilt. Longtrack-Fetischisten kommen also voll auf ihre Kosten: Vier der Songs sprengen deutlich die Zehn-Minuten-Grenze, das Magnum Opus „The Count Of Tuscany“ erreicht fast 20 Minuten.

Doch bedeutet lang im Sinne von Dream Theater auch gut? Ist die alte Magie wieder da, die Mike Portnoy wohl mit seinem Zitat heraufbeschwören bzw. uns versichern möchte? Haben die gestandenen Musiker dieses Mal auf Schandtaten wie „The Dark Eternal Night“ oder die miesen Muse-Abklatschnummern wie „Prophets Of War“ verzichtet?

Die ersten Klänge des eröffnenden „A Nightmare To Remember“ lassen dies zunächst nicht vermuten: Donnergrollen, „B-Movie“-Geisterorgel von Jordan Rudess, danach endlos-apocalyptische Double Base von Mike Portnoy. Der Einstieg ist düster, zumindest für Dream Theater brachial und dürfte all diejenigen bestätigen, die behaupten, die besten Tage der Combo sind seit „Scenes From A Memory“ längst gezählt. Um es ein wenig abzukürzen: „A Nightmare To Remember“ ist der Dampfhammer der neuen Platte, ein Spaßmacher erster Güte mit guten Abgehparts, sinnvollen Instrumentaleinschüben und einem ruhigen Mittelteil, der beweist, dass James LaBrie doch richtig gut singen kann, wenn man ihn dies nur öfters tun lassen würde. Das Ende ist Bombast-Overkill erster Sahne mit Blastbeats und Speed-Metal-Drumming und natürlich kommt auch Mike Portnoy wieder zu seinem gewollt bösen Sprechgesang, den er seit „Systematic Chaos“ so liebgewonnen hat. Ein Fazit ziehen ist hier einfach: Die dunkle Attitüde von „Systematic Chaos“ trifft auf gutes Songwriting und Highspeed-Attacken wie beim seligen „The Glass Prison“. Für alle, die diese arg metallische, leicht platte Seite der Band nicht mögen, gibt es hier nicht viel zu holen. Alle anderen dürfen damit trotzdem Spaß haben!

Das darauf folgende „A Rite Of Passage“ ist schon im Vorfeld als Single mit Video ausgekoppelt worden. Auch hier finden wir die leicht düstere neue Attitüde wieder in dem verfremdeten Gesang der Strophen vor. Die orientalische Gitarren-/Keyboard-Melodie setzt sich gut im Ohr fest, wird aber zu oft wiederholt und ist außerdem schon seit „Home“ von „Scenes From A Memory“ abgenutzt. Der Refrain ist einer der besseren von der melodischen Sorte im Katalog der Band, ist aber eine eindeutige Anbiederung an den Mainstream. Der instrumentale Mittelteil wurde einmal mehr mit „Copy & Paste“ eingefügt. Schade.

Ähnlich melodisch geht es mit der Halbballade „Wither“ weiter. James LaBrie singt hier hervorragend, die Instrumentierung ist geschmackvoll, die Gesangsmelodie gut, aber vorhersehbar. Eine ordentliche Nummer, die jedoch schnell an Reiz verlieren dürfte und der nächste Singlekandidat sein sollte.

Mit „The Shattered Fortress“ wird es dann wieder frickeliger und metallischer. Bei dem Track handelt es sich um das Finale des „Anonyme Alkoholiker“-Zyklus von Mike Portnoy, den die Band ja seit „Six Degrees Of Inner Turbulence“ regelmäßig gehegt und gepflegt hat. Folgerichtig finden sich auch hier bekannte Motive und interessante Bearbeitungen bekannter Sequenzen aus „The Glass Prison“, „This Dying Soul“, „The Root Of All Evil“ und „Repentance“. Auch dieses Ding macht zweifelsohne Spaß, jedoch ist der Anteil an neu komponiertem in dieser Nummer viel zu klein und mancher Übergang etwas ruppig.

„The Best Of Times“ ist Mikes Vater Howard gewidmet, der letztes Jahr an einem Krebsleiden verstorben ist. Nach einem ruhigen und dem Anlass angemessen gehaltenen Beginn mit Piano, Akustikgitarre und Violine, verwandelt sich der Song für einige Minuten in eine Gute-Laune-Uptempo-Nummer, in der Mike die schönen Erinnerungen Revue passieren lässt. Dann folgt ein Umschwung in episch-dramatisch-getragene Soundfelder und John Petrucci darf solieren, was das Zeug hält. Immerhin melodisch und stimmungsvoll. Gute Nummer, dessen Mittelteil man so von DREAM THEATER noch nicht gehört hat und deren Text man leider besser nie hören sollte. Aber dazu später mehr.

Zum Abschluss gibt es dann „The Count Of Tuscany“, einen Longtrack nach klassischem Prog-Schema. Instrumentaler Beginn, flott-treibend rockiger Mittelteil, ruhiger, beinahe floydiger „Gitarren-die-die-Welt-bedeuten“-Exzess und eine sich schön steigernde Akustikgitarren-Balladen zum majestätischen Finale. Was sich hier in wenigen Worte so lapidar zusammenfassen lässt, ist zwar nicht der per Testament verfügte Nachfolger von „A Change Of Seasons“, spielt aber locker in einer Liga mit „Octavarium“ (ist diesem auch soundtechnisch deutlich näher) und insgesamt verdammt knackig und bündig komponiert und arrangiert. Die beinahe 20 Minuten vergehen wie im Fluge, der Stimmungsaufbau ist grandios, die Leistungen aller Beteiligten über jeden Zweifel erhaben. Dieser Song ist trotz seiner langen Spielzeit ein echter Longtrack, kein Potpourri an wahrlos hintereinander gereihten Songschnipseln. Hier ist alles verbunden, alles macht Sinn. Wirklich vorbildlich und einer der besten Nummern, die Amerikaner je gemacht haben.

Und als wenn das noch nicht reichen würde, gibt es für alle, die mehr wollen, noch zwei Special-Edition-Ausgaben von „Black Clouds & Silver Linings“: Die 3CD-Version mit einer fast 50-minütigen Cover-CD mit Neuinterpretation von Songs solch bekannter Combos wie Iron Maiden, Queen, Rainbow und mehr. Und für diejenigen, die sich Dream Theater schon lange ohne Gesang wünschen, enthält das Paket eine CD mit den Instrumental-Mixen von den neuen Songs, bei denen allerdings auch die Soli aus der Gitarren- und Keyboard-Abteilung fehlen.

Wer ein bisschen mehr Geld über hat, könnte in das Box-Set investieren. Die Sammler-Box enthält für etwas mehr als 60 Euro die Ausstattung der Special Edition und obendrauf noch eine DVD mit den Audio-Spuren der einzelnen Instrumente zum Selbstmixen. Wer sich also wieder einmal ärgert, weil man John Myungs Bass-Spuren nicht hören kann, Jordan Rudess‘ Keyboard einfach zu penetrant oder Mike Portnoy’s Bass-Drum zu laut ist, der mischt sich die Songs hier problemlos selbst. Weiterhin enthalten: Das Album auf Vinyl, eine nummerierte Lithographie von Cover-Künstler Hugh Syme und ein Mauspad. Desweiteren ist in hundert Boxen ein Meet’n’Greet-Ticket dabei.

Doch das wichtigste Element gibt es ja auch einzeln für 15 Euro. Die Einzelsong-Analyse mag kritischer erscheinen, als es die Bewertung am Ende ist. Nach „Systematic Chaos“ sollte man eben genau hinhören und vorallem die negativen Aspekte betonen, denn dass die Herren ihre Instrumente beherrschen, dürfte inzwischen klar sein.

Und so ist „Black Clouds & Silver Linings“ ein Album, dass geschickt die alte Magie der Frickel-Helden mit dem neuen düsteren Image verbindet, dabei kompositorisch besser ist als einiges, was unter dem Banner DREAM THEATER über die Jahre so erschienen ist. „Falling Into Infinity“, „Systematic Chaos“, „When Dream And Day Unite“ und „Six Degrees Of Inner Turbulence“ steckt es in seiner Gesamtwirkung als Album locker in die Tasche, auch wenn es auf jedem der oben erwähnten Alben Songs gab, die besser als vieles auf „Black Clouds & Silver Linings“ sind.

Das erste Mal seit Jahren klingen DREAM THEATER wieder wie sie selbst und machen gleichzeitig auch noch Spaß. Die alte Magie blitzt mehr als einmal auf. Ein Manko sind, ebenso wie bei „Systematic Chaos“, die stellenweise wirklich miesen Texte, die metaphorisch-interpretative Glanztaten der Vergangenheit nicht einmal im Ansatz erreichen und stattdessen lieber mit düsteren Alpträumen, Klischees und Kitsch auftrumpfen. Aber wofür gibt es schließlich die Instrumental-CD?

Fazit: „Black Clouds & Silver Linings“ platziert sich im soliden Mittelfeld aller DREAM THEATER-Veröffentlichungen und sei damit neuen und alten Fans gleichsam ans Herz gelegt. Wie bekannt der Fünfer mittlerweile ist, dürfte klar werden, wenn man sich anschaut, wo es sich das Album in den Charts gemütlich gemacht hat: Es ist auf Platz 3 eingestiegen und hat als Nachbarn solch illustre Acts wie A-ha und den neuen DSDS-Gewinner. The Best Of Times!

Wertung: 8.5 / 10

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