Dream Theater – A View From The Top Of The World

Review Dream Theater – A View From The Top Of The World

„A View From The Top Of The World“ – so heißt das bereits 15. Studioalbum der Progmetal-Vorreiter DREAM THEATER. Auf ihrem Weg zum höchsten Punkt der Erde folgen die Amerikaner gut ausgebauten und abgesicherten Pfaden. Bis zur Spitze schauen sie sechs Mal zurück auf den Weg, der hinter ihnen liegt und auf all das, was sie in ihrer über 30-jährigen Bandgeschichte erreicht haben.

Die ersten zwei Teilabschnitte – „The Alien“ und „Answering The Call“ – legen sie schnell, voller Elan und Tatendrang zurück. Motiviert und fokussiert wird hier musiziert, und beide Songs werden mit jedem Hören besser. Inne halten, das tun sie nicht. Für Verschnaufpausen in Form von Balladen ist keine Zeit.
Mit „Sleeping Giant“ und insbesondere „Invisible Monster“ machen sich erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar. „Invisible Monster“ klingt wie viele andere Single-Auskopplungen der letzten Jahre, und die Honky-Tonk-Einlage in „Sleeping Giant“ entlockt treuen DREAM-THEATER-Fans nur noch ein müdes Lächeln. Viel zu oft sind derlei Späße live und auch im Studio aufgefahren worden. Der Himmel hat sich verdunkelt, aber „Transcending Time“ ist ein Lichtblick an der Baumgrenze – eher Progrock als Progmetal und damit eine geradezu wohltuende Abwechslung auf der Wegstrecke. „Awaken The Master“ hingegen wirkt wieder blass und aufgesetzt.

Auf zum Endspurt: Der Titeltrack „A View From The Top Of The World“ ist mit über 20 Minuten eine ziemlich zähe letzte Etappe und gehört zu den längsten Epen, die DREAM THEATER geschrieben haben. Ebenso wie „Illumination Theory“ vor einigen Jahren mag es nicht so richtig zünden, hat einige gelungene Momente, aber ist in sich nicht rund.

An der Bergspitze angekommen, erwartet die Band ein überraschender Ausblick: Übergroße Wanderschuhe sehen sie da, und ihr eigenes Bandlogo, eingebrannt ins Felsgestein. Ja, es müssen diese riesiegen Stiefel gewesen sein, die den Weg zur Spitze so ausgewalzt und plattgetreten haben; die den Pfad geebnet haben für die vielen Bands, die DREAM THEATER nachfolgten und ihren Stil nachahmten.

Doch wer hat ihr Bandlogo in den Stein eingebrannt? Sie gucken sich um, und langsam kehrt die Erinnerung zurück: Sie waren schonmal an diesem Ort. Mehrmals sogar. Mit ihren alten Kollegen Kevin Moore und Mike Portnoy. Und zuletzt auch mit Mike Mangini, als frischgebackenem Portnoy-Nachfolger. Mit „Images And Words“ (1992), „Scenes From A Memory“ (1999) und „A Dramatic Turn Of Events“ (2011) im Gepäck. Vor ziemlich genau einem Jahrzehnt war es, als John Petrucci & Co. sich dort mit ihrem Logo selbst verewigten, am höchsten Punkt der Erde.

Danach wollten sie noch höher hinaus und verloren dabei den Boden unter den Füßen. Mit den Albencovern der letzten Jahre lässt sich diese Geschichte sehr gut illustrieren. DREAM THEATER durchstießen die Wolkendecke mit ihrem Flugzeug von „A Dramatic Turn Of Events“ und flogen mit dem selbstbetitelten Nachfolger „Dream Theater“ in die Tiefen des Weltalls. Ihre Mission führte sie auch zu einem mysteriösenen schwarzen Loch, das sie in die ferne Zukunft katapultierte. In die Zukunft ihrer Rockoper „The Astonishing“, in deren Erzählung Musik nichts mehr wert ist und von seelenlosen Maschinen erzeugt wird. DREAM THEATER kämpften an der Seite ihres Helden Gabriel mit all ihren Kräften und ihrer ganzen Kreativität für die Rettung von handgemachter Kunst – und siegten. Auch wenn die Platte kein Fan-Liebling ist, kreativer und mutiger waren die fünf Herren schon lange nicht mehr.
Von dort ist es ein langer Weg zurück zur diesseitigen Erde, zum „Pale Blue Dot“. Endlich sind sie wieder in ihrer heimischen Umgebung, mit den bekannten Gesetzen und Regeln. Doch auf der Erde tobt im Jahre 2020 ein bösartiges Virus. Die Band nutzt die Zeit, um sich ihr neues Studio, die DREAM THEATER Headquarters, einzurichten und ein neues Album aufzunehmen. Um das Ergebnis geht es in diesem Text.

„A View From The Top Of The World“ ist ein hervorragend produziertes Werk, auf dem vor allem Drummer Mike Mangini hervorsticht. Schnell und präzise wie eine Maschine war er schon immer, aber hier überzeugt er auch in ruhigeren Passagen mit einem sehr phantasievollen und ausgefeilten Spiel. Der Rest ist Routine und business as usual. DREAM THEATER sind längst ihr eigenes Genre und haben ihre eigenen Traditionen. Zeitgenössischen Progmetal überlassen sie ihren Kollegen Haken, Leprous oder Caligula’s Horse.
Die Scheibe präsentiert hervorragende Musiker, die ihre überragende Handwerkskunst zelebrieren und völlig mühelos in ordentliche Songs gegossen haben. Berühren tut das allerdings nicht. Ganz oben, auf ihrem kreativen Höhepunkt, da waren die New Yorker Progger vor vielen Jahren. Aber die Stiefel vom Cover – ihre eigenen Stiefel – die sind ihnen heute zu groß.

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Wertung: 7 / 10

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Ein Kommentar zu “Dream Theater – A View From The Top Of The World

  1. Also ich muss sagen, dass ich „A View From The Top Of The World“ um einige Klassen besser finde, als ihre Vorgänger. Wo „Distance Over Time“ schon eine gute Richtung genommen hat, knüpft das neue Album nahtlos an und steigert die Qualität doch wieder bedeutend. Möglicherweise kann es aber auch nicht schlechter werden als bei „Dream Theater“ und „The Astonishing“. Ich bin übrigens ein großer Fan von „Awaken The Master“. Dieser Song vereint harte Gitarren-Riffs mit aufhellenden Einlagen, insbesondere von Jordan Rudess, der mit seinen Klaviereinsätzen alte Erinnerungen wieder aufleben lässt. Gerade live war der Song ein ordentlicher „Killer“. Ich würde also sogar 9 von 10 Punkten vergeben.

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